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Wenn man heute, nach dem Bürgerkrieg auf dem Balkan, eine Tagung veranstaltet zum Thema "Minderheitenschutz und Demokratie", dann kann man sich nicht auf die deutschen Minderheiten im europäischen Ausland beschränken, sondern muß auch die nichtdeutschen einbeziehen. Schon die Heimatorte einiger Referenten wie Bozen, Helsingfors, Oslo verwiesen darauf, daß der international e Aspekt des Schutzes von Minderheiten gefragt war.
Eingeladen hatte die Bonner "Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen" ins "Adam-Stegerwald-Haus" in Königswinter am Rhein, dem neuen Sitz der Karl-Arnold-Bildungsstätte". Geboten wurden neun Referate (das zehnte über "Jugoslawien und die jugoslawischen Nachfolgestaaten" mußte leider ausfallen) und eine Podiumsdiskussion. Die Tagungsleitung hatte wie immer Dr. Reinold Schleifenbaum, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, übernommen.
Die vier ersten Vorträge, die von Juristen bestritten wurden, waren der historischen und politischen Eingrenzung des schier unerschöpflichen Themas gewidmet. So konnte Christian Hillgruber (Erlangen) am Beispiel Deutschlands und Frankreichs unterschiedliche Kriterien des Begriffs "Nation" herausarbeiten. In Frankreich sei schon 1789 eine Nation von Staatsbürgern entstanden, Minderheiten, obwohl sie existierten, kenne die französische Verfassung nicht. Im politisch zersplitterten Deutschland des 18. Jahrhunderts dagegen habe man sich mit dem Begriff einer "Kulturnation" begnügt, erst in den Befreiungskriegen 1812/13 habe sich ein deutscher Patriotismus entwickelt, ein Gemeinschaftsbewußtsein aller Deutschen.
Hier konnte Dietrich Murswiek (Freiburg) anknüpfen und nach den theoretischen Grundlagen von Minderheitenschutz fragen, wobei er demokratische Herrschaft an sich als Minderheitenschutz bezeichnete. Holger Kremser (Göttingen) wiederum, der die "Sonderstellung der Minderheiten im Wahlrecht" untersuchte, erklärte privilegierende Bestimmungen für Minderheits- parteien nicht nur für gerechtfertigt, sondern für lebensnotwendig, wobei freilich separatistische Ziele (Basken) ausgeschlossen sein müßten. Mit seinen Bemerkungen über die Griechen in Albanien, die Türken in Bulgarien, die Sorben in Sachsen, die Dänen und Friesen in Schleswig-Holstein wurden bereits praktische Fragen des Minderheitenschutzes angesprochen, was Gerhard Sabathil (Oslo) mit seinen Ausführungen über "Demokratie und Minderheiten" in der Europäischen Union noch vertiefen konnte. Als deutscher Politiker, der in Norwegen tätig ist, sprach er von mehr als 100 Minderheiten in Europa, die autochthone Volksgruppen und nicht mit Gastarbeiterpopulationen zu verwechseln seien. Am Beispiel der 90.000 Samen, von denen zwei Drittel in Norwegen lebten, warf er die Frage auf, wer über die Bodenschätze verfügen dürfe, die auf dem Territorium der Minderheit gefunden würden.
Wer ist Minderheit in den Vereinigten Staaten? Alle Einwohner, so erklärte Jack Hoschauer (Nonnweiler), die nicht "White Anglo-Saxon Protestants" sind, vornehmlich also die 14 Prozent Schwarzen, die einst als "Negersklaven" aus Schwarzafrika importiert wurden, wobei die Sklavenhaltung in der Verfassung von 1788 verankert war, bis sie 1865 aufgehoben wurde. Aber erst 1947 wurde die Rassentrennung in den amerikanischen Streitkräften beseitigt, und erst 1965 wurde ein Wahlrechtsgesetz verabschiedet, was freilich bis heute nichts an der Gesinnung eines Teils der weißen US-Bevölkerung geändert hat.
Aus amerikanischer Sicht sind die Minderheiten in Westeuropa, zumindest die schwedische in Finnland, in einem beneidenswerten Zustand. Tore Modeen/ Helsingfors wußte von den 300.000 Schweden unter den fünf Millionen Finnen zu berichten, daß sie seit 1896 über eine eigene Partei und über eine im Grundgesetz festgeschriebene Selbstverwaltung verfügen, die ihr Schwedentum schützen soll.
Dagegen gab Christoph Pan (Bozen) zu bedenken, daß die meisten Minderheiten in Europa nur geduldet, aber nicht anerkannt seien, weshalb sie bewußt apolitische Kulturvereine gründeten, um das Überleben der Volksgruppe zu gewährleisten, zum Beispiel die Deutschen in Ungarn. Aufschlußreich war es, zu erfahren, daß in Apulien und Kalabrien heute noch 5.000 Griechen lebten, die in der Zeit der "Magna Graecia" vor 3.000 Jahren eingewandert seien und bis heute fortexistierten.
Am traurigsten stimmte die Zuhörer freilich die Situation der deutschen Oberschlesier, worüber Josef Gonschior (Ratibor) sprach. Viele verleugneten aus Angst, sich als Nicht-Polen bekennen zu müssen, ihr Deutschtum bis heute, weshalb es dem polnischen Staat leicht falle, das Deutschtum herunterzurechnen. Obwohl die "Deutschen Freundschaftskreise" aktiv seien, sogar im Hultschiner Ländchen in Böhmen, liege die Wahlbeteiligung der deutschen Oberschlesier bei nur 30 Prozent. Folge der Zwangspolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg sei, daß Deutsch heute von der Jugend als Fremdsprache gelernt werden müsse, wofür aber Lehrkräfte und Lehrbücher fehlten. Als pessimistische Prognose ließ der Referent durchblicken, daß das Deutschtum in Oberschlesien, auch weil die Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland zu schwach sei, langsam, aber unaufhaltsam vom Polentum aufgesaugt werde.
Ein anderes Land, in dem das Deutschtum zum Untergang verurteilt ist, ist Rumänien mit seiner starken ungarischen Minderheit und einem Dutzend weiterer Kleinvolksgruppen. Das Deutschtum, das noch dazu in die vier Gruppen der Siebenbürger Sachsen, der Banater und Sathmarer Schwaben und der Buchenlanddeutschen zerfalle, sei durch Abwanderung, so Monica Vlad (Hermannstadt), schon so geschwächt, daß ein Verschwinden der Volksgruppe, die nur ein Prozent der Bevölkerung ausmache, absehbar sei.
So scheint die im 19. Jahrhundert in Osteuropa aufgestellte Forderung, das Deutschtum müsse auf die Linie Stettin/Triest zurückgedrängt werden, im 21. Jahrhundert traurige Gewißheit zu werde |
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