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Unter Kunsthistorikern wurde es als kleine Sensation gewertet: die Entdeckung einer der letzten erhaltenen Stuckdecken von Andreas Schlüter. Im vergangenen Jahr hatte Guido Hinterkeuser im Rahmen seiner Studien zum Thema Schlüter anläßlich seiner Doktorarbeit im Palais am Festungsgraben in Berlin eine Arbeit des Bildhauers und Baumeisters aufgespürt. Er fand sie im Blauen Salon des klassizistischen Baus hinter Schinkels Neuer Wache, dort, wo heute Konferenzen abgehalten werden oder Abendgesellschaften stattfinden.
Das kostbare Stück war Ende des 19. Jahrhunderts aus der Alten Post ausgebaut worden und blieb so vor der Zerstörung bewahrt. Zunächst wurde die Decke im Martin-Gropius-Bau untergebracht, bis sie 1922 wieder in ihre Einzelteile zerlegt wurde und im Depot landete. Erst 1937 fand sie im Palais am Festungsgraben, dem Sitz des preußischen Finanzministerium s, eine neue Heimstatt und überdauerte dort Krieg und Nachkriegszeit. Weniger glücklich erging es einem anderen Werk Schlüters, das 1950 von den Machthabern des DDR-Regimes kurzerhand gesprengt wurde: das Berliner Schloß. 1698 hatte Schlüter den Auftrag erhalten, das Schloß umzubauen und das Innere neu zu gestalten. Als Kurfürst Friedrich III. als Friedrich I. König in Preußen 1701 von den Krönungsfeierlichkeiten aus Königsberg nach Berlin zurückkehrte, verlangte er von seinem Baumeister "eine Verlängerung der nach dem Lustgarten zu gelegenen Festsaalflucht bis zu dem im Jahre 1572 errichteten Münzturm, der beibehalten und nach einem von Schlüter gefertigten Entwurf erheblich erhöht werden sollte" (Carl Wünsch).
100 Meter hoch sollte er werden, dieser Turm. Ein gewagtes Vorhaben, wie auch Archäologen in jüngster Zeit noch feststellen konnten. Der Untergrund war sandig und weich. Bei Grabungen fand man 1995 Hunderte von Eichenpfählen; mit ihnen hatte Schlüter versucht, dem Turm Halt zu geben. Vergeblich. Der Turm zeigte Risse, man mußte ihn abtragen. Schlüter wurde vor Kommissionen gezerrt und mußte sich rechtfertigen. Resigniert legte er schließlich 1706 die Bauleitung des Schlosses nieder. In der Berliner Dorotheenstraße errichtete er noch das Landhaus Kameke, das allerdings im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Als Friedrich I. 1713 starb, wurde Schlüter, der immer noch als Hofbildhauer tätig war, aufgefordert, einen Sarkophag für seinen König zu schaffen. Als dieses vollbracht war, hielt ihn nichts mehr in Berlin. Er ging nach St. Petersburg, um dort beim Aufbau der Stadt mitzuhelfen. Im Kleinen Palais im Sommergarten schlug er seine Zelte auf und wirkte an dessen Innenausstattung mit. Außerdem fertigte er Entwürfe für die Grotte im Sommergarten und für die Kunstkammer. Im Mai/Juni 1714 schließlich starb der Baumeister und Bildhauer. Seine Grabstätte ist heute nicht mehr bekannt.
Hoffnungsfroh war Andreas Schlüter 1694 nach Berlin gekommen. Als kurfürstlicher Hofbildhauer erhielt er immerhin ein Gehalt von 1200 Talern und sollte mit dazu beitragen, Berlin zu einer glanzvollen Residenzstadt zu machen. Das Licht der Welt hatte Schlüter in Danzig erblickt, wo er am 13. Juli 1659 getauft wurde. Bei dem aus der Pfalz stammenden Bildhauer Sapovius ging er in die Lehre; anschließend unternahm er eine Studienreise nach Italien. 1689 ließ er sich in Warschau nieder, wo er auch für Mitglieder der königlichen Familie tätig war. 1694 schließlich erreichte ihn der Ruf nach Berlin.
