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Der Kranich des Ostens hebt ab

 
     
 
Die Deutsche Demokratische Republik erhielt Mitte der 50er Jahre wie die Bundesrepublik Deutschland als Gegenleistung dafür, daß sie ihren Besatzern erst ausschließlich freiwillige und dann auch gepreßte, wehrpflichtige Soldaten als Hilfstruppen für den Kalten Krieg zur Verfügung stellte, – zumindest formal – eine beschränkte Souveränität
, wobei beide Staaten dazu neigten, die Beschränkungen ihrer Souveränität gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Öffentlichkeit dezent zu verschweigen.

Durch die Globalisierung, die Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung von Staatsaufgaben und -betrieben wird dieses heute etwas unverkrampfter gesehen, doch noch vor wenigen Jahrzehnten war es für einen souveränen Staat, der etwas auf sich hielt, schon fast eine Statusfrage, über eine eigene nationale Fluggesellschaft zu verfügen.

Als Erich Honecker noch nicht die DDR in einen „sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern“ umgewandelt hatte und die 68er in der Bundesrepublik noch nicht darangegangen waren, die Liebe zum deutschen Vaterland durch Jürgen Habermas’ „Verfassungspatriotismus“ zu ersetzen, verstanden sich DDR wie Bundesrepublik noch als dezidiert deutsche Staaten und Kern eines deutschen Nationalstaates und versuchten insoweit, zur Legitimierung ihres Anspruches an deutsche Traditionen anzuknüpfen. Von 1926 an war die Lufthansa die nationale Fluggesellschaft im Deutschen Reich gewesen, und so wurde in der DDR wie in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Erringung der wenigstens scheinbaren Teilsouveränität eine Lufthansa als eigene Fluggesellschaft gegründet.

Am 27. April 1955 beschloß der Ministerrat der DDR nach vorheriger Zustimmung der sowjetischen Botschaft: „Zur Durchführung des zivilen Personen- und Frachtluftverkehrs ist mit Wirkung vom 1. Mai 1955 die deutsche Lufthansa zu gründen. Die deutsche Lufthansa untersteht dem Ministerium des Innern.“

Gut zwei Monate später, am 8. Juli, trat das eine Woche zuvor berufene Direktorium erstmals zusammen. Tagungsort war der Sitzungssaal des Hauptamtes Verwaltung der DDR-Regierung. Geleitet wurde die Sitzung vom Hausherren, Hauptdirektor Arthur Pieck.

Arthur Pieck, Sohn des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck, war – wie bei Führungskräften in totalitären Systemen nicht unüblich – eher politisch denn fachlich für seine Aufgabe qualifiziert. So hatte sich der gelernte Setzer, Jahrgang 1899, schon frühzeitig auf die richtige Seite, das heißt die der nunmehrigen Sieger und Besatzer, geschlagen. 1922 und 1923 war er als Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin tätig gewesen. Nachdem er bereits zuvor führende Funktionen im Internationalen Arbeiter-Theater-Bund bekleidet hatte, wurde er schließlich dessen Sekretär. Ab 1938 arbeitete er in der Moskauer Presseabteilung der Kommunistischen Internationale, um dann ab 1941, dem Jahre des Ausbruchs des deutsch-sowjetischen Krieges, in der Roten Armee zu dienen, natürlich als Offizier. Als Dolmetscher des späteren Berliner Stadtkommandanten und heutigen Berliner Ehrenbürgers Nikolai Bersarin war er mit dessen 5. Stoßarmee nach Deutschland zurückgekehrt, wo er in der Verwaltung der SBZ / DDR schnell Karriere machte.

Piecks Erster Stellvertreter, der für den Flugverkehr zuständige Direktor Fritz Horn, war gelernter Flugzeugführer. Der technische Direktor Ernst Wendt, ein Polarflieger, war auch nach seiner Tätigkeit als Schlosser und Meister bei der Deutschen Lufthansa AG der Branche verbunden geblieben und hatte es dort bis zum Werkdirektor gebracht. Direktor Karl Heiland schließlich war für die politische Arbeit zuständig, war jedoch zumindest insofern vom Fach, als er bei der Luftwaffe eine Pilotenausbildung gemacht hatte, wenn auch kriegsbedingt ohne Abschluß.

Am 30. Juli 1955 landete die erste Maschine der neuen Gesellschaft mit der Kennung DDR-ABA in Schönefeld. Am 16. September 1955 fand der erste offizielle Flug statt. Die Maschine brachte eine Regierungsdelegation unter Ministerpräsident Otto Grotewohl zur Unterzeichung des Staatsvertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR nach Moskau. Eine Airline ist jedoch mehr als eine Flugbereitschaft; erst der Linienflug macht eine Gesellschaft zu einer Fluglinie.

