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Debatte um den Bombenkrieg und Jörg Friedrichs Buch Der Brand

 
     
 
Wieder andere waren in der Glut so zu Asche geworden, daß man die Überreste mehrköpfiger Familien in einem einzigen Waschkorb davontragen konnte". Das Grauen des Luftkrieges ist in Deutschland lange Zeit relativ marginal untersucht worden. Die ungeheuere Dimension der Vernichtung wurde eher selten mit ganzer Schärfe dargestellt. Jörg Friedrich, einem Außenseiter der Historikerzunft, blieb es vorbehalten, in "Der Brand" den "Totengesang auf die verlorene Vergangenheit" deutscher Städte anzustimmen.

Friedrichs monumentales Werk löste in Großbritannien und Deutschland nicht nur bei Wissenschaftlern heftige Streitigkeiten aus. Die Bild-Zeitung druckte Teile des Buches ab; massive Gegenangriffe des Daily Telegraph folgten. Ist Winston Churchill als Kriegsverbrecher zu beurteilen? War der gegen Deutschland geführte Luftkrieg ein Massenmord?

Lothar Ketten
acker, der am Deutschen Historischen Institut in London arbeitet, hat ein interessantes Buch herausgegeben. Darin diskutieren und bewerten Deutsche und Engländer, Historiker und Publizisten Friedrichs provokante Thesen. Die meisten Texte erschienen bereits in Zeitungen; andere Beiträge sind eigens für diesen Band verfaßt worden.

Warum fristete die Erinnerung an das Bombenmassaker, dem etwa 600.000 deutsche Zivilisten, davon 15 Prozent Kinder, zum Opfer fielen, im Vergleich zur Holocaust-Debatte ein Schattendasein? Die Sorge vieler Ideologen, Schuld könne "aufgerechnet" werden, ein Vorwurf, der jetzt auch gegen Friedrich erhoben wird, ist sicher an erster Stelle zu nennen. Auch wollte man in der Zeit des Kalten Krieges, wie manche Autoren glauben, die Westmächte nicht in Verlegenheit bringen.

Im ersten Teil des Buches analysieren Militärhistoriker allgemeine Hintergründe des Luftkrieges, die Friedrich zu wenig berücksichtige.

Übten Briten und Amerikaner letztlich nur "Vergeltung"? Richard Overy und Horst Boog halten diese These für wissenschaftlich überholt. Schon 1917/18 und während der 20-er Jahre erwogen britische und amerikanische Experten, in einem künftigen Krieg die Zivilbevölkerung des Gegners anzugreifen, um die Widerstandskraft der arbeitenden Bevölkerung zu untergraben. Die Idee des "moral bombing", der Glaube, daß man das feindliche Land dort treffen müsse, wo es am schwächsten sei, war lange vor 1939 geboren.

Seit Anfang 1942 unterschieden Briten und Amerikaner nicht mehr zwischen militärischen und zivilen Zielen und praktizierten flächendeckende Bombenangriffe gegen Deutschland. Sie hofften, den deutschen "Sozialkörper", besonders die Arbeiterschaft, zu brechen.

Luftmarschall Harris betonte 1943, daß England "die deutschen Städte und ihre Einwohner auslösche". Deutschland sollten, verkündeten britische Offizielle, "die Eingeweide herausgerissen" werden. Churchill und Roosevelt billigten vorbehaltlos diese Strategie. Der britische Premierminister redete von "Ausrottung" und gedachte, "menschenleere Räume" zu schaffen. In den letzten sechs Monaten des Krieges, als die Entscheidung längst gefallen war, hagelten ebenso viele Bomben auf Deutschland wie in der gesamten Kriegszeit vorher. Jetzt erst sanken Städte wie Dresden, Würzburg und Potsdam in Schutt und Asche.

Die meisten Autoren sind davon überzeugt, daß die alliierte Luftoffensive scheiterte. Es sei erwiesen, schreibt Hans Mommsen, daß die Bombenangriffe fatalerweise die Soldarisierung der Deutschen mit dem NS-Regime verstärkten. Auch gelang es nicht, das deutsche Wirtschaftssystem spürbar zu schwächen, sondern die Rüstungsindustrie steigerte ihre Produktion.

Die zweite Hälfte des Buches beinhaltet die deutsche und britische "Opferdebatte", die Friedrich ausgelöst hat.

Der rein wissenschaftliche Ertrag von "Der Brand" mag eher dünn ausfallen. Doch wolle Friedrich vor allem, darin sind sich die meisten Autoren einig, die Tragödie des sinnlosen Massensterbens und eine gemordete Stadtkultur betrauern. Andere wiederum befürchten, daß Friedrich, obwohl er über den Holocaust geforscht hat, dem "Geschichtsrevisionismus" und der "Aufrechnung" Vorschub leiste.

Als extremes Beispiel hierfür darf der konservative britische Autor Correli Barnett gelten. "Nun hat sich Jörg Friedrich diesem gefährlichen Pack von Revisionisten angeschlossen, die Großbritannien einen historischen Dolch in den Rücken stoßen". Hans-Ulrich Wehler unterstellt Friedrich, dieser wolle das jahrelange Bombardement als "Unikat" des Massenmordens interpretieren, betrachte es isoliert vom übrigen Kriegsgeschehen und betreibe einen "modischen Opferkult", indem er Holocaust und Luftkrieg semantisch gleichsetze. So bezeichne Friedrich Bomberpiloten als "Einsatzgruppen" und Keller als "Krematorien".

Darf man derartige Vergleiche prinzipiell nicht anstellen? Die Vernichtung der Städte erfolgte in erster Linie durch "Feuerstürme", die Brandbomben verursacht hatten. Der Luftkrieg basierte auf der "Wissenschaft vom Feuer".

Klug und ausgewogen argumentiert die Schriftstellerin Cora Stephan. Friedrich relativiere nicht, sondern erzähle einfach nur Tatsachen, ohne sie explizit "verbrecherisch" zu nennen. Es sei absurd, eine Barbarei gegen die andere aufwiegen zu wollen. Aber Friedrich mache klar, daß die einstigen Sieger ihre Verstrickungen in schweres Unrecht ebenso zu bewältigen hätten. Diese Gedächtnislücke sei zu schließen, damit Europa ein "gemeinsames Fundament" erhalte. R. Helfert

Lothar Kettenacker (Hg.), "Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-45", Rowohlt, Berlin 2003, 192 Seiten, 14,90 Euro
 
     
     
 
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