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Ausgeflippt

 
     
 
Ein bißchen Spaß muß sein – Roberto Blancos Stimmungs-Schlager hätte sich gut gemacht als Hymne des Grünen-Parteitags: Politik als Gaudi-Veranstaltung – man wird ja wohl auch mal "ausflippen" dürfen – war ja alles nicht so gemeint – es darf gelacht werden. Der Kanzler und Koalitionspartner Schröder hält sich an die Devise "Tiefer hängen". Sein Generalsekretär Müntefering, ein "Mann für’s Grobe", wie ihn sich die CDU nur wünschen könnte, belehrt das staunende Publikum, grüne Parteitagsbeschlüsse wie der zum Asylrecht bedeuteten nicht, daß sich "im parlamentarischen Raum irgend etwas bewegt". Aber was sollen sie dann bedeuten? Polit-Klamauk als unverbindliche Wochenend-Unterhaltung?

Die Massenmedien, insbesondere die elektronischen, erweckten einen ganz anderen Eindruck: Sie berichteten so ausführlich über das – nicht ganz zufällig
in den wahlkämpfenden Südwesten verlegte – "event", daß man fast schon glaubte, hier sei die mit Abstand bedeutendste politische Kraft Deutschlands, Europas, ja der ganzen Welt angetreten, um die Weichen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu stellen. Auf die Idee, daß diese "bedeutendste Kraft" in Wirklichkeit bei der letzten Bundestagswahl lediglich 6,7 Prozent der Zweit- und sogar nur 4,97 Prozent der Erststimmen holen konnte, kam man angesichts der ausufernden Parteitagsbejubelung nicht.

Aber wie war es denn damals, als die Grünen sich als Ausfluß der 68er-Bewegung zu etablieren begannen? Da hat man doch auch – wie heute Schröder und Müntefering – gesagt: Diese Polit-Clowns braucht man doch nicht ernst zu nehmen!

Hätte man sie damals ernst genommen, um unsere Gesellschaft wäre es heute wohl um einiges besser bestellt. Vieles von dem, was damals als Utopie, Spinnerei und wirklichkeitsferne Träumerei ohne die geringste Chance der Realisierung belächelt wurde, ist längst Realität. Und bei den wenigen, die schon damals vor den gefährlichen, gesellschaftsverändernden Langzeitwirkungen dieses Polit-Chaotentums warnten und die dafür als "Ewiggestrige", "Reaktionäre" oder Schlimmeres verunglimpft wurden, sollte man heute Abbitte leisten.

Die Parteitagsforderung, zum alten Asylrecht zurückzukehren, ist genau das richtige Beispiel dafür. FDP-Überflieger Westerwelle hat es mit der ihm eigenen rhetorischen Direktheit gesagt: Allein schon ein solcher Gedanke löse "helles Entsetzen" aus – bei den Wählern in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg!

Darum also geht es, wenn empfohlen wird, die Beschlüsse der Grünen nicht so ganz ernst zu nehmen: Vor Wahlterminen darf Seine Souveränität der Wähler nicht nervös gemacht werden. Gemeint ist damit aber offenbar nur der Teil der Wählerschaft, der sich irgendwo in dem breiten Spektrum zwischen alt-kommunistisch und neo-liberal bewegt; alle anderen sind eh "rechts" und damit aus politisch korrekter Sicht ohnehin nicht ernst zu nehmen. Aber was ist, wenn unser Land wieder in eine jener selteneren Phasen kommt, in denen die Politiker nicht nur an unmittelbar bevorstehende Wahltermine denken müssen? Dann – so ist zu befürchten – wird weder Herr Westerwelle noch sonst jemand Rücksicht nehmen auf das "helle Entsetzen" der Bürger, in der berechtigten Hoffnung, daß die sich bis zur nächsten Wahl wieder beruhigt und alles vergessen haben werden. Dann wird auch für Herrn Schröder nicht alles so "bleiben, wie es ist", und für Herrn Müntefering wird sich vielleicht doch "irgend etwas bewegen".

Machen wir uns doch nichts vor: Ein Großteil jener nichtbürgerlichen Politiker, die Anfang der 90er Jahre der Asylrechtsänderung zustimmten, tat dies doch nicht aus innerer Überzeugung, sondern unter äußerem Druck – eine halbe Million Asylbewerber pro Jahr, das war eine Zeitbombe, die alle linken Regierungs-Träume zu zerfetzen drohte.

Wer heute bei der Diskussion um Einwanderungs- und Ausländerrecht genau hinhört und zwischen den Zeilen liest, muß wissen, daß sich im "günstigen Moment" eine Mehrheit für eine Revision der damaligen Asylrechtsreform finden würde. Ob direkt, wie es der Grünen-Parteitag jetzt forderte, oder durch die Hintertür, hängt vom Zeitpunkt und den dann herrschenden taktischen Erfordernissen ab.

Und dann hätten die Grünen, die man angeblich nicht ernst zu nehmen braucht, wieder einmal eines ihrer ideologischen Ziele erreicht. Ob unser Volk daran viel Spaß haben wird, darf allerdings bezweifelt werden.

 
     
     
 
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