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Vor zwei Jahren berichtete die Presse, Pioniere der Bundeswehr sollten bei der Sanierung der maroden sowjetischen Ehrenmale in Berlin helfen. Doch die Bundeswehr kann nicht nur Sowjetehrenmale erhalten, sondern sie kann auch Gräber schleifen. So geschehen am 31. Januar 2000 in dem kleinen Ort Saaleck am Fuße der Burg Saaleck an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dort erschien zur Überraschung der Bevölkerung eine Pioniereinheit aus der Bundeswehrkaserne Weißenfels mit schwerem Gerät auf dem Friedhof, auf dem kaum noch Menschen beerdigt werden, um einen Grabstein zu entfernen. Herbeigeeilte besorgte Bürger befragten den Kommandoführer und erfuhren, daß der Grabstein auf einen Bundeswehrschießplatz verbracht und dort gesprengt werden sollte.
Es war dieses kein Erinnerungsstein an sowjetische Helden, versteht sich, sondern ein Stein, der seit Jahrzehnten, und das auch während der Zeit der DDR, auf jenem Grab gelegen hatte, in dem seit 1922 zwei junge Offiziere der ehemaligen Kaiserlichen Marine ruhen, nämlich die beiden Leutnante A. D. Erwin Kern und Hermann Fischer. Die beiden Angehörigen eines früheren Freikorps, der Marinebrigade Ehrhardt, hatten sich mit einigen Kameraden verschworen, den damaligen Reichsaußenminister Walther Rathenau zu ermorden.
Rathenau war für sie die Symbolfigur einer Politik, die nach der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg durch Wohlverhalten und buchstabengetreues Erfüllen der grausamen Bedingungen des Versailler Friedensvertrages den Siegern beweisen sollte, daß sich Deutschland im Sinne der Siegermächte gewandelt habe und daher Gnade verdiene. Kern und Fischer hingegen sahen in solcher Politik den Untergang des deutschen Volkes und wollten statt dessen, daß Deutschland sich wehrt. Der Mord an Rathenau sollte ein Fanal sein, das die nationale Revolution befördert.
Nach dem Attentat verbargen sich Kern und Fischer auf der Burg Saaleck. Die ausgesetzte Belohnung von insgesamt 4,5 Millionen Mark verdienten sich zwei Staatsbürger, sie erkannten die gesuchten Attentäter auf der Burg und meldeten sie der Polizei. Bei der Belagerung fiel Kern durch eine Polizeikugel, Fischer erschoß sich. Das war am 17. Juli 1922. Vier Tage danach trugen Studenten der Universität Jena und des Thüringer Technikums Bad Sulza die Särge mit Fischer und Kern auf dem kleinen Friedhof der Gemeinde Saaleck zu Grabe.
Zwar hatten Elemente der DDR die Widmung auf dem Grabstein "Tu, was du mußt, sieg oder stirb und laß Gott die Entscheidung" von Ernst Moritz Arndt entfernt, doch berührte sonst niemand die Grabstätte. Gelegentlich wurden Blumen auf das Grab gelegt. Bei einer solchen Gelegenheit im Jahre 1997 gebärdete sich die evangelische Pastorin von Saaleck ungewöhnlich; sie sprang auf dem Grab herum und beschimpfte mit schriller Stimme die Besucher als "Faschisten". Sie erstattete sogar Anzeige bei der Polizei, die aber, da kein strafbarer Tatbestand vorlag, sich nicht weiter kümmerte.
Die Pfarrerin aber ließ nicht locker und tat alles, um das Grab verschwinden zu lassen. Tatsächlich war das Grab wie viele andere alte Gräber auf dem Friedhof auch nicht mehr bezahlt. Es störte aber niemanden, denn Beerdigungen finden dort kaum noch statt. Auf dem Umweg über ihren Amtsbruder, den Standortpfarrer, der für die Bundeswehr in jener Gegend zuständig ist, erwirkte sie, daß tatsächlich eine Pioniereinheit aus der Bundeswehrkaserne Weißenfels den Grabstein wegschaffte.
Auf Nachfrage beim zuständigen Verteidigungsbezirkskommando 81 in Halle erfuhren empörte Einwohner des Ortes, daß dort über den Einsatz keine Information vorlag. Als sie weiter nachbohrten, erklärte die Bundeswehr, sie habe der Kirche "Amtshilfe" leisten müssen. Das verwirrte die Bürger vollends, gibt es doch in Deutschland eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Ein Bundeswehroffizier schob die Verantwortung auf den anderen. Es gab einander widersprechende Informationen. Bürger erfuhren, daß der Stein immerhin noch unzerstört auf Bundeswehrgelände lagert.
Inzwischen haben Bürger von Saaleck den Antrag gestellt, die Grabstätte von Fischer und Kern zu pachten, doch haben sie wenig Hoffnung, daß der Gemeindekirchenrat diesem Wunsche folgt.
Wie es mit dem Stein weitergeht, ist unklar. Mindestens müßte die Bundeswehr der Kirchengemeinde den Abtransport des Steines in Rechnung stellen. Auch wäre die Frage zu prüfen, wie weit die Grabesruhe gestört wurde. Ja, ob nicht sogar von Grabschändung gesprochen werden müsse.
Martin Lüders
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