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Hier gilt es ein Buch anzuzeigen, das aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Die APO-Opas liefern uns heute gerne sentimental nostalgische Betrachtungen über die wilde, die herrliche Jugendzeit der 60er Jahre. Dieses verlogene, verharmlosende Bild wird hier zurechtgerückt. Hartmuth Becker, Felix Dirsch und Stefan Winckler stellen in dem Buch "Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution " den Widerstand gegen die "68er" vor.
Das Buch enthält zehn Beiträge, darunter drei Interviews mit älteren Zeitzeugen: dem Philosophen Professor Hermann Lübbe, Professor Klaus Motschmann über die evangelische Kirche und Fritz Schenk, dem ehemaligen stellvertretenden Leiter des ZDF-Magazins, über dessen Widerstand gegen den linken "Geist" von 1968. Die Aufsätze hingegen stammen alle von jüngeren Autoren. Hier sprechen die Kinder der 68er über die 68er. Als die Autoren politisch zu denken begannen, war die politische Mode von 1968 verebbt, aber nun galt es, sich mit den Folgen auseinanderzusetzen. Alle Aufsätze enthalten interessante Informationen. Ulrich Zellenberg bietet eine gehaltvolle Abhandlung über "Verfassungsstaat und Wahrheit", die unbedingt lesenswert ist. Felix Dirsch porträtiert konservative Zeitschriften, Andreas Späth würdigt Günter Rohrmosers philosophische Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie.
Besonders interessant und aufschlußreich ist Till Kinzels Beitrag über den "Bund Freiheit der Wissenschaft" und die "Notgemeinschaft für eine freie Universität", die in der Tat viel zur Bekämpfung des Linksextremismus getan haben. Gerald Mann ergänzt das Interview mit Klaus Motschmann durch einen Beitrag über die evangelische Kirche. Stefan Winckler macht den Wandel der Tageszeitung Die Welt deutlich. Vor 30 Jahren war sie - im Gegensatz zu heute - ein Kampforgan gegen den Linksextremismus. Schließlich widmet Hartmuth Becker dem "Hessischen Elternverein" eine wohlverdiente Würdigung. Hat er sich doch als eine der wirkungsmächtigsten antilinken Kampforganisationen erwiesen.
Nimmt man alles in allem, so liefert das Buch einen wertvollen Beitrag zur Deutung jener kulturrevolutionären Ereignisse, die 1968 einen ersten Höhepunkt erreichten. Aber diese Geschichte hat Vorläufer und Nachwirkungen. Handelt es sich bei der 68er Bewegung doch um keine feste Organisation, sondern um eine völlig diffuse Zeitgeisterscheinung. Die asketischen Hingabewerte waren seit 1945 zerbrochen. Das Vakuum füllte sich. Ab 1948 begann eine Zeit der Befriedigung materieller Bedürfnisse. Schlagsahne statt Ideale, Butter statt Kanonen. Einfachheit, Verzicht und Askese gab es nur in der Theorie, Sozialismus war schön - aber nur, wenn er weit weg stattfand, am besten in China. Deshalb haben diese im Wohlstand lebenden Pseudorevolutionäre auch nichts erreicht. Allerdings haben sie zur Erosion bestehender Werte und gesellschaftlicher Strukturen beigetragen. Sie konnten diese Wirkung entfalten, weil die Gegenkräfte sich ihrer eigenen Werte und der Institutionen nicht sicher waren und viele Positionen widerstandslos räumten.
Was folgt daraus für dieses anregende und orientierende Buch? Aus der Fülle der Ereignisse bietet es wichtige Ausschnitte. Man vermißt einige Aspekte, so den Widerstand des RCDS in den Universitäten, aber auch eine Erklärung des völligen Versagens der Corps und Burschenschaften.
Der Auffassung der Herausgeber, es handele sich bei der 68er Kulturrevolution um eine abgeschlossene Epoche, muß widersprochen werden. Die 68er haben die Institutionen durchsetzt, aber ihre Gesinnung angepaßt. Da wir auf weitere Veränderungen gefaßt sein müssen, haben wir es mit einem aktuellen, keinem historischen Problem zu tun. Hans-Helmut Knütter
Becker, Dirsch, Winckler (Hrsg.): "Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution", L. Stocker-Verlag, Graz 2003, 252 Seiten, 19.90 Euro
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