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Dem politischen Reflex geschuldet

 
     
 
Der Beschluß der französischen Nationalversammlung, die Leugnung des Genozids an den Armeniern (1915) unter Strafe zu stellen, schlägt Wellen bis Deutschland. Hier hatte der Bundestag bereits vergangenes Jahr zumindest eine Resolution verabschiedet, die das Vorgehen der Türken gegen die Armenier während des Ersten Weltkriegs als "Genozid" verurteilte. Allerdings nicht, ohne umgehend eine "unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches" zu betonen, weil die Reichsregierung nichts unternommen habe, um die Massenmorde an den christlichen Armenier
n in der damals mit Deutschland verbündeten Türkei zu verhindern. Damit, so der CDU-Politiker Christoph

Bergner, sei Deutschland "in den Massenmord involviert". Auch Bergner forderte die Türkei auf, sich endlich zum Völkermord an den Armeniern zu bekennen, und verwies dabei auf Deutschland, dem es wohlgetan habe, alle möglichen Schulderklärungen im Laufe der Jahrzehnte abzugeben.

Seit Beginn der "Armenierdebatte" vor etlichen Jahren ist die Behauptung, Deutschland habe dem zweifelsfreien Massenmord der sogenannten "Jungtürken" an den Armeniern zugesehen, aber nichts dagegen unternommen, um die mit dem Reich verbündete Türkei nicht zu verärgern, zu einer Art historischem Allgemeingut geronnen.

Bei einer kritischen Prüfung der immer wieder herangezogenen Quelle, nämlich der "Sammlung diplomatischer Aktenstücke Deutschland und Armenien 1914 bis 1918", herausgegeben von Jo-hannes Lepsius 1919, stellt sich jedoch genau das Gegenteil heraus. Schon sehr früh hatte die deutsche Botschaft in der Türkei von der Vertreibung und der Ermordung von Armeniern berichtet sowie von Verfolgungen, die von der türkischen Seite mit der auch den Tatsachen entsprechenden Behauptung begründet worden waren, Armenier würden mit dem russischen Gegner zusammenarbeiten.

Allmählich wurde der deutschen Seite bekannt, daß es sich nicht um einzelne Ausschreitungen handelte, sondern um Massenmord großen Stils. Schon am 4. Juli 1915 überreichte der Bot-schafter des Deutschen Reiches, der der persönliche Repräsentant des Kaisers war, dem türkischen Großwesir ein Protest-Memorandum gegen die "Massacres und Plünderungen", dem eine weitere Protestnote am 9. August folgte. "Bis 1918 brachten nacheinander fünf deutsche Botschafter sowie ihre zwischenzeitlichen Vertretungen aufgrund der ständigen Konsular- und vieler anderer Berichte in persönlichen und schriftlichen Vorstellungen bei den führenden Persönlichkeiten der Hohen Pforte, der Sitz der türkischen Regierung, immer wieder ihre Mißbilligung über die Greuel und ihre dringlichen Aufforderungen zur Kursänderung zum Ausdruck." Sie meldeten nicht nur "in drastischen Schilderungen" das Ausmaß der Verfolgungen, sondern taten auch teilweise unter Lebensgefahr alles ihnen vor Ort Mögliche zum Schutz und zum Überleben der Armenier schildert.

Die deutsche Botschaft und ihre Konsulate waren Anlaufpunkte für Hilfsgesuche und Angebote aller Art - auch der USA. Reichskanzler und Auswärtiges Amt berichteten von ihren Einsprüchen bei Besuchen der türkischen Machthaber in Berlin und unterstützten, zusammen mit der Obersten Heeresleitung, nach Kräften die Tätigkeit deutscher Stellen für die Armenier im Osmanischen Reich und im Kaukasus.

Mehr konnte nun in der Tat das Deutsche Reich nicht tun. Machtmittel, um den Jungtürken, der treibenden Kraft der Verfolgung, entgegenzutreten, hatte das Reich nicht, es sei denn, man wollte das Bündnis mit der Türkei aufkündigen. Das aber wäre aus Gründen der Staatsräson wohl keinem Staat zuzumuten gewesen. Auch hatten einst Großbritannien und die USA das Bündnis mit der Sowjetunion nicht aufgekündigt, obwohl sie sehr wohl wußten, daß Stalin in Gefangenschaft geratene polnische Offiziere in Massen liquidieren ließ, Mitglieder der Intelligenz eines Landes, für dessen Existenz Großbritannien nach offizieller Lesart in den Krieg gezogen war.

Es ist historisch nicht zu rechtfertigen, Deutschland im Hinblick auf die Türkenmorde an den Armeniern verantwortlich zu machen. Es entspricht aber dem typisch deutschen Reflex der Schuldübernahme.
 
     
     
 
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