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Seicht windet sich der Fluß durch die Landschaft. Die Idylle zieht schon seit Generationen fremde Völker an, und auch heute genießen die Touristen die Sehenswürdigkeiten der Region. Kriege und Intrigen wurden hier ausgefochten. In Folge des letzten Krieges, in dem die russische Soldateska das Land durchzog, wurde dieses Kleinod zu dem, was es bis heute ist - eine politische Exklave, über Jahrhunderte geprägt von deutscher Kultur.
Diese Beschreibung trifft auf Königsberg am Pregel zu. Sie trifft aber auch auf die Gemeinde Büsingen am Hochrhein zu. In der Tat. Jener kleine Flecken Erde in der Region von Schaffhausen ist eine Exklave; eine deutsche Exklave, die dem Landkreis Konstanz zugerechnet wird. Und ebenso richtig ist, daß in dem letzten Krieg, der in dieser Gegend stattgefunden hat, nämlich zwischen 1798 und 1801 in der Zeit der Helvetik, sich neben österreichischen und französischen auch russische Truppen gegenüberstanden. So wie für die Russen im kalten Krieg Königsberg als eisfreier Hafen in der Ostsee wichtig war, so galt die Büsinger Flußbiegung vor 200 Jahren als strategisch wichtige Übersetzstelle.
Die exakt 7,62 Quadratkilometer große Festlandinsel mit 1.500 Einwohnern in 900 Haushalten gehört seit 1805 zunächst zu Württemberg, bevor es badensisch wird. Es mag unbedeutend und auch den meisten -Lesern nicht bekannt sein. Doch was heißt das schon? Selbst das Auswärtige Amt in Berlin und sogar das Innenministerium in Baden-Württemberg konnten gegenüber dem zu dem Stichwort "deutsche Exklave in der Schweiz" keine Auskunft geben. Da ist es wenig verwunderlich, daß selbst Europapolitiker wie Elmar Brok, die mit der Lösung der Königsbergfrage beschäftigt sind, über Parallelitäten zwischen Königsberg und Büsingen noch nicht nachgedacht haben.
Vielleicht sind die Büsinger Buurefasnacht, die kleine von Papst Urban II. am 8. Oktober 1095 erstmalig urkundlich erwähnte Bergkirche, die eine Telekom- und die andere Swisscom-Telefonzelle im Ort sowie der ganz ausgezeichnete Büsinger Blauburgunder der altehrwürdigen Familie von Ow so nichtig, daß die deutsche Exklave sogar von deutschen Behörden übersehen wird.
Immerhin, wer als Deutscher in das deutsche Büsingen reisen möchte, der muß sich an der Schweizer Grenze ausweisen und kontrollieren lassen. Auch Büsinger müssen sich, wollen sie etwa in ihrer Kreisstadt Konstanz einkaufen, in die Schlangen der Grenzgänger zur Paßkontrolle einreihen. Kehren sie dann zurück, müssen auch sie im Zweifel die Waren verzollen. In Büsingen selbst findet der Reisende keine Schranken vor, denn das Örtchen gehört zum Schweizer Zollgebiet, derweil sich die Eurokraten zu Brüssel Gedanken über die Regelungen von Exklaven machen. Warum das Rad neu erfinden, wenn es schon in Nachbars Garage steht?
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit der Schweiz nach zwanzigjähriger Verhandlung 1964 einen Staatsvertrag geschlossen, in dem das Exklavendasein der Büsinger geregelt wird. So gibt der Büsinger Staatsvertrag z. B. Auskunft darüber, daß sich maximal zehn bewaffnete schweizerische Polizeikräfte auf deutschem Hoheitsgebiet aufhalten dürfen. Doch auch deutsche Polizeikräfte dürfen nur einzeln oder im Zehnertrupp über eine vorgegebene Strecke nach Büsingen einreisen. Sogar zu Kriegszeiten war der Transit der deutschen Soldaten aus Büsingen geregelt. Schon in beiden Weltkriegen durften die Büsinger den schweizerischen Gebietsstreifen bei Dörflingen nicht mit Waffe und in Uniform überschreiten. Am deutschen Zoll lagen Zivilkleider für sie bereit. Der Büsinger Staatsvertrag regelt heute auch Fragen des Straf- und Zivilprozeßrechts, die Landwirtschaft, den Notstandsfall, das Gesundheitswesen und die Mehrwertsteuer.
Unterm Strich: Das kleine Büsingen liegt auf Schweizer Wirtschafts- und Währungsgebiet und damit außerhalb der Schengener Grenzen. Das wirklich einzige Problem der Büsinger ist eine kleine Steuerungerechtigkeit. Die "Exklavinger" zahlen eine hohe deutsche Einkommenssteuer, haben aber auch die hohen schweizerischen Lebenshaltungskosten zu tragen. Doch auch solche Probleme sind grundsätzlich lösbar. Und Visa? Nein, Visa sind für die neutrale Schweiz nicht erforderlich. Warum auch, die Grenzkontrollen sind datenelektronisch unterstützt und in der praktischen Ausführung effizient. Büsingens Geschicke sind geregelt, und beide Staaten können damit ebenso gut leben wie die Büsinger selbst.
Diese Tatsache - wenn schon die historische Verantwortung für Königsberg nicht Motivation genug ist - sollte für Berlin Anlaß sein, seine Erfahrungen in die Lösung der Königsberg-Frage einzubringen. Nicht zuletzt: Ostdeutschland selbst war auch schon einmal eine Reichsexklave.
In Ostdeutschland selbst sollten keine Grenzschranken mehr stehen. Die Dreiteilung hat schon zu lange gewährt. Bleibt nur zu hoffen, daß die Verhandlungen in der Königsberg-Frage schneller als in der Büsingen-Frage zu einem guten Abschluß gebracht werde |
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