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Nur auf der Durchreise

 
     
 
Ich möchte zu Hans", sagte Bösicke. "Ist er zu Hause?" Die alte Frau an der Tür hatte ein zerknittertes Gesicht. Sie blinzelte scheu. "Wer sind Sie, mein Herr?" krächzte sie. "Ein alter Schulfreund Ihres Sohnes. Knut Bösicke." Sie standen im Treppenhaus. Es roch nach Bohnerwachs. Ein Stockwerk höher plärrte ein Radio. Genau wie vor zwanzig Jahren, dachte Bösicke. "Man hat mir gesagt, er wohnt noch hier", sagte er. "Ja, das stimmt", nickte sie. "Hans ist noch bei mir."

Der Türspalt vergrößerte sich nicht. Sie machte keine Anstalt
en, den Besucher in die Wohnung zu lassen. Bösicke räusperte sich ungeduldig. "Ich bin auf der Durchreise, Frau Merten. Meine Frau wartet im Bahnhofsrestaurant. Ich wollte Hans nur mal schnell guten Tag sagen. Wir haben uns seitdem nicht mehr gesehen. Falls er nicht zu Hause ist, dann ..."

"Bösicke", murmelte sie abwesend. "Knut Bösicke. Jetzt erinnere ich mich an Sie. Sie waren der Rüpel, der Bauer Mosblech heimlich die Schweine rausgelassen hat." Bösicke grinste fröhlich. "Das war ein Spaß."

Die Alte sah ihn an. Bösicke war ein großer, korpulenter Enddreißiger mit feisten Wangen und streng gescheiteltem Haar. Er trug einen eleganten Anzug, um seinen Hals hatte er ein buntes Tuch aus Seide geschlungen. "Ja, ein Spaß", sagte sie. "Aber Bauer Mosblech dachte, Hans wäre der Übeltäter gewesen. Sie zogen danach fort, nicht wahr?" - "Nach Berlin." - "Aber Hans blieb", sagte sie. "Es war eine sehr schwere Zeit für ihn."

Bösickes Grinsen versteinerte. Ihre Blicke waren ihm unangenehm. Er blinzelte schuldbewußt. "Es war ein Dummerjungenstreich, nichts weiter. Daß Hans verdächtigt wurde, wußte ich nicht. Hab s nie erfahren."

"Bauer Mosblech war ein sehr jähzorniger Mensch." - "Das war der Grund, warum ich ihm einen Denkzettel verpassen wollte." Sie nickte. "Kommen Sie rein."

Die Tür ging auf, und Bösicke folgte der Frau in den muffigen Flur. Die Tapeten waren vergilbt, und an der Truhe, die er aus seiner Kindheit kannte, stand ein Staubsauger gelehnt. Hinten rechts, der Wohnstube gegenüber, mußte Hans Zimmer sein. Kaum zu glauben, daß der Bursche noch immer bei seiner Mutter wohnte. An der Zimmertür angelangt, drehte sich die Frau zu Bösicke um. Sie strich ihre Kittelschürze glatt. "Hans ist anders als damals. Sie dürfen ihn nicht allzu-sehr aufregen. Er ist nicht auf dem Posten."

"Keine Sorge. Ich will ihm nur die Hand schütteln, nach all den Jahren." Sie blieb im Korridor stehen, als Bösicke in das Zimmer seines Schulfreundes trat. "Hallo, Häns-chen, alter Springinsfeld ..."

Unter dem verhangenen Fenster stand ein Sofa. Darauf saß ein blasser, grauhaariger Mann, eine Wolldecke auf dem Schoß. Neugierig sah er auf den Besucher. "Du hast dich sehr verändert, Knut", sagte er rauh. "Komm , setz dich doch."

Bösickes Herz pochte wie wild. Der Mann, der da vor ihm kauerte, sollte Hans sein? Der aufmüpfige, immer zu einem Spaß aufgelegte Hans Merten? Bösicke sank auf den Stuhl. "Deine Mutter meinte, dir ginge es momentan nicht gut. Ich hoffe, du bist bald wieder auf dem Damm, Alter."

"Hast du Durst?" fragte Hans. "Mutter könnte uns eine Limonade bringen." Bösicke winkte ab. "Nein, du, nett gemeint. Aber ich habe gerade mit meiner Frau Kaffee getrunken. Hanne und ich sind auf dem Weg an die Ostsee, weißt du. Wir hatten drei Jahre keinen richtigen Urlaub." Hans lächelte schwach. "Du bist verheiratet. Das ist schön. Ich hätte auch gern eine Frau gehabt. Aber ..." - "Was aber?" Bösicke hing an den Lippen seines Schulkameraden. "Alles kam anders, Knut. Du bist weggezogen, und dieser rachsüchtige Bauer Mosblech dachte, ich sei der gewesen, der ihm die Schweine ..." Hans Merten verstummte.

"Was ist passiert?" - "Na ja, Mosblech war ein gewalttätiger Mann. Er schäumte vor Wut wegen der Viecher. Er lauerte mir auf, wollte mir eine Abreibung verpassen. Ich war flinker, bin ausgerissen. Über die Straße. Ein Laster kam - ich hatte eben Pech."

Der Mann auf dem Sofa schlug die Wolldecke zurück. Bösicke stieß einen erstickten Schrei aus. Fassungslos starrte er auf die beiden Beinstümpfe. Es war sehr still im Zimmer. Nur die Uhr an der Wand tickte leise.

Heimkehr
von Norbert Ernst Dolezich

Als ich jung war, stieß ich

trotzig alle Türen auf.

Vaters Haus verließ ich,

weltwärts riß mich schneller Lauf.

Jetzt nach dunklen Jahren

finde ich zur alten Tür,

stehe still im Monde,

stumm von den Gefahren

dieser späten Erde,

taste nach altem Span,

zünde auf dem Herde

einmal noch mein Feuer an.
 
     
     
 
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