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Als am 8. Mai 1945 für Deutschland offiziell der Zweite Weltkrieg endete, begann die Bestandsaufnahme von Soll und Haben. Was Deutschland damals noch besaß, war nicht viel. Städte lagen in Trümmern, und allmählich wurde sichtbar, was von deutscher Seite im Krieg verschuldet worden war. Während die Sieger des Krieges über die Verwendung des am Boden liegenden Landes diskutierten, herrschte in der Bevölkerung unendliche Not. Millionen von Menschen waren durch Bombenkrieg oder Vertreibung aus ihren Wohngebieten heimatlos geworden. Viele hatten nicht nur ihr Hab und Gut, sondern auch ihre Lieben aus den Augen verloren. Mütter suchten ihre auf der Flucht aus ihren Armen gerissenen Kinder, Kinder suchten ihre von der Roten Armee verschleppten Eltern, heimkehrende Soldaten ihre nicht mehr vor Ort wohnenden Familien. Jeder vierte Deutsche wurde gesucht oder suchte einen Angehörigen.
Mitten in einem der chaotischsten Orte befanden sich die beiden Leutnants Schelsky und Wagner. In Flensburg kamen Tausende der über See aus Ostdeutschland und Danzig geflüchteten Ostdeutschen an. Viele Familien waren auf der Flucht getrennt worden und suchten nun ihre Angehörigen, doch in den Menschenmassen war es unmöglich, jemanden zu finden. Die beiden Leutnants errichteten nun eine Suchkartei. Zu jedem gemeldeten Suchfall wurden zwei Karteikarten angelegt, die auf der einen Seite die Personalien der Suchenden und auf der anderen den Namen des Gesuchten enthielten. Alphabetisch sortiert trafen dann früher oder später bei dem Begegnungsverfahren die Suchanfragen des Suchenden mit dem des Gesuchten aufeinander, der den Suchenden häufig ja ebenfalls suchte.
Was in Flensburg seinen Anfang machte, wurde bald in Hamburg und München fortgeführt, doch neben rein materiellen Hindernissen kamen auch die organisatorischen hinzu. Beispielsweise verboten die Amerikaner bei der Suche nach vermißten Wehrmachtsangehörigen die Nennung der jeweiligen Einheiten, da sie fürchteten, das Deutsche Rote Kreuz, das die Leitung des Suchdienstes übernommen hatte, wolle die Wehrmacht reorganisieren. Die Liste der Gesuchten war groß, und noch heute ist das jeweilige Schicksal von 1,4 Millionen Menschen ungeklärt, obwohl noch 58 Jahre nach Kriegsende der Verbleib von Personen geklärt werden kann. Grund dafür ist, daß gerade die sowjetischen Archive erst seit der Wende dem DRK Einsicht gewähren. Die Auswertung dieser dauert bis heute an.
Klaus Mittermaier, der Leiter des Suchdienstes, hat in seinem Buch "Vermißt wird ... Die Arbeit des deutschen Suchdienstes" die Leistungen der häufig einem Puzzlespiel ähnelnden Vermißtensuche dokumentiert. Seine Arbeit ist im Vergleich zum 1965 erschienenen Band "Gesucht wird" von Kurt Böhme oberflächlich. Er führt aber erstmals die aufgrund der Kriege der letzten Jahrzehnte gewachsenen Aufgaben des DRK in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz an. Auch die seit der Öffnung der Ostblockstaaten freigegebenen Informationen haben dem Suchdienst Auftrieb verliehen. Mittermaiers Ausführungen verdeutlichen anhand einiger individueller Suchanfragen, welche kleinen Wunder der Suchdienst trotz großer Komplikationen bewirkt hat. Fritz Hegelmann
Klaus Mittermaier: "Vermißt wird ... Die Arbeit des deutschen Suchdienstes", Ch. Links Verlag, Berlin 2002, Hardcover, zahlr. Abb., 190 Seiten, 16,90 Euro |
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