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Wider die Kausalkette

 
     
 
Zum Jahrsauftakt, im Januar 2000, erhielt jeder Schüler (und natürlich auch jede Schülerin) in Schleswig-Holstein von der 9. Klasse an – also ab 15 Jahren – von der Kultusministerin Erdsiek-Rave (SPD) ein 160 Seiten starkes Buch überreicht – kostenlos, versteht sich –, das den Titel trägt "Der Holocaust in Europa – erzählt es euren Kindern". Der bekannte antifaschistische
schleswig-holsteinische Zeitgeschichtler Prof. Dr. Uwe Danker, dem die sozialdemokratische Landesregierung ein eigenes "Institut für Zeit- und Regionalgeschichte" in Schleswig eingerichtet hat – es gab deswegen schon viel Ärger im Landtag –, arbeitete zusammen mit dem Uni-Professor Bohn ein Aufklärungsbuch aus Schweden speziell für deutsche Kinder um.

Darin sieht man Fotos von Leichenbergen, zusammengetriebene und sterbende jüdische Frauen und Kinder, KZs, Hitlerjungen, die jüdische Geschäfte mit Boykott-Aufforderungen bemalen. Man liest einschlägige Zeitzeugenberichte über all die schrecklichen Ereignisse und die Deutungen aus den Federn der Professoren Bohn und Danker. Alle im schleswig-holsteinischen Landtag vertretenen Parteien haben lobende Artikel beigesteuert.

Die Forderung, niemals zu vergessen, was Deutsche und ihre Verbündeten vor fast 60 Jahren Juden antaten, wird uns seit Jahrzehnten eingebleut. Wäre er nicht so schrecklich einseitig gemeint, wäre der Satz eines früheren Bundespräsidenten ja richtig: "Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren." Es stellt sich aber die Frage, ob es mit gutem Gewissen vertreten werden kann, Fünfzehnjährigen, die – das ist wohl einhellige Meinung – in der Regel einen unzureichenden Geschichtsunterricht erlebt haben, solche Bilder und Texte, wie es in Schleswig-Holstein soeben geschehen ist, vorzulegen, und das, ohne den historischen Hintergrund aufzuhellen und die Zusammenhänge transparent zu machen. Denn gerade das soll nach dem Willen der Kultusministerin nicht geschehen. In einer "Handreichung" der Ministerin läßt sie jenen Prof. Uwe Danker sagen, bei der eventuellen Behandlung des Holocaust im Unterricht sollte nicht "die gefällige, immer wieder aufgerufene entschuldigende deutsche Kausalkette" dargelegt werden, da sie eine "kollektive Relativierung" bedeute. Das aber dürfe "nicht passieren".

Da erfährt man denn auch folgerichtig in dem Buch in Text und Bild, daß – so Danker – vom 1.–3. April 1933 (tatsächlich lediglich am 1. 4.) jüdische Geschäfte, Anwaltspraxen usw. in Deutschland boykottiert wurden, doch fehlt der Hinweis, daß es sich um eine Reaktion auf weltweite Boykottaufrufe deutscher Waren durch internationale jüdische Organisationen handelte.

Geschichtserkenntnisse oder gar Geschichtsbewußtsein wird durch diese Art der Darstellung nicht geschaffen.

Ist es wirklich zwingend notwendig, den Deutschen immer wieder einzuprägen, daß sie die schrecklichen Ereignisse nicht vergessen dürfen? Es gibt Tausende von Gedenkstätten für die Opfer von Nationalsozialisten, allein in Hessen über 400, und es werden täglich neue errichtet. Straßen und Plätze werden zur Erinnerung an die Ereignisse benannt. Die Fernsehsender strahlen unentwegt Features und Fernsehspiele aus, in denen die Verfolgung der Juden angeprangert werden. (In der Woche vom 24. bis 29. Januar 2000 zählte man in der abendlichen Hauptsendezeit insgesamt 18 derartige Fernsehsendungen.) In allen Lehrplänen sämtlicher Schularten ist das ausführliche Eingehen auf den Holocaust vorgeschrieben. In Kürze wird in unserer Hauptstadt ein singuläres Mahnmal an den Holocaust in singulärer Ausdehnung errichtet. Zur jüngst abgehaltenen Holocaust-Konferenz in Stockholm brachte die deutsche Delegation 1,5 Tonnen Lehrmaterial  zur  Holocaust-Erziehung  in Deutschland mit. Und wer am Holocaust Zweifel äußert, wird mit schweren Strafen belegt.

Aber trotzdem wird immer wieder an die Deutschen appelliert, wir sollten den Holocaust nicht vergessen. Es muß erlaubt sein, Zweifel zu haben, ob solche Methoden der Sache dienlich sind.

 
     
     
 
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