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Medien und Politiker in den USA sind zunehmend wütend über die deutsche Haltung im Irak-Krieg. Sogar Sanktionen werden bereits erwogen. Regelmäßig wirft die amerikanische Seite den unbotmäßigen Deutschen dabei groben Undank vor. Wir Betroffenen reagieren auf diesen Hinweis auf unsere Vergeßlichkeit meist mit verlegenem Geschwafel: Natürlich, die Luftbrücke, die sowjetische Bedrohung etc., etc. würdigen wir ja - aber heute sieht die Welt eben anders aus. Der ranghohe Parlamentarier der oppositionellen Demokraten, Tom Lantos, brachte den Kern der amerikanischen Enttäuschung auf den Punkt: Hätte es die heldenhaften Anstrengung en des amerikanischen Militärs nicht gegeben, wären Frankreich, Deutschland und Belgien heute sozialistische Sowjetrepubliken.
Uns Deutsche befällt bei solchen Sätzen das merkwürdige Gefühl, daß hier irgend etwas nicht stimmen kann. Um es kurz zu machen: Dieses Gefühl trügt nicht, es sind die Wehen der Wahrheit, die uns aufs Becken drücken.
Sozialistische Sowjetrepublik? Gab es da nicht noch eine Vorgeschichte? Tom Lantos hätte nur ein bißchen weiterblättern müssen im Buch der Historie, und ihm wäre etwas für ihn sehr Unangenehmes ins Gesicht gesprungen. Der erste unmittelbare Eingriff der USA in die europäische Geschichte läßt sich ziemlich genau datieren: Am 6. April 1917 erklärte Washington Deutschland den Krieg - und gab dem Gemetzel in Europa damit die entscheidende Wende. Nicht allein die Deutschen, alle europäischen Völker waren zu dieser Zeit bereits zunehmend kriegsmüde, in Rußland war deswegen gerade erst der Zar gestürzt worden. Vieles spricht dafür, daß der Erste Weltkrieg, wäre er ein europäischer geblieben, mit einem Remis-Frieden ohne Sieger und Besiegte geendet hätte.
Damit aber wären die Milliardenkredite amerikanischer Banken gefährdet gewesen, die diese an die Entente-Mächte England und Frankreich verliehen hatten. In ihrem Interesse mußte ein richtiger Verlierer her, dem man ohne Skrupel das Fell über die Ohren ziehen konnte: Deutschland.
Mit ihrem Eingriff gaben die USA den Weg frei für das Diktat von Versailles. Noch Anfang 1918 hatte Präsident Wilson die Deutschen zu ködern versucht mit dem faulen Versprechen, ein Friede würde auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts gegründet sein. In Versailles saßen dann Gestalten über Deutschland zu Gericht, denen es weder um Frieden noch um Selbstbestimmung ging. Sie wollten die Fortführung des Krieges mit perfideren Mitteln. Haß, Rachsucht und Verachtung führten die Feder.
Die USA verstanden es, sich im Hintergrund zu halten und gleichwohl ihren Profit zu ziehen im Rahmen eines perversen Dreiecksgeschäfts: Die europäischen Entente-Mächte bluteten Deutschland aus, um ihre US-Kredite zu bedienen, die US-Banken wiederum verliehen das eingehende Geld an das notleidende Deutschland. Am Ende zahlten die Deutschen gewissermaßen für die Früchte ihrer eigenen Arbeit Zinsen an die USA.
Es wäre natürlich Unsinn, den Tätern von Versailles die alleinige Verantwortung für die Katastrophe von 1933 aufzuhalsen. Zu Hitlers Macht-ergreifung führten viele Faktoren, nicht allein das schändliche Diktat von 1919. Doch: So sehr es Hitler nicht nur wegen Versailles gab, so sehr zählte jenes Machwerk zu den unverzichtbaren Komponenten seines Weges zur Spitze.
Das Mißtrauen der Europäer gegenüber der heutigen amerikanischen Außenpolitik findet in den Jahren 1917/19 bis 1933 seine historische Dimension. Damals riß Wa-shington mit seiner geballten Finanz- und Militärmacht das Ruder zunächst radikal herum. Danach aber zog es sich zurück und reduzierte seine Aktivitäten auf die Wahrung seiner geschäftlichen Interessen, während die von ihm an- gerichtete "neue Ordnung" bereits wenige Wochen nach Kriegsende die Fratze der nächsten Katastrophe gebar. Hinter den zunehmenden, weltumspannenden Interventionen der USA in unserer Zeit wittern nicht wenige Europäer ein ähnlich fatales Strickmuster.
Gegner dieser These werden jetzt gern moralisch: Hier wolle jemand die Schuld der Deutschen reduzieren, ja, dreisterweise ausgerechnet auf unsere Befreier, die Amerikaner, umbuchen. O heilige Einfalt! Schon im Naturwissenschaftsunterricht haben wir gelernt, daß "monokausale" Erklärungsmuster, wonach eine Entwicklung nur auf einem Faktor basiert, immer falsch sind. Das gilt für die Geschichte nicht minder. Jede historische Entwicklung wurzelt in einem vielschichtigen Netz vorangegangener Ereignisse und Handlungen.
Indem wir uns von platten "Täter-Opfer"-Einordnungen Schritt für Schritt verabschieden, kommen wir seit einigen Jahren der komplexen Wahrheit über die Verantwortlichkeiten in der europäischen Geschichte langsam näher. An einigen Politikern jenseits des Atlantiks scheinen die Erkenntnisfortschritte der jüngsten Zeit indes spurlos vorübergegangen zu sein. Sie sollten sich vorsehen: Irgendwann könnte ein naseweiser Deutscher daherkommen und ihre Spur aufnehmen - bloß in der entgegengesetzten Richtung. Auf die undifferenzierte Frage "Was wären wir ohne Amerikaner?" hielte dieser Einfallspinsel die ebenso naive Antwort bereit: "Eine Monarchie mit demokratischer Verfassung." Auch die Frage, "wo" wir ohne die Amerikaner heute wären, könnte ein solcher Schlaumeier insbesondere für die Mehrzahl der Leser dieser Zeitung verblüffend einfach beantworten. |
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