In den 13 Jahren seines Aufenthaltes schuf er eine erstaunlich große Anzahl bedeutender Kunstwerke; man denke nur an das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, das heute vor dem Charlottenburger Schloß steht, oder an das Standbild Friedrichs I., als dieser noch Kurfürst Friedrich III. war. Die Entwicklung hatte das Kunstwerk überholt, so daß es anstatt in Berlin 1802 in Königsberg gegenüber dem Ostportal des Schlosses aufgestellt wurde. Wie so viele andere Kunstwerke fiel auch dieses Standbild dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Den Bildhauern Gerhard Marcks und Waldemar Grzimek (aus Rastenburg) allerdings ist es zu verdanken, daß sich die Nachwelt an dieser Arbeit von Schlüter dennoch erfreuen kann. Sie setzten sich dafür ein, daß ein Bronzenachguß des in Ost-Berlin erhaltenen Gipsabgusses in Charlottenburg aufgestellt wurde.
Die beiden Standbilder sind nur wenige Beispiele aus dem reichen Schaffen des Danzigers, der auch den Sarkophag für Königin Sophie Charlotte im Berliner Dom, Grabdenkmäler und eine Kanzel (Marienkirche Berlin) schuf. Beeindruckend auch die "Masken sterbender Krieger", die Schlüter für den Innenhof des Berliner Zeughauses entwarf. Sie zeigen die schmerzverzerrten Gesichter gefallener Türken aus der Belagerung von Wien. In der Mitte des Innenhofs sollte ursprünglich die Gestalt Friedrichs III. als Sieger stehen ...
"Schlüters Werk", so Helmut Börsch-Supan im Nachwort zu der bei E.A. Seemann, Leipzig, erschienenen Monographie Andreas Schlüter Baumeister und Bildhauer des preußischen Barock (160 Seiten, zahlr. sw Abb., 78 DM) von Heinz Ladendorf, "ist ein letztes Wort zu dem von Kriegen auf die furchtbarste Weise heimgesuchten siebzehnten Jahrhundert, nicht das erste zum achtzehnten, das sich besser genießen läßt. Das Gewicht des Späten lastet auf dieser Kunst, und es erklärt etwas von der Todesnähe vieler seiner Erfindungen. Das wird verdrängt, wie schon der Umstand belegt, daß man verharmlosend von den Kriegermasken des Zeughaushofes spricht. Es sind keine Masken, es sind abgeschlagene Köpfe besiegter Barbaren, die zum Teil an den Haaren aufgehängt sind. Schlüter mutet uns zu, zu sehen, was er selbst gesehen haben muß."
Heinz Ladendorf (19091992), langjähriger Lehrstuhlinhaber an den Kunsthistorischen Instituten der Universitäten Leipzig und Köln, hat mit diesem Buch über Andreas Schlüter, das bereits 1937 zum ersten Mal erschienen ist, eine Arbeit vollbracht, die heute mehr denn je Aufmerksamkeit verlangen muß. Schließlich sind kaum noch Werke des großen Bildhauers und Baumeisters aus Danzig erhalten. Die hervorragenden Schwarzweißfotos mit unschätzbaren Details etwa des Berliner Schlosses in dem vorliegenden Buch aber lassen den Verlust erahnen, den nicht nur Berlin erlitten hat.
Schlüter, den Börsch-Supan als den größten Bildhauer bezeichnet, der um 1700 in Deutschland gelebt hat, hat es nicht verdient, vergessen zu werden, wenn auch in seiner Kunst "wenig Berauschendes und Erlösendes" (Börsch-Supan) ist, lenkt sie doch die Gedanken "häufig auf den Konflikt von Macht und Menschlichkeit, der sich am furchtbarsten im Krieg entlädt nicht zufällig geht der Bau des Zeughauses dem Umbau des Schlosses voran und das Schicksal des Künstlers, so scheint es, ist bestimmt von der Unfähigkeit der Menschen hier, beides in Einklang zu bringen, so sehr sich dieser mit seiner gewaltigen Energie anstrengt, das zu leisten. Eine sich selbst verzehrende Anstrengung kennzeichnet sein Wirken, wie auch das anderer großen dieses armen Landes."
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