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Zwei Künstler im Zwiegespräch

 
     
 
Gestern mit Professor Kern in den Sezessionen gewesen", notierte Käthe Kollwitz (1867-1945) am 25. Juni 1920 in ihrem Tagebuch. "Da sah ich etwas, was mich ganz umschmiß: das waren Barlachs Holzschnitte. Heut hab ich meine Steindrucke wieder angesehn und hab wieder gesehn, daß sie fast alle nicht gut sind. Barlach hat seinen Weg gefunden und ich hab ihn noch nicht gefunden." Kollwitz - Barlach, zwei Künstler, die oft miteinander verglichen werden, manches Mal sogar miteinander verwechselt. Vieles, was sie schufen - Zeichnungen, Druckgraphik
und Plastiken - weist Gemeinsamkeiten auf. Und doch ist jeder seinen eigenen Weg gegangen. Ein Zwiegespräch zwischen den beiden Künstlern wird jetzt in einer Ausstellung möglich, die derzeit im Ernst Barlach Museum in Wedel bei Hamburg gezeigt wird und die in Kooperation zwischen der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg und dem Käthe-Kollwitz-Museum Berlin sowie unter Mitwirkung der Ernst Barlach Stiftung Güstrow entstanden ist. Präsentiert werden etwa 150 Beispiele aus dem Schaffen der beiden Künstler, die sich immer wieder einmal begegnet sind, waren sie doch beide Mitglieder der Berliner Sezession, die aber keine persönliche Freundschaft pflegten.

Es ist dies nicht die erste gemeinsame Ausstellung mit Werken von Käthe Kollwitz und Ernst Barlach (1870-1938). Schon 1898 trafen auf der Großen Berliner Kunstausstellung ihre Werke aufeinander. Käthe Kollwitz war mit ihrem "Weberaufstand" zu sehen, während Barlach seine "Krautpflückerin" und ein Grabrelief präsentierte. Als in Deutschland die "entartete Kunst", zu der auch Werke von Kollwitz und Barlach gezählt wurden, aus den Museen entfernt wurde und ins Ausland gelangte, zeigte die National Gallery in Washington eine stattliche Reihe von Zeichnungen der beiden. 1948 / 49 war in Schweden eine gemeinsame Ausstellung zu sehen, es folgten 1967 / 68 Ungarn, England, die USA, 1976 / 78 sogar Australien.

Im Wedeler Museum, übrigens dem Geburtshaus des Graphikers, Bildhauers und Dichters, beeindruckt die direkte Gegenüberstellung der Werke, geordnet nach Themenkreisen wie "Mythische Motive und Christliche Vorbilder", "Weltkriegsgedenken" und "Conditio Humana: Liebe, Leid und Tod".

Anders als Barlach, der 1906 auf seiner Reise nach Rußland dem Elend der Bevölkerung begegnete und durch dieses zu seinen Arbeiten angeregt wurde, hat die Königsbergerin Käthe Kollwitz durch eigenes schweres Leid wie den Tod des Sohnes Peter im Ersten Weltkrieg und durch die Eindrücke, die sie als Frau des Armenarztes Hans Kollwitz in Berlin erhielt, wesentliche Impulse für ihr Schaffen erhalten. Sie steht mitten im Leben, während Barlach eher als der Künstler gilt, welcher der Welt entsagt. So sind denn auch seine Arbeiten mehr ein Sinnbild für die Situation der Menschen, zeigen sie Gottsucher und Wahrheitsverkünder. Gemeinsam aber ist ihnen der Kampf gegen alles Unmenschliche.

"Käthe Kollwitz äußert wiederholt ihre Bewunderung für den Künstlerkollegen: ,Den bewundere und beneide ich. Sein Schaffen inspiriert sie zu Neuem, läßt sie Wege gehen, die sie ohne sein Vorbild nicht gegangen wäre", erfährt man von den Ausstellungsmachern. "Dennoch wagt sie gelegentlich Kritik an seiner künstlerischen Haltung. Der ,raubeinige, für sich stehende Barlach hingegen verhält sich Kollwitz gegenüber zurückhaltender. Es existieren nur wenige Schriftstücke, in denen er Käthe Kollwitz namentlich erwähnt, zu ihren Werken äußert er sich nie. 1933 allerdings ist er einer von nur drei Mitgliedern, die eine kritische Anfrage wegen des ,freiwilligen Austritts von Käthe Kollwitz und Thomas Mann aus der Berliner Akademie der Künste wagen. Umgekehrt ist Käthe Kollwitz eine der wenigen, die Barlachs Trauerfeier im Jahre 1938 besuchen."

Als Barlach im Oktober 1938 in einem Rostocker Krankenhaus stirbt, fährt Käthe Kollwitz zur Trauerfeier nach Güstrow. Eindrucksvoll ist ihre Schilderung der Begegnung mit dem toten Kollegen: "Der Sarg steht in der Mitte des Raumes. Er ist feierlich und kostbar aufgebaut. Ein schwarzer Teppich und weiße Atlasdecken. Barlach ist ganz klein. Er liegt mit ganz zur Seite gesenktem Kopf - als ob er sich verbergen wolle. Die weggestreckten und nebeneinander gelegten Hände ganz klein und ganz mager. Ringsherum an den Wänden seine schweigenden Gestalten. Hinter dem Sarge Tannen aufgebaut. Über dem Sarge die Maske des Güstrower Dom-Engels. Um den Sarg herum läuft sein kleiner Hund und schnuppert zu ihm auf ..."

Höhepunkt der Ausstellung ist zweifellos die Präsentation des originalen Gipsmodells des Güstrower Dom-Engels, der die Züge der Kollwitz trägt, wenn auch nur zufällig, wie Barlach betonte: "Rein zufällig, nicht beabsichtigt. Übrigens, ganz nebenbei, ist die Kollwitz ja wohl eine Ehrung wert."

Leider ist die Kohlezeichnung, die Käthe Kollwitz vom toten Barlach anfertigte, in der Wedeler Ausstellung nicht zu sehen - zu empfindlich ist das Blatt, um lange dem Tageslicht ausgesetzt zu werden.

Auch in dem Relief "Die Klage", das sie aus dem Eindruck des toten Kollegen heraus schuf, ist ihre tiefe Betroffenheit zu spüren. Im November 1938 schrieb sie in ihr Tagebuch: "Es ist mir manchmal, als ob der tote Barlach mir seinen Segen hinterlassen hat. Ich kann gut arbeiten. Es ist wie eine konstante Erregung, die mich überkommen hat." Zwei Künstler - zwei Welten. Jeder war für sich eine Größe. Und doch gab es Überschneidungen, die zu entdecken die Ausstellung anregt.

Die Ausstellung "Ernst Barlach - Käthe Kollwitz: Zwiegespräch" im Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1, 22880 Wedel, ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr zu sehen, Eintritt 5 / 4 Euro, Katalog im Museum 24,90 Euro, bis 7. Januar.
 
     
     
 
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