Vor einem halben Jahrhundert, am 4. Februar 1956, war es soweit, die Lufthansa (Ost) eröffnete auf der Strecke Berlin–Warschau den Linienverkehr. Im selben Jahr folgten am 27. Februar der Messeflugverkehr Berlin–Leipzig sowie die Linien Berlin–Prag–Budapest

Sofia am 16. Mai, Berlin–Prag–Budapest–Bukarest am 19. Mai und Berlin–Wilna–Moskau am 7. Oktober.

Anfänglich stellten die Deutschen in der Lufthansa (Ost) nur das Bodenpersonal. Die Crews stammten wie die Maschinen vom Typ Iljuschin Il 14 zuerst ausschließlich aus der Sowjetunion. Am 13. März 1957 flog dann erstmals mit Gerhard Frieß ein Deutscher als Kommandant auf einem Linienflug der Lufthansa (Ost) nach Moskau. Nach den Besatzungen kam allmählich auch Fluggerät aus dem eigenen Land. Waren die ersten 14 Il 14 noch aus der Sowjetunion importiert worden, war die 15. bereits ein Lizenzbau aus Dresden. Fast hätte die Lufthansa (Ost) nicht nur im eigenen Land gebaute, sondern auch in der DDR entworfene Maschinen erhalten. Weder der Typ 152 noch der Typ 153 ging jedoch in Serie, und so deckte die Lufthansa (Ost) ihren Bedarf an größeren Passagierflugzeugen weiterhin mit Iljuschin-Maschinen. Zu den Il 14 kamen ab dem 28. März 1960 Il 18, immerhin Turboprop-Maschinen. Ende 1962 verfügte die Lufthansa (Ost) über 26 ältere Il 14 und fünf Il 18.

Damit ist die Geschichte der Lufthansa (Ost) auch schon fast erzählt, denn am Ende des nächstfolgenden Jahres war sie schon nicht mehr die Airline der DDR. Verantwortlich hierfür war ihr westdeutsches Pendant, das ihr schon bald nach ihrer Gründung den Namen und das Logo mit guten Argumenten und nicht ohne Erfolg auf internationalem Parkett streitig zu machen begann. So war die westdeutsche Lufthansa nicht nur etwas älter als die mitteldeutsche, sondern hatte auch schon, bevor die Lufthansa (Ost) überhaupt gegründet war, von der in Liquidation befindlichen Lufthansa aus der Reichszeit die Rechte an Namen und Logo gekauft. So hatte Arthur Pieck schon wenige Monate nach der Gründung der Lufthansa (Ost), am 12. Januar 1957, gegenüber Otto Grotewohl die niederschmetternde Meinung vertreten: „Formaljuristisch gesehen befinden wir uns also in einer Situation, nach der selbst unsere eigenen Gerichte uns das Recht auf Führung des Namens ,Deutsche Lufthansa‘ und des stilisierten Kranichs als Warenzeichen untersagen müssen.“

In dieser Situation hält es die DDR-Führung letztlich für das kleinere Übel klein beizugeben. Bereits frühzeitig baut sie eine Rückzugslinie auf. Am 13. März 1958 beschließt ein illustre Runde bei Erich Honecker, zu der auch Arthur Pieck gehört, für den „Notfall“ eine „neue Gesellschaft zu gründen und im Warenzeichenregister (DDR, Madrid, Bern) einzutragen“. Am 8. September 1958 wird die „Interflug, Gesellschaft für internationalen Flugverkehr mbH“ gegründet. Die Lufthansa (Ost) stellt mit 1,1 Millionen Mark die Mehrheit der insgesamt zwei Millionen Mark Grundkapital und mit Arthur Pieck den Hauptgeschäftsführer

Ein knappes halbes Jahrzehnt später ist es soweit. Im Angesicht einer drohenden Niederlage der Lufthansa (Ost) gegenüber der Lufthansa (West) in einem größeren Prozeß in Belgrad beginnt der Rückzug in die ausgebaute Auffanglinie. Im Juli 1963 erklärt sich das SED-Politbüro damit einverstanden, „daß die Lufthansa liquidiert wird, weil es unrentabel ist, zwei Gesellschaften zu haben, und daß eine Gesellschaft unter dem Namen ,Interflug‘ gebildet wird“. Am 1. September 1963 werden dann tatsächlich die Luftverkehrsbetriebe der DDR zusammengelegt und mit der personellen Spitze der Lufthansa (Ost), aber unter der Firmenbezeichnung Interflug weitergeführt. M. R.

Iljuschin Il 14 der Deutschen Lufthansa (Ost): Mit Maschinen dieses Typs nahm die DDR-Airline den Linienbetrieb auf.
 
     
     
 
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