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Ihre Jugend verbrachten sie im gleichen Haus, wenn sie sich auch in dieser Zeit nicht näher kamen, schließlich lagen acht Jahre Altersunterschied zwischen ihnen. Der eine wird noch heute bewundert, während der andere allenfalls bestaunt, wenn nicht gar belächelt wird. Der eine, E.T.A. Hoffmann, lebte nach der Scheidung seiner Mutter im Hause seines Onkels Doerffer in der Königsberger Junkergasse, der andere, Zacharias Werner, war mit seiner Mutter nach dem Tod des Vaters, eines angesehenen Universitätsprofessors und Kustos der berühmten Wallenrodtschen Bibliothek , 1782 in das obere Stockwerk des Doerfferschen Hauses gezogen. Dort wuchs er unter der gemütskranken Mutter, die unter religiösen Wahnvorstellungen litt und meinte, mit Zacharias "den Heiland der Welt geboren zu haben", zu einem jungen Mann mit einem Hang zum Schwärmertum und Mystizismus heran.
Der am 18. November 1768 geborene Zacharias Werner widmet sich schon früh der Dichtkunst. 1789 erscheint ein erster Band mit Gedichten. Er studiert Jura, hört Vorlesungen von Kant und schwärmt von Jean Jacques Rousseau. In seiner "Ostdeutschen Literaturgeschichte", München 1977, erläuterte Prof. Dr. Helmut Motekat: "Werner verlieh den sozialen Gedanken Rousseaus ethische Prägung. Bei aller Verehrung Kants blieb ihm dessen Philosophie im Grunde unzugänglich. Umso tiefer wirkten Rousseaus Gedanken auf ihn ein. Für Zacharias Werner galt nach Rousseau: Gott ist in allen seinen Schöpfungen gegenwärtig, auch im Menschen, durch dessen gläubiges, unverdorbenes Herz er spricht. Folgt der Mensch der Stimme seines Herzens, dann handelt er nach Gottes Wohlgefallen."
Werner war derart begeistert, daß er alle seine Anliegen "Gott und dem heiligen Rousseau" anempfahl, weiß Motekat zu berichten. Eine Einstellung, die er auch anderen anheimstellt, etwa als E.T.A. Hoffmann ihn in verzweifelter Lage um Hilfe bittet. Hoffmann war wie Werner als Beamter durch die Besetzung Napoleons in "Neupreußen", einem Gebiet, das bei der mehrfachen Teilung Polens zu Preußen geschlagen wurde, arbeitslos geworden. Er war nach Berlin gegangen, wo er sich mit seiner Familie als Zeichner notdürftig durchs Leben schlug. Werner, der wie Hoffmann als Beamter zunächst in Plock und dann in Warschau eine Anstellung gefunden hatte, war schon 1805 nach Berlin gegangen, wo er sich eine Anstellung als Theaterdichter erhoffte. Allerdings vergeblich. Über Dresden und Prag kam er nach Wien, wandte sich nach Jena, wo er 1807 Goethe begegnete. Er folgte ihm nach Weimar. Dort erreichte ihn der Hilferuf Hoffmanns. Die Antwort des Gefährten aus Warschauer Tagen hat Hoffmann nie verwunden: "Mein verehrter Kunstfreund und Landsmann", schrieb Werner. "Ich schreibe Ihnen nur, daß ich Ihnen herzlich gut, herzlich für Ihr Andenken verbunden, grüßen Sie Frau und Kind; denken Sie auch ein bißchen an Gott!" - Dabei war Werner zu dieser Zeit ein gefeierter Dichter, der es sich durchaus hätte erlauben können, Hoffmann zu helfen. Sein Drama "Wanda, Königin der Sarmaten" wurde von Goethe im Hoftheater aufgeführt. Zuvor hatte sein Drama "Martin Luther oder die Weihe der Kraft" 1806 in Berlin unter Iffland Erfolge gefeiert. Ein anderes Werk allerdings, das sich mit dem Geschehen in Preußens Frühzeit beschäftigt, den Titel "Das Kreuz an der Ostsee" trägt und für das Hoffmann die Bühnenmusik schrieb, ist Iffland "zu kolossal"; es bleibt unvollendet und wird nie aufgeführt, allein Hoffmann erwähnt es später in seiner Erzählsammlung "Die Serapionsbrüder".
