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Recht zu behalten ist an sich natürlich ein schönes Gefühl, wer wollte das bestreiten. Als vor fünf Jahren die großen Zeitungen und Magazine geschlossen zur "neuen Rechtschreibung" übergingen, blieb man nach reiflicher Überlegung fast allein bei der alten. Die Redaktion hatte die neuen Regeln eingehend studiert und war zu dem Schluß gekommen, daß sie weder einfacher noch logischer seien als die alten.
Fünf Jahre später nun folgen der Springer -Verlag und der Spiegel unserem Beispiel, die Frankfurter Allgmeine hatte nach nur einem Jahr Erfahrung mit den neuen Regeln die alten bereits wieder eingeführt. Beinahe sämtliche namhaften Schriftsteller hatten sich der neuen Orthographie ohnehin verweigert und bestanden darauf, daß auch ihre neu publizierten Bücher in bewährter Rechtschreibung erscheinen. Es wird nicht mehr lange dauern, und Deutschland hat zwei unterschiedliche Orthographien: die neue, die nur im Gehege der Schulen und Ämter existiert und die alte in der "wirklichen Welt".
Auf das Schicksal der Schüler verweisen nun mit erregter Stimme die letzten Verteidiger der gescheiterten Reform. Man könne ihnen doch nicht zumuten, nach fünf Jahren wieder alles neu zu lernen. Merkwürdig: Bei Einführung der Reform beschwichtigten uns ihre Erfinder noch, daß die Änderungen gering seien und der Übergang für jedermann ein leichtes. Umgekehrt wird nun aus der selben Ecke ein Drama daraus gezimmert. Das ist wenig glaubwürdig, noch dazu wenn man bedenkt, aus welcher Richtung so rührend Rücksicht auf die angeblichen Zumutungen für die Schüler genommen wird. Von ebendort sprudelten seit Jahrzehnten die unsinnigsten Reformvorhaben, und zwar in Reihe, so daß mancherorts bald jede Schülergeneration in einem anderen System von Schule unterrichtet wurde. Am Ende stand die Abrechnung namens Pisa. Die Wogen immer neuer "Reformen" hatte, das einst gerühmte deutsche Bildungswesen so gründlich zerfurcht, daß wir heute am Ende der internationalen Skala rangieren.
Aber stecken hinter den Attacken gegen eine Rücknahme der Reform überhaupt vor allem sachliche Argumente? Oder ist es die Signalwirkung, die schreckt? Genügsam hat sich dieses Volk in der Vergangenheit alles vorsetzen lassen, was die vermeintlich Mächtigen sich ausgedacht hatten. Ein bißchen Murren, ein paar Proteste, doch am Ende taten die Deutschen stets, wie ihnen geheißen, darauf war Verlaß. So war es bei der Abschaffung der D-Mark und so würde es auch mit der Rechtschreib-reform gehen, werden sich ihre Urheber gedacht haben. Paradox: Die- selben "Fortschrittlichen", die den "deutschen Untertanengeist" stets am lautesten beklagten, wußten am besten, wie er für ihre Zwecke zu nutzen war. Nun müssen sie erschrocken feststellen, daß die vermeintlich "Obrigkeitshörigen" sich zu widersetzen wissen. Ein Präzendenzfall ist geschaffen, des einen Horror, des anderen Hoffnung.
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