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Vor einhundert Jahren erzwangen die USA den endgültigen Rückzug Spaniens vom amerikanischen Kontinent. Der spanisch-amerikanische Krieg hatte mit einem Desaster für die älteste europäische Kolonialmacht geendet. Während die USA durch den faktischen Erwerb der Philippinen, Kubas und Guams selbst zur Kolonialmacht geworden sind, war die europäische Herrschaft über die Staaten südlich vom Rio Grande damit endgültig vorbei.
Jetzt macht sich in den Vereinigten Staaten offenbar die Sorge breit, daß europäische Länder, allen voran Spanien, ihre Kontakte in die Region wiederbeleben könnten. Besondere Bedeutung kommt dabei den wirtschaftlichen Verflechtungen zu. Doch der Kampf um die Märkte Lateinamerikas hat auch einen politischen Aspekt.
Die von der "New York Times" und der "Washington Post" herausgegebene "International Herald Tribune " transportierte diese Befürchtungen kürzlich auf ihrer Titelseite. Sorgfältig wurde über die erfolgreiche Übernahmestrategie spanischer Unternehmen wie Telefonica in Lateinamerika berichtet. Der Beitrag war eingebettet in eine sensationslüsterne Reportage über die angeblich wachsende Fremdenfeindlichkeit in Südspanien, wo es nach einem Mord an einer Spanierin zu Ausschreitungen gegen Marrokaner gekommen war.
Der Hintergrund dieser Berichterstattung ist die Furcht der US-Amerikaner vor einem Verdrängungswettbewerb auf dem lateinamerikanischen Markt, insbesondere im lukrativen Telefon- und Kommunikationsgeschäft. Gerade in dieser Wachstumsbranche konkurrieren Amerikaner und Europäer miteinander.
So hat beispielsweise AT&T in der vergangenen Woche die argentinische Telefongesellschaft Keytech für 500 Millionen Dollar erworben. Die ebenfalls erfolgreiche Geschäftstätigkeit der spanischen Telefongesellschaft Telefonica scheint US-Konkurrenten ein Dorn im Auge zu sein. Telefonica kooperiert mit örtlichen Konzernen, hat mehrere Firmen übernommen und betreut rund fünf Millionen Mobilfunkkunden in Lateinamerika. Andere europäische Firmen sind dort ebenfalls sehr aktiv.
Die USA betrachten Lateinamerika als "ihre" Einflußzone, seit sie Länder wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich und nicht zuletzt Spanien durch die Monroe-Doktrin als Machtfaktoren ausgeschaltet haben. Die wirtschaftliche Einflußnahme durch europäische Konzerne auf die Geschicke des Kontinents erbost sie daher um so mehr. Längst haben die Spanier ihre abschätzige Haltung gegenüber den "Sudacas" abgelegt, und sie führen sich nicht mehr wie zu Zeiten der Conquistadores auf. Statt dessen haben die USA durch ihre permanente Einmischung in die Angelegenheiten lateinamerikanischer Länder, zuletzt durch die Militärintervention in Haiti 1994, Widerstand gegen die Bevormundung aus Washington hervorgerufen.
In vielen Ländern Mittel- und Südamerikas herrscht zur Zeit eine deutliche Verstimmung gegenüber dem nördlichen Nachbarn. Viele Unternehmen beklagen, US-High-Tech-Firmen hätten sie im vergangenen Jahr mit dem Jahr-2000-Problem übervorteilt. Lateinamerikanische Betriebe hatten den wiederholten Warnungen amerikanischer "Computerexperten" vertraut und sich wegen der vermeintlichen Programmfehler teuer beraten lassen. Kostspielige Software wurde erworben, und Fachleute wurden aufwendig eingeflogen. Nachdem sich das Jahr-2000-Problem jetzt in Luft aufgelöst hat, glauben sie, hineingelegt worden zu sein.
Vor diesem Hintergrund könnte ein jüngst zwischen der Europäischen Union und Mexiko vereinbartes Abkommen weiteren Streit produzieren. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko soll im März unterschrieben werden. Die mexikanische Außenministerin begrüßte die Einigung als den Beginn einer "neuen tiefgreifenden Beziehung" zwischen der EU und ihrem Land. Außerdem könne ihr Land so aus der einseitigen Abhängigkeit vom Handel mit den USA ausbrechen.
Nach der Ratifikation des Vertrages mit Mexiko sollen im April die Verhandlungen zwischen der EU und Mercosur beginnen. Mercosur ist das wirtschaftliche Bündnis der stärksten lateinamerikanischen Volkswirtschaften: Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay und Uruguay.
Die EU hätte dann gute Chancen, der wichtigste Wirtschaftspartner Lateinamerikas zu werden und die Summe der Investitionen der USA zu überholen. Nach 100 Jahren uneingeschränkter politischer und wirtschaftlicher Dominanz der USA über Lateinamerika kommt somit wieder Bewegung in die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika. Ronald Gläser
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