Das zunächst freundlich distanzierte Verhältnis zwischen Werner und Hoffmann kühlte nach dieser abschlägigen Antwort merklich ab. So charakterisiert er ihn später in seiner Erzählung "Berganza" (erschienen 1814 in "Fantasiestücke nach Callots Manier"), allerdings ohne Werners Namen zu nennen: "Er ist selbstsüchtig, eigennützig, perfid gegen Freunde, die es gut und redlich mit ihm meinen, und keck will ich es behaupten, daß nur das Auffassen und Verfolgen einer fixen Idee ohne einen eigentlichen innern Beruf ihn den Weg betreten ließ, den er nun für immer eingeschlagen. - Vielleicht dichtet er sich herauf bis zum Heiligen!" Die Wahnvorstellungen der Mutter werden auch nicht ausgelassen in dieser bissigen Charakteristik: "Er hielt sich für einen Auserwählten Gottes, der die Geheimnisse einer neuen geläuterten Religion verkünden solle; mit innerer Kraft, die ihn das Leben an den erkannten Beruf setzen ließ, hätte er ein neuer Prophet, oder was weiß ich, werden können; aber bei der angebornen Schwächlichkeit, bei dem Kleben an den Alltäglichkeiten des gemeinen Lebens, fand er es bequemer, jenen Beruf nur in Versen anzudeuten, ihn auch nachgerade zu verleugnen, wenn er seine bürgerliche Existenz gefährdet glaubte."
Als Hoffmann das schrieb, war Werner längst von Weimar in die Schweiz zu Madame de Stael und von dort über Paris nach Italien gelangt. In Rom trat er 1810 zum Katholizismus über, ein Schritt, der sich bereits in seiner Warschauer Zeit angebahnt hatte. Werner bereitete sich auf das Priesteramt vor, besuchte das Seminar in Aschaffenburg und wurde 1814 zum Priester geweiht. Als Kanzelredner wurde er in Wien gefeiert; literarisch allerdings arbeitete er nur noch wenig. So vollendete er das 1809 begonnene Drama "Cunigunde, die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin" und schrieb 1820 die Tragödie "Die Mutter der Makkabäer". Zacharias Werner starb am 17. Januar 1823, vor nunmehr 180 Jahren, in Wien.
Goethe, der nicht nur die "Wanda" in Weimar aufführte, sondern Werner auch zu dem Schicksalsdrama "Der 24. Februar" anregte, war zunächst amüsiert über den Mann aus Königsberg: "Werner macht mir Spaß, wenn ich sehe, wie er die Weiblein mit leidlich ausgedachten und artig gestutzten Theorien von Liebe, Vereinigung zweier prädestinierter Hälften, Meisterschaft, Jüngerschaft, verastralisierten Mignons zu be-rücken weiß; die Männer mit ineinandergeschachtelten Mönchs- und Rittergraden, mit nächtlichen Kirchen und Kappellen, Särgen, Falltüren, teuflischen Baffomethusköpfen, Geheimnisse mehr versprechenden als verbergenden Vorhängen so künstlich als listig anzuregen, ihre Neugierde zu hetzen, ihr eigenes dunkles Geheimnisreiches noch mehr zu trüben und zu verwirren und sie dadurch sämtlich für sich zu interessieren versteht." Als Werner jedoch in einem seiner Texte den vollen Mond mit einer Hostie vergleicht, grollt Goethe sehr ob "dieser schiefen Religiosität" (Fechter).
Werner, der Verfasser auch des großen dramatischen Gedichts "Die Söhne des Tals", das die Geschicke des Templerordens behandelt, gilt als der Dramatiker der deutschen Romantik. "Selbst von äußerst gespanntem Wesen", so Motekat, "vermochte er, tragische Gegensätze und von ihnen angetriebenes Geschehen in dramatische Dichtung umzusetzen ... In allen seinen Stücken greifen übernatürliche Mächte in die Handlung ein, meist ohne Rück-sicht auf den konsequenten Fortgang einer an sich dramatisch überzeugend aufgebauten Handlung. Diese Schwäche aller Werner schen Dramen, in der sich zugleich doch eine menschliche Qualität und Konsequenz der Persönlichkeit des Dichters dokumentiert, stellt sein Werk in die Nähe der Barockdichtung. Auf jeden Fall aber entfernt es sich von der Dramatik der deutschen Klassik."
Paul Fechter geht in seiner "Geschichte der deutschen Literatur", Gütersloh 1952, weitaus härter mit dem Königsberger und seinem literarischen Schaffen um: Er besitze zwar eine sehr starke dramatische Begabung, einen Blick des Gestalters für die Szene, aber zugleich auch ein undichterisches Verhältnis zur Welt. "Er dichtet nicht aus innerem Reichtum, sondern weil er inneren Reichtum sucht; sogar seine Religiosität ist die eines eigentlich unreligiösen Menschen ... Etwas von der Seelenneugier der frühen Romantik ist in ihm, und diese Neugier nimmt er wie die anderen für die dichterische Begabung, so wie man damals begann, Psychologisieren für Gestalten, begriffliche Bedeutsamkeit für dichterische Größe zu nehmen."
In seinem ersten Gedichtband wandte Zacharias Werner sich an sein erlauchtes Publikum: "Hier ist mein Werk ... nehmt ihr es gütig auf, so klatschet in die Hände! Wo nicht - so beug ich mich, nehm meinen Stab und wende von Hipponkrene ns Ufer um..." Sein Publikum damals hat applaudiert, meistens jedenfalls, und das ist viel ... Peter van Lohuizen |
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