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Die zumeist begeisterten Besucher der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum - Zentrum internationaler Skulptur stellen immer wieder die selben Fragen: Was ist der Unterschied zwischen Plastik und Skulptur, was ist Objektkunst, was Environment und Rauminstallation? Was sind die Materialien der modernen Skulptur und wie verhalten sich Skulptur und Fotografie, Skulptur und Neue Medien zueinander? Was ist mit der Räumlichkeit der Skulptur in der Moderne geschehen, wann und wie fand der Wechsel von der geschlossenen Blockhaftigkeit zur transparenten Öffnung statt, wie verhält sich die Skulptur zum umgebenden Raum? Wann und wie hat sich die Skulptur vom Sockel gelöst und den Boden, die Wand und die Decke erobert? Wie hat sich das Verhältnis von Betrachter, Skulptur und Raum gewandelt? Was sind die dominanten Themen der modernen Skulptur? Wer sind die großen "Köpfe" der modernen Skulptur? Auf diese und viele andere Fragen will die Ausstellung "Was ist Plastik? 100 Jahre - 100 Köpfe. Das Jahrhundert moderner Skulptur" mit einer Neupräsentation der Sammlungen im Wilhelm Lehmbruck Museum Antworten geben.
Im Dezember 1905 riefen zwölf Duisburger Bürger zu Spenden für eine öffentliche Institution zeitgenössischer Kunst in Duisburg auf. Dies ist die Geburtsstunde der heutigen Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum - Zentrum international er Skulptur. Da die erhofften Spenden aber ausblieben, übernahm der Duisburger Museumsverein zusätzlich die Aufgabe, zeitgenössische Kunst anzukaufen. Dies geschah im Jahre 1906. Kunstgeschichten der modernen Skulptur lehren uns, daß das Jahr 1905 zugleich das Geburtsjahr der modernen Skulptur war. So fallen das Geburtsjahr der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum und der modernen Skulptur zusammen. Da aber erst 1906 die ersten Aktivitäten des Museums zu erkennen sind, feiert die Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum ihr Jubiläum ein gutes Jahr lang von September 2005 bis Januar 2007. Von September 2005 bis Juli 2006 stand die gesamte Sammlung unter dem erstmals präsentierten Thema "Das Menschenbild der Moderne", ausgehend vom Lebenswerk Wilhelm Lehmbrucks und der Sonderausstellung "Lehmbruck, Rodin und Maillol". Die zweite Jubiläumsausstellung, die derzeit zu sehen ist, befragt komplex "Das Jahrhundert moderner Skulptur", wie es in keinem anderen Museum in Europa zu erleben ist.
Wie Fotografien am Beginn der Ausstellung dokumentieren, führen drei historische Sammlungspräsentationen auf die Jubiläumsausstellungen zu. 1964, zur Eröffnung der ersten beiden Bauabschnitte des Wilhelm Lehmbruck Museums, als die Sammlung insgesamt erst über 1200 Werke verfügte, ergänzten sich komplementär das Lebenswerk Wilhelm Lehmbrucks im Lehmbruck-Trakt und die Sammlung internationaler Skulptur und deutscher Malerei des 20. Jahrhunderts in der Großen Halle. Bis 1987 konnten allerdings immer nur kleine Ausschnitte aus der Sammlung internationaler Skulptur gezeigt werden, weil es keine eigenen Räume für Wechselausstellungen gab. Mit der Eröffnung des dritten Bauabschnitts 1987 konnte erstmals wieder eine erweiterte Sammlungspräsentation "Von Lehmbruck bis Beuys" präsentiert werden (bei einem nun gewachsenen Bestand von 2880 Werken). Die dritte und im wesentlichen bis 2005 gehaltene Sammlungspräsentation erfolgte 1991 nach Abschluß der Altbau-sanierung in einem großen chronologischen Bogen von "Lehmbruck bis heute" und unter Einschließung von Themenräumen sowie monografischen Künstlerräumen. Die jetzige Jubiläumsausstellung erhält zusätzliche Akzente durch eine Reihe von bedeutenden Neuerwerbungen: unter anderem von Bernard Schultze, Max Bill und Jean Tinguely. Zur Verstärkung einiger skulpturaler Positionen konnten ganze Werkgruppen als Leihgaben gewonnen werden: Fotografien von Constantin Brancusi zur "Weißen und blonden Negerin" aus dem Centre Pompidou in Paris (bisher niemals ausgestellt), die Flughafenprojekte von Georges Vantongerloo und Skulpturen von Max Bill aus der Stiftung Haus Bill in Zumikon / Schweiz. Darüber hinaus konnten schließlich zahlreiche Werke aus den Depotbeständen des Museums in die Sammlungsräume integriert werden, die entweder niemals zuvor oder nur selten ausgestellt worden sind.
Zwei Sonderausstellungen innerhalb der Jubiläumsausstellung setzen zusätzliche Akzente: Das Lebenswerk Wilhelm Lehmbrucks mit 115 ausgestellten Werken (55 Skulpturen, 15 Gemälde, 40 Zeichnungen und 5 Druckgrafiken) wird unter der Fragestellung der Farbigkeit im Werk des Künstlers präsentiert. Und bis zum 14. Januar 2007 zeigt das Kindermuseum die Ausstellung "Jean Tinguely - Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht".
Die gesamte Sammlung der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum umfaßt heute 6500 Werke. Aus diesem Fundus wurde für die Jubiläumsausstellung eine Auswahl von 663 Werken von 264 Künstlerinnen und Künstlern aus 26 Staaten Europas, Ostasiens und Amerikas getroffen. Diese Zahlen beziehen sich auf die Ausstellung im Museumsgebäude, auf dem Skulpturenhof und im Kant Park sowie im Duisburger Stadt-raum und in seinen öffentlichen Gebäuden. Neben den 115 Werken von Wilhelm Lehmbruck zeigt die Auswahl deutsche und internationale Künstler mit 244 Skulpturen, 16 Gemälden, 107 Zeichnungen, 23 Druckgrafiken, 146 Fotografien und 6 Bildhauerfilme, zusammen 542 Werke. Ein Blick auf die Länderbeteiligung zeigt, daß Deutschland mit 103 Künstlerinnen und Künstlern vertreten ist, die übrigen Länder Europas mit 95 Künstlerinnen und Künstlern und die außereuropäischen Länder mit 30 Künstlerinnen und Künstlern. Mit anderen Worten: Das Jahrhundert der modernen Skulptur wird als Jahrhundert des westlichen Kulturkreises präsentiert, und zwar im Schnittpunkt von dominanter Internationalität, deutscher und regionaler Skulptur. Die zukünftige Aufgabe der Sammeltätigkeit wird deshalb nicht nur darin bestehen, noch vorhandene Lücken zu schließen, sondern auch die Globalität der Sammlung zu erweitern. wlm
Die Ausstellung "100 Jahre - 100 Köpfe" im Duisburger Wilhelm Lehmbruck Museum - Zentrum internationaler Skulptur, Friedrich-Wilhelm-Straße 40, 47051 Duisburg, ist Dienstag bis Sonnabend von 11 bis 17 Uhr, Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt: 5 / 2,50 Euro, bis 28. Januar 2007. |
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