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Wo ich bin ist Deutschland

 
     
 
Man solle "die Feste feiern, wie sie fallen", besagt ein altes deutsches Sprichwort. Frei nach diesem Motto nutzte der Bundespräsident das Fest zum 50. Todestag Thomas Manns, um einige freundlich- kritische Worte fallen zu lassen, die manchem Mediengewaltigen nicht so sehr gefallen haben mögen: Der überaus erfolgreiche TV-Dreiteiler von Heinrich Breloer über die Familie Mann sei ein beispielhafter Weg der Kulturvermittlung; die Programmgestalter, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendehäusern, sollten daraus die Lehren ziehen und mehr Mut zu Qualität haben, statt so zu tun, als könne man mit Anspruchsvollem kein Publikum gewinnen, mahnte Horst Köhler.

Thomas Mann, den Autor der "Buddenbrooks", des "Zauberberg" und vieler anderer Meisterwerke
von Weltrang, würdigte der Präsident als einen Künstler, an dessen Werk man "unendlich viel darüber lernen kann, was eigentlich deutsche Kultur bedeutet". Vor den eintausend Gästen eines Festaktes in der Lübecker Marienkirche - in der Thomas Mann einst getauft und konfirmiert wurde - erinnerte Köhler an jenen Satz, den Mann 1938 in der New York Times publizierte: "Wo ich bin, ist Deutschland; ich trage die deutsche Kultur in mir." Aus heutiger Sicht mag das ein wenig anmaßend klingen, doch damals, am Vorabend des Zweiten Weltkrieg, im erzwungenen Exil, war es durchaus wohltuend für das Ansehen Deutschlands. Dem pflichtete auch Festredner Marcel Reich-Ranicki bei: bei Mann habe er, wie sonst nur bei Goethe, "Deutschtum neu definiert gefunden". Der 85jährige Literaturkritiker, ansonsten ebensowenig unumstritten wie der zu Würdigende, erfreute die Festgäste mit einem rhetorischen Feuerwerk, wie man es leider nur noch selten geboten bekommt. "Ich spreche als einer der Leser, die in seinen Büchern ihre eigene Not, ihr Elend und auch ihr Glück wiedergefunden haben" - in diesem Bekenntnis eines keineswegs hochstapelnden "Kritikerpapstes" konnten sich die vielen treuen Thomas-Mann-Leser gut wiederfinden. Und deren Zahl geht in die Millionen: Allein von 2000 bis Mitte 2005 wurden von seinen Werken 1,4 Millionen Exemplare verkauft. Eine Zahl, die hoffnungsvoll stimmt - vielleicht ist "Pisa" ja doch nicht das letzte Wort ...

Auch Reich-Ranickis Schlußsatz "50 Jahre nach dem Tod des Autors lebt dessen Werk so herrlich wie am ersten Tag" war nicht das "letzte Wort" in Sachen Thomas-Mann-Gedächtnisfeiern. Am Abend war zu einem Literarischen Menü geladen, wie es der Dichter höchstpersönlich sich nicht besser und origineller hätte ausdenken können. Auf der Empore der Lübecker Katharinenkirche - unten, im Hauptschiff, ist die sehenswerte Ausstellung "Thomas Mann - das zweite Leben" installiert - war festlich eingedeckt. Bei Kerzenschein kam an Orgel (Timo Schmidt) und Cello (Katja Knaak) Getragenes und Klassisch-unterhaltsames von Bach und Tschaikowsky, Mendelssohn-Bartoldy, Bruch und Fauré zu Gehör, dazwischen trug Lübecks literarischer Stadtführer Jan Bovensiepen Passagen aus "Buddenbrooks", "Zauberberg", "Joseph und seine Brüder" sowie den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" vor.

Dafür, daß aus dem künstlerischen Duett ein Dreiklang werden konnte, sorgte die in derlei kulinarischen Inszenierungen erfahrene Küchen-Equipe des Scandic-Hotels. Vier Gänge wurden aufgetragen, jeder aufs Feinste abgestimmt auf die literarischen Häppchen, die man zuvor verkostet hatte. So fügten sich Wildpastete an kleinem Salatbouquet und Geflügelconsommé mit Trüffelklößchen vorzüglich zur Schilderung des Festessens, mit dem die Buddenbrooks einst das neue Haus in der Mengestraße der nicht ganz neidfreien Lübecker Gesellschaft präsentiert hatten. Die Tischgespräche im legendären Sanatorium zu Davos, in denen es um "natürlich, ein Frauenzimmer" ging, ließen sich bei Schweinefiletmedaillons in Morchenrahmsauce, Gemüsekörbchen und Auflaufkartoffeln trefflich rekapitulieren. Und das abschließende Niederegger-Marzipanparfait auf Fruchtspiegel und frischen Früchten nährte den vagen Verdacht, Felix Krull sei womöglich gar aus reiner Lust an leckeren Speisen zum Hochstapler geworden.

Thomas Mann jedenfalls hätte seine helle Freude gehabt daran, wie sein 50. Todestag in seiner nicht immer geliebten Heimatstadt Lübeck zelebriert wurde: mit Bundespräsident Köhler, "Literaturpapst" Reich-Ranicki und einem Festmenü, wie es festlicher auch im Hause Mann nicht hätte sein können. "Chapeau" allen Beteiligten!

Höchste Ehrung: Vor dem Festakt zum 50. Todestag Thomas Manns trafen sich Bundespräsident Köhler, Ministerpräsident Carstensen und Literaturkritiker Reich-Ranicki vor dem Lübecker Buddenbrook-Haus.
 
     
     
 
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