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Der Feind hört mit

 
     
 
Es ist beeindruckend, wie sich die Dinge in der Geschichte wiederholen. Man hat seinerzeit von der Möglichkeit einer Demokratisierung von Rußland gesprochen, dann wurde die Unordnung der Wirtschaft unter Jelzin kritisiert. Daher haben viele einflußreiche Menschen in Europa wie in Amerika den Aufstieg von Wladimir Putin begrüßt, so wie man seinerzeit in Italien, als Mussolini seine Diktatur schuf, zu seinen Gunsten sagte: "Aber er hat doch die Züge wieder pünktlich fahren lassen."

Über Putin hört man Ähnliches. Blickt man über die letzten drei Jahre zurück, zeigt sich, wie sehr der Freiheitsraum der Bürger eingeschränkt worden ist. Rußland ist heute wieder ein Polizeistaat. Die Nachrichtendienste arbeiten nach dem alten stalinistischen
System, und der innere Aufbau des Regimes macht den Präsidenten in Wirklichkeit zum Diktator. Er und seine Mannschaft befehlen, das Volk muß gehorchen.

Es entsteht ein innerer Überwachungsapparat, und die Bürger werden, wie in den Zeiten von Stalin oder Hitler, nicht nur durch die Polizei kontrolliert, sondern auch durch ihre Nachbarn, die als Hilfswillige des Staates unter dem Vorwand, daß dies der Schutz gegen den Terrorismus sei, eingesetzt werden. In den Städten, aber auch in vielen Dörfern arbeiten erneut, wie seinerzeit, die so genannten Druschiniks. Seit einigen Monaten werden sie auch regelmäßig bezahlt; sie sind Hilfstruppen des Unterdrück-ungsapparates und nicht mehr Freiwillige. Gleichzeitig stellt man nunmehr zur Überwachung der öffentlichen Ordnung in den Städten die "gesellschaftlichen Punkte" auf, also Posten des zentralen Systems der Druschiniks, wo die Informationen der einzelnen Häuserblocks oder Straßen abgeliefert werden - zur Bearbeitung durch den FSB. Das sind auch die Orte, wo die Druschiniks ihre Weisungen und regelmäßige Bezahlung erhalten. In den wichtigeren Städten gibt es kaum mehr Häuserblocks, die nicht aus einem dieser gesellschaftlichen Punkte zur Überwachung der öffentlichen Ordnung kontrolliert werden. In den meisten dieser Zentralen findet sich heute bereits das, was man seinerzeit in Stalins Tagen die Stukatsch genannt hat, die Klopfer, die die Berichte über Personen, Wohnungen, den Lebensstandard der Einwohner und politisch Wissenswertes bereithalten.

Zentral geführt wird dieses Netzwerk von Komitees für Sicherheitsfragen, geleitet durch Nikolai Patruschew, den Chef des FSB, der wenig in der Öffentlichkeit auftritt, nicht zuletzt weil manche Mitarbeiter Putins ihn wegen der jüngsten Rückschläge in der Terrorbekämpfung kritisieren.

Putin selbst hat in privaten Gesprächen diese Vorgangsweise immer unter Berufung auf den Terrorismus oder auf die Tschetschenen zu rechtfertigen versucht. Nach außen hin wird von der Organisation überhaupt nicht gesprochen. Die Diskretion geht so weit, daß die meisten Menschen heute noch gar nicht wissen, daß diese Druschiniks bereits mit nicht unbedeutenden Gehältern unterstützt werden und daher nur mehr dem Schein nach einem bürgerlichen Beruf nachgehen. Ihre Hauptaufgabe ist die Überwachung der Bevölkerung, während auf der anderen Seite eine neu geschaffene Abteilung des FSB die Berichte studiert und dann in einer Kartei erfaßt, die heute bereits einen Gutteil der Bevölkerung beinhaltet.

Es gibt zwar noch einige Kritik in Rußland, ganz besonders von Seiten von Personen, die sowieso nichts mehr zu erwarten haben, weil sie als Verfechter der Menschenrechte bekannt sind. Wachsend aber werden auch diese zum Schweigen verurteilt, mit der Behauptung, daß sie Agenten für die Tschetschenen seien. Die Menschen können sich - mit anderen Worten - nicht mehr trauen, wirklich offen zu reden. Auch ist bereits aus mehreren Städten der Bericht eingetroffen, daß das spurlose Verschwinden von Menschen, die denunziert werden, wieder genauso funktioniert, wie es in den Tagen der Sowjetunion der Fall war.

Bezeichnend ist nur, daß in den westlichen Medien so gut wie kaum je ein Wort über dieses neue System der totalitären Überwachung der Bevölkerung erscheint. Die westliche Presse traut sich immer weniger, von dieser Entwicklung zu sprechen. Das Schweigen des Westens hilft aber dem Ausbau des FSB-Apparates, weil diejenigen, die noch die Freiheit verteidigen wollen, dazu kaum mehr die Möglichkeit besitzen. Da sie ihr Verschwinden riskieren, wenn sie über dieses Thema sprechen, kommt es darauf an - auch zu ihrem Schutz -, diese Informationen weltweit bekannt zu machen.

 Putins Männer fürs Geheime: FSB-Direktor Nikolai Patruschew (Mitte) und der Hauptstaatsanwalt Wladimir Ustinow (r.).
 
     
     
 
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