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Wie SPD und PDS eine Neuauflage der sozialistischen Volksfront vorbereiten

 
     
 
Die SPD-Linke hatte in den letzten Wochen wieder einmal Grund, sich aufzuregen: Angeblich sollen altbewährte Traditionsbegriffe wie "Sozialismus" und "soziale Gerechtigkeit" aus dem Parteiprogramm eliminiert werden. Sieht man genauer hin, fragt sich mancher: Steckt dahinter wirklich ein neues Denken oder nur eine neue Strategie? Dazu ein Beitrag von Helmut Bärwald.


Zum Beginn der Leipziger Buchmesse
im März 2001 erschien im Hamburger Hoffmann und Campe Verlag ein Buch des damaligen Berliner Wirtschaftssenators und ehemaligen PDS-Oberen Gregor Gysi mit dem Titel "Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn". Vorgestellt und mit Lob bedacht wurde Gysis Erzeugnis vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine.

Die PDS-Zeitung Neues Deutschland versah ihren auf der Titelseite beginnenden, groß aufgemachten Bericht über die Lafontaine/Gysi-Schau mit der Überschrift: "Gysi & Lafontaine wagen gemeinsam Schritt nach vorn. Ex-SPD-Chef: Große linke Volkspartei - Ex-PDS-Chef: Kraft links der SPD". Gleich zu Beginn der Buchvorstellung offenbarte der SPD-Genosse Lafontaine: "Da ich sicher war, daß die PDS unter der Führung von Bisky und Gysi mehr und mehr eine sozialdemokratische Partei würde, strebte ich als SPD-Vorsitzender langfristig einen Zusammenschluß beider Parteien an." Dem PDS-Genossen Gysi bescheinigte Lafontaine zugleich, zu der "im Zeitalter des Neoliberalismus rarer gewordenen Sorte der Linken in Deutschland" zu gehören. Für Kenner der SPD-Szene kamen derartige Äußerungen Lafontaines wie bei der Vorstellung des Gysi-Buches keinesfalls überraschend.

In einem Interview mit dem Spiegel hatte Lafontaine Mitte der neunziger Jahre gesagt, daß er "von Anfang an eine zu starke Ab- und Ausgrenzung" der PDS "für falsch gehalten" habe. Im März 1999, damals noch Vorsitzender der SPD, hatte er herbe Kritik an der Zu-rückhaltung seiner Partei gegenüber der PDS geübt und diese Reserviertheit als das "übliche Geschrei" abgetan. Lafontaine hatte, wie etliche andere Politiker und Mandatsträger der alten Bundesrepublik Deutschland, auch gegenüber der PDS-Vorgängerin, der SED, und "ihrem" Staat höchst durchlässige "Grenzen" gehabt.

Gruppen orthodoxer Kommunisten und Marxisten in der PDS, allen voran die "Chefideologin" der linksextremistischen "Kommunistischen Plattform", das Bundesvorstandsmitglied Sahra Wagenknecht, wittern bereits seit Jahren Unrat und leisten gegen einzelne Elemente von "Profilveränderungen" des politischen, ideologischen, programmatischen "Kleidungswechsels" der SED-Nachfolgerin Widerstand. Sie sehen ihre Partei immer wieder auf dem "Weg nach Godesberg". Gemeint ist damit die Verabschiedung des "Godesberger Programms" der SPD 1959, das den Weg von einer "Klassenkampfpartei" zur "Volkspartei" ebnen sollte.

