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Aus dem vereinzelten Experiment ist eine breite Bewegung geworden: Die Schuluniform erobert Schritt für Schritt die deutschen Klassenräume. Schon jetzt kündigen immer weitere Schulen und Klassen an, zum kommenden Schuljahr einheitliche Kleidung anzubieten, in Hamburg allein neun Lehranstalten.
Viele, denen der seit Jahrzehnten beklagte Zerfall der Gemeinschaft auf der Seele brennt, sehen die Entwicklung mit Wohlwollen. Die Gegner der Einheitskleidung, die die Individualität von Zehn- oder 14jährigen wegen der Uniformen in Gefahr sehen wollen, sind sichtbar in die Minderheit geraten. Gemeinschaftsgefühl fördern statt folgenlos über die fortschreitende Vereinzelung zu lamentieren - mit diesem Argument und dem freudigen Lächeln "uniformierter" Kinder, die sich stolz in der neuen Standartkluft ablichten lassen, haben die Uniformfreunde die Debatte offenbar für sich entschieden.
Man muß nur wenige Jahre zurückblättern, um ins Staunen zu geraten über die neue Entwicklung. Seichte Vorstöße, über Schuluniformen auch nur nachzudenken, wurden lange Zeit mit dem kompletten Repertoire pazifistischer oder "antifaschistischer" Demagogie ins Reich bräunlicher Finsternis verwiesen.
Heute plädiert selbst die SPD-Bundesministerin Brigitte Zypries für die einheitliche Schülertracht. Sind denn auf einmal alle ideologischen Scheuklappen abgefallen? Selbst die Gegner der Einheitskleidung verzichten auf polemische Tiraden und begnügen sich mit sachlichen Einwänden, und die gibt es durchaus: "Markenfetischismus" etwa läßt sich problemlos vom Herzeigen teurer Jacken auf das Präsentieren edler Uhren, Funktelefone, Schmuck oder Schuhe (letztere wollte bislang niemand vereinheitlichen) verlagern.
Vielleicht stecken aber auch weniger ideologische Läuterung und plötzliche Einsichtsfähigkeit hinter dem jähen Zusammenbruch der Front der strickten Uniformhasser als vielmehr ein ganz anderer, weitaus weniger vornehmer Beweggrund: Die Bildungspolitik hat - Pisa-bestätigt - jahrzehntelang grausam versagt. Ideologisch motivierte "Reformen" haben seit den 60er Jahren das einst weltweit bestaunte deutsche Bildungswesen verkrüppelt. Nachrichten wie die aus der Berliner Rütli-Schule lassen die Bildungspolitik im Verein mit Multikulti-Verirrung als einen einzigen Trümmerhaufen erscheinen. Die Schule als Spiegel des ganzen Landes: Aus dem Tritt geraten.
Doch die Bildungspolitiker streiten munter weiter. Dabei wandeln gerade Verfechter der Einheits- und Ganztagsschulen offenbar noch immer auf den ideologischen Pfaden, die einst schnurstracks in die derzeitige Misere geführt haben. Die 16 Kultusminister mit dem Verwaltungsmonstrum der "Kultusministerkonferenz" im Rücken kommen höchstens punktuell voran.
Wer in den großen Sachfragen aber nicht recht punkten kann, der verlagert sich gern auf äußerst symbolträchtige, in der Substanz aber kaum bahnbrechende Maßnahmen. Das nennt man "Symbolpolitik". Die Schröder-Ära war voll solcher Auftritte.
Die Uniformdebatte ist eine hervorragende Gelegenheit für Politiker, ideologische Unbefangenheit und Beweglichkeit mit der Bereitschaft zu "unkonventionellen Maßnahmen" zu markieren, ohne sich wirklich anstrengen zu müssen. Die Einheitskleidung fällt auf und gibt schöne Bilder ab, ihre Einführung ist schnell und günstig umzusetzen. Den Uniformgegnern von der GEW bietet sie die Chance, Standfestigkeit zu demonstrieren.
Die Schuluniformen selbst werden gewiß keinen Schaden anrichten. Eine "breite Debatte" haben sie aber auf keinen Fall verdient. Die muß um die harten Sachfragen kreisen, auf welche die Politik, längst nicht allein im Bereich Bildung, zu viele Antworten schuldig bleibt.
Stolz auf die Schuluniform: Die Hamburger Schülerin Gülistan präsentiert die mögliche Einheitskleidung ihrer Schule. |
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