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Mit einer Volksabstimmung über den Euro ist im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland im Laufe des Jahres 2004 zu rechnen. Das ist zumindest die Meinung des britischen Botschaftssprechers in Paris, den der Verfasser bei einem informativen persönlichen Gespräch hat interviewen können. Eindeutig habe der Premierminister Tony Blair im letzten Wahlkampf angekündigt, daß er nach einem Plebiszit zu dieser Frage strebe.
Großbritannien sei zwar eine parlamentarische Demokratie , so daß man von einer langen Vordebatte im Unterhaus ausgehen könne, aber wenn der Text der Frage, die dem britischen Wähler vorgelegt wird, vom britischen Labour-Kabinett klar formuliert wird, würden die Parlamentarier nicht viel zu entscheiden haben. Nach Ansicht des britischen Diplomaten wäre das Wichtigste für Tony Blair, daß niemand nach der Volksabstimmung etwas zu beanstanden hat, daß klar ist, ob deren Ergebnis zum Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Euro-Zone führt oder nicht. Derzeit wäre sich das Londoner Kabinett darin einig, daß die Volksabstimmung stattfinden müsse, und die Meinungsunterschiede zwischen Blair und seinem Finanzminister Gordon Brown seien eher als technisch denn als politisch anzusehen.
Die „Bank of England“, die als Hüterin der Währungsstabilität fungiere, würde keinen politischen Standpunkt in dieser Frage einnehmen. Mit einem Diskontsatz von vier Prozent solle man derzeit rechnen, und zahlreiche Wirtschaftskreise seien der Ansicht, der Sterling sei gegenwärtig zu hoch, was die stark vom Außenhandel abhängige britische Wirtschaft benachteilige.
Gegenwärtig sei die Öffentlichkeit jenseits des Ärmelkanals völlig gespalten in dieser Frage. 50 Prozent des Wahlvolks sei noch unentschieden, während jeweils 25 Prozent für die Einführung des Euro beziehungsweise dagegen seien. Entgegen einer auf dem Festland weit verbreiteten Meinung könne man nicht davon ausgehen, daß die Finanzkreise der Londoner City der Anhängerschaft des Euro zuzurechnen seien. Der Kernpunkt der Frage liege darin, wie London ausländisches Kapital auf die Insel holen könne, das derzeit lieber nach den Staaten der Euro-Gemeinschaft fließe, da die Schwäche des Euro für Investoren wie Sony oder Toyota als höchst profitabel gelte. In diesem Sinne würden harte Verhandlungen über den Wert des Sterling gegenüber dem Euro erwartet, falls das Pfund sich dem Euro anschließe.
Auf jeden Fall sei die Meinung der Briten hinsichtlich des europäischen Einigungsversuchs und Aufbaus höchst emotional. Der Durchschnittsbürger befürchte, die Londoner Demokratie würde ihre Unabhängigkeit im Zuge des Brüsseler Föderalismus verlieren. Das würde erklären, warum die Arbeitnehmerschaft und die mächtigen Gewerkschaften, die normalerweise Labour unterstützen, in der Debatte um die Einführung der europäischen Einheitswährung keine feste Meinung einnehmen können.
Die Befragung des britischen Volks (einschließlich der Bevölkerung von Nordirland) in Form eines Referendums sei sehr selten. Unter Tony Blair wurden schon zwei Volksbefragungen durchgeführt, eine in Wales und die andere in Schottland. Es ging damals um die Machtbefugnisse der Lokalparlamente. In der Zeit der Konservativen fand 1972 ein Referendum statt. Damals stimmten die Briten für den Beitritt ihres Landes in die Europäischen Gemeinschaften.
Jetzt geht es um den Euro, und nach Ansicht unseres Gesprächspartners wird alles für die Briten davon abhängen, wie der Euro sich ab dem 1. Januar des kommenden Jahres in der Alltagspraxis durchsetzt. Ungeachtet der Erwägungen der Londoner Politiker könnte sich das britische Volk durch Erfolge der Einheitswährung in der Praxis überzeugen lassen. Derzeit ist es schwierig, trotz der überwältigenden Blairschen Mehrheit im Parlament etwas vorauszusagen. P. C.
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