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Im Januar 1983 hatte ich im Alter von 45 Jahren meine Stelle als Chefredakteur de "Kulturpolitischen Korrespondenz" (KK) in Bonn angetreten. Mein Vorgänger be diesem Pressedienst des Ostdeutschen Kulturrates, Dr. Gerhard von Glinski, der damal schon hauptamtlich für den "Rheinische n Merkur" tätig war, wies mich in mein Arbeit ein.
Was folgte, waren über 600 von mir gestaltete KK-Ausgaben und eine Tätigkeit, die bi zum Schluß eine Entdeckungsreise in unbekannte Gegenden geblieben ist: in die einstige Ostprovinzen des Deutschen Reiches und in die deutschen Siedlungsgebiete zwischen Ostse und Schwarzem Meer.
Was mich außerdem reizte, war das Flair des Verbotenen, des geradez "Anrüchigen". Denn obwohl die Bundesregierungen, auch in den Jahren 1969-82 unsere Arbeit förderten, wurde sie in der kaum an Geschichte interessierte Öffentlichkeit nicht akzeptiert.
Man geriet, während sich nach dem Berliner Mauerbau 1961 eine au "Ostdeutschland" orientierte DDR-Forschung entwickelte, zunehmend in Erklärungszwang, wo denn dieses Ostdeutschland liege, mit dem man sich tagtäglic beschäftigte. Kopfschüttelnd tauchte die Frage auf, was denn die Polen davon hielten daß man ihre Westgrenze zu "deutschen Ostgebieten" deklarierte. Ob da nicht au unserer Seite "revanchistische Tendenzen" wirksam würden?
Der Ausreden und Rechtfertigungen gab es viele, um sich nicht mit der Geschichte un Kultur jener Gebiete beschäftigen zu müssen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vo Deutschland abgetrennt und deren Bewohner vertrieben worden waren. Auch das kommunistisch Polen wehrte sich gegen ostdeutsche Kulturarbeit, die als Teil eine "revanchistischen Politik" betrachtet wurde.
Daß das auch in Polen die Position einer Minderheit war, wurde nach 1989/90 imme offensichtlicher. Polnische Wissenschaftler sind es, die sich für die Erforschun ostdeutscher Geschichte einsetzen und mit deutschen Historikern gemeinsame Tagunge veranstalten.
Die westdeutschen Apologeten eines vermeintlich polnischen Standpunkts haben ihr Meinung im Status quo von 1989 eingefroren. Das hinderte sie freilich nicht, nach de Regierungswechsel von 1998 ministerieller Ehren teilhaftig zu werden und in eine administrativen Rundumschlag Strukturen zu zerstören, die in gut einem halben Jahrhunder gewachsen waren.
Es geht dabei keineswegs, wie man am 10. Juni in der "Stuttgarter Zeitung" lesen konnte, um "die Kultur der Vertriebenen", sondern um die Kultur alle Deutschen, von der ein Teil in Schlesien, Pommern, Ostdeutschland etc. entstanden ist.
Man muß wissen, daß Joseph von Eichendorff aus Oberschlesien stammt, wenn man sein Gedichte liest. Die Aufklärungsphilosophie des Königsbergers Immanuel Kant ist kei ostdeutsches Hirngespinst, sondern europäisches Kulturgut. Der Widerstand de ostdeutschen Adels gegen den Nationalsozialismus ist kaum verständlich, ohne daß man die Geschichte Preußens und seiner Eliten kennt.
Wer wie ich mit Flüchtlingskindern aus Schlesien und Ostdeutschland aufgewachsen ist sieht die Dinge anders. Der hat schon 1945 Namen wie Breslau, Stettin, Danzig gehört un wußte damit historische Fakten zu verbinden. Daß mein aus dem Harz stammender Großvate Bernhard Bilke (1881-1934) mehrere Jahre lang im schlesischen Waldenburg gelebt hat un dort auch begraben liegt, kam hinzu.
Minister Naumann, der aus Köthen in Sachsen-Anhalt kommt, kann das alles nich vorweisen. Die Flüchtlinge und Vertriebenen, die angeblich keine Versöhnungsbereitschaf zeigen, sind ihm fremd. Also nimmt er ihnen das, was ihnen als letztes verblieben ist, ih kulturelles Selbstverständnis, ihre Geschichte. Solche Absichten freilich bestreitet er wenn er alte Kulturlandschaften addiert wie Äpfel und Birnen. Oder aber er schiebt de von oben verordneten Sparzwang vor, wenn er Stellen streicht und Institute schließt.
Selbstherrlich verkündete der Bundeskulturbeauftragte Michael Naumann am 8. Februar in Berlin: "Das Schöne an unserer Regierung und meiner Behörde ist, daß wir in de ersten sechs Monaten alle Fehler aufgebraucht haben, die wir in vier Jahren hätten mache können. Ab jetzt machen wir alles richtig."
Dabei weiß er selbst, daß andere auslöffeln müssen, was er angerichtet hat. Im Jah 2002 nämlich, so ließ er am 25. Juli 1999 gegenüber "Bild am Sonntag" wissen werde er nicht mehr antreten, weil er dann wieder "Geld verdienen" müsse. Die 18 450 DM Ministergehalt sind ihm offensichtlich zu wenig.
Man täusche sich nicht: Diese neue Politik der Auslöschung deutsche Kulturlandschaften, die durch den Regionalegoismus einzelner Freundeskreisen noc erleichtert wird, ist erst der Anfang einer kulturellen Flurbereinigung, die ihre Wurzel in der Studentenrevolte der Jahre 1968/69 hat. Geschichtslosigkeit ist Trumpf, zu diskutieren gibt es da nichts mehr: Roma locuta, causa finita!
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