Im Sommer dieses Jahres bekamen die Befürchtungen der unelastischen PDS-Orthodoxen neuen Auftrieb. Im August brachte wie- derum der Hoffmann und Campe Verlag ein neues Buch des geschäftigen Schreibers Gregor Gysi auf den Markt. Titel: "Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen". Journalisten wurde dieser Zustandsbericht in den Räumen der Berliner Pressekonferenz vorgestellt; wiederum von einem SPD-Oberen, dem SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Auch dessen Auftritt hinterläßt - wie der Lafontaines vor zwei Jahren - einen auffälligen Geruch. Scholz ist gerade dabei, einige Formulierungen in der SPD-Programmatik vermutlich aus taktischen Gründen zu "entschärfen"; insbesondere will er den Begriff "demokratischer Sozialismus" aus dem künftigen SPD-Programm verschwinden lassen. Es ist vorstellbar, daß Scholz vom verstorbenen Leit-Strategen und gewieften Taktiker Herbert Wehner gelernt hat, der bald nach Verabschiedung des "Godesberger Programms" im November 1959 in einem Gespräch mit der SPD-Zeitschrift Vorwärts ausplauderte: "Unser Problem ist: Wie kommen wir mit den Mitteln der Demokratie zum Sozialismus?"

Was der Lobredner zum Erscheinen des neuen Gysi-Buches, SPD-Mann Scholz, im künftigen SPD-Programm gern verschweigen möchte, hat der Autor des Buches, PDS-Mann Gysi, zu einem wichtigen Thema gemacht, das die zukünftige Entwicklung der PDS und Deutschlands bestimmen könnte.

Soll vielleicht in Zukunft der Kurs auf einen wie auch immer gearteten "demokratisch" kaschierten Sozialismus in Deutschland nicht von einer Einheitspartei SPDS "Modell Lafontaine", sondern von SPD und PDS mit verteilten Rollen und unterschiedlichem Vokabular verfolgt werden? Zwar tönte der SPD-General vor Journalisten "Die Sache (PDS) ist vorbei," Doch die beiden freundlich lächelnden "Vettern" werden gewiß bereits Vorstellungen davon haben, wie es mit beiden Parteien, der SPD und der PDS, weitergehen soll - auf den Weg zum "demokratischen Sozialismus".

Nachdem Scholz im Oktober 2002 zum SPD-Generalsekretär ernannt worden war, erhielt er ein Glückwunschschreiben des damaligen PDS-Bundesgeschäftsführers Uwe Hiksch, ehemals Mitglied der SPD und zeitweise sogar der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Hiksch schrieb:

"Herzliche Gratulation, Olaf. Nachdem auch ich dich vor einigen Jahren mit zum stellvertretenden Juso-Bundesvorsitzenden gewählt habe, hoffe ich natürlich, daß sich eine intensive Zusammenarbeit organisieren läßt. Grundlage für die PDS werden dabei deine Positionen sein, die du vor noch gar nicht allzu langer Zeit, eben als du in der Juso-Spitze tätig warst, entwickelt hattest." Zugleich verkündete Hiksch öffentlich: "Mit der SPD verbindet uns (die PDS) die Tradition."

Die PDS-Zeitung Neues Deutschland ließ fünf "Anwaltskollegen" Gysis aus CDU, PDS, SPD, FDP und den Grünen Rezensionen über dessen Buch schreiben. FDP-Chef Westerwelle bescheinigt dem Autor, sich "als klar denkender, analytischer Kopf etabliert" zu haben. Das (immer-noch-)CDU-Mitglied Diestel schließt seine Betrachtung mit den Worten: "Gregor Gysi, Dank für das Buch."

Zwar gab es bereits vor der Präsentation des Gysi-Buches "Was nun?" Kritik und Proteste gegen die Mitwirkung des SPD-Generalsekretärs, insbesondere aus den Reihen ehemals von den Kommunisten verfolgter Sozialdemokraten. Verrat an der Geschichte der SPD wurde dem SPD-Generalsekretär vorgeworfen. Wie er wohl dazu komme, "die dahin siechenden Postkommunisten aufzuwerten", wurde er gefragt. Doch die SPD nahm das gelassen, wie die Parteisprecherin verkündete, und Minister Manfred Stolpe (SPD) nahm Scholz ausdrücklich in Schutz.

Nun, wie steht es um die deutsche Sozialdemokratie?

"Was nun?" Bei der Vorstellung des neuen Gysi-Buchs ging SPD-Generalsekretär Scholz (re.) mit dem PDS-Vordenker auffällig freundschaftlich um - vielleicht das Vorzeichen einer neuen Volksfront-Strategie.
 
     
     
 
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