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Brüssel - der organisierte Wahnsinn

 
     
 
Was waren das für gute alte Zeiten: Da sangen fröhliche Kinder "Im Märzen der Bauer …", die etwas Älteren freuten sich schon darauf, auf Goethes Spuren zu lustwandeln und zu schauen, ob nun endlich Ströme und Bäche vom Eise befreit sind, Freudenfeuer kündeten vom nahenden Frühjahr, verjagten den Winter und begrüßten die wiederbelebte Natur.

Was heute unsere "Kids" rappen, hat mit dem einst besungenen Bauern nur noch wenig zu tun – allenfalls mit jenen Fäkalien, die man früher zum Düngen der Felder nahm. Vom Eise befreit sind nicht nur Ströme und Bäche, sondern zunehmend auch Alpengletscher und grönländisches Hinterland
. Und was da aus England zu uns Kontinentaleuropäern herüberscheint, sind keine Freudenfeuer, sondern Fanale: Tausende von Tieren werden verbrannt, weil nach BSE nun auch noch die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist.

Die Flammen, die in England und vielleicht bald auch bei uns lohen, könnten noch eine andere Bedeutung haben: Totenfeuer der europäischen Landwirtschaftspolitik! Es scheint, als bekämen wir jetzt die Quittung für die Fehler, die jahrzehntelang in Brüssel, aber genauso auch in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten begangen wurden. Und obwohl wir durch immer gigantischere Milliardensummen in den EU-Agrarkassen einiges gewöhnt sind, können wir jetzt schon sagen: Der Preis, den wir nun zu zahlen haben, ist entschieden zu hoch.

Euro-Skeptiker haben schon lange gewarnt vor einer Agrarpolitik, der nichts anderes einfällt, als die Bauern in anfangs sechs, heute fünfzehn Staaten Europas zur Produktion nicht benötigter Lebensmittel zu animieren, diese Überschüsse jahrelang zu lagern und am Ende dann zu vernichten – jeder einzelne dieser Schritte verbunden mit Kosten in Milliardenhöhe.

Aber die kritischen Stimmen blieben meist ungehört. Zumindest konnten sie nicht verhindern, daß sich das Brüsseler System zum "Selbstläufer" im Sinne des sogenannten Parkinsonschen Gesetzes entwickelte – eine wuchernde Verwaltung, die sich jeder Kontrolle von außen entzieht und am Ende vor allem damit beschäftigt ist, sich selber zu verwalten. Das System verdient (nicht erst seit dem Auftreten von BSE) nur einen Namen: der organisierte Wahnsinn. Von der organisierten Kriminalität unterscheidet es sich vor allem dadurch, daß letztere von der internationalen Staatenwelt mehr oder weniger heftig bekämpft, ersterer hingegen von eben dieser Staatenwelt organisiert und von deren Bürgern unfreiwillig finanziert wird.

Die Bauernverbände der EU-Staaten haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ebenfalls nicht immer mit Ruhm bekleckert. Statt voreiliger Schuldzuweisungen sollte man aber bedenken: Was blieb den Landwirten Europas denn anderes übrig, als sich mit diesem Brüsseler System zu arrangieren, die eigene Existenz zu sichern und wenn möglich davon auch etwas zu profitieren? Natürlich gibt es immer wieder einzelne, die in diesem Dschungel von Prämien – mal für’s Aufzüchten, dann für’s Abschlachten, mal für’s Anpflanzen, dann für’s Abfackeln – sich mit kriminellen Methoden bereicherten. Aber für die breite Mehrheit unserer Bauern trifft das nicht zu. Ihnen wäre allenfalls der Vorwurf zu machen, allzu bereitwillig manche von Brüssel geweckte Begehrlichkeit aufgenommen und allzu leichtfertig manche traditionelle Tugend ihres Berufsstandes aufgegeben zu haben.

Ein Beispiel aus der angeblich hei-len Welt des oberbayerischen Alpenvorlandes: Dort tendieren jüngere Hoferben immer häufiger dazu, ihr Weideland an zahlungskräftige Bauwillige (Preiß’n bevorzugt!) zu verkaufen und das Vieh im Stall zu mästen – womit, das weiß man spätestens seit der jüngsten BSE-Krise. Von lobenswerten Beiträgen zu Landschafts- und Naturpflege oder Förderung der Volksgesundheit kann da ja wohl keine Rede sein.

Die europäische Landwirtschaftspolitik ist mit BSE und Maul- und Klauenseuche am absoluten Tiefpunkt angelangt. Auch wenn die EU-Kommission mit hirnrissigen Massenabschlachtungen und milliardenschweren Sonderprogrammen versucht, zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist.

Vielleicht kann Berlins neue Landwirtschafts- und Verbraucherministerin ja zur Abkehr von diesem System des organisierten Wahnsinns beitragen. Immerhin hatte sie keinen schlechten Start.

Sollte Frau Künast tatsächlich die Wende schaffen – weg von der Agrarindustrie, hin zu verbraucherfreundlichem, an traditionellen Tugenden orientiertem Landbau –, dann wäre das im übrigen auch das erste Beispiel, daß die Grünen doch mehr können, als nur leeres Stroh dreschen – oder Polizisten verdreschen …

 
     
     
 
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