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Wann begann die litauische Literatur, wann erschien das erste Buch in dieser westbaltischen Sprache? Der Zeiger der Zeitenuhr weist in das Königsberg des 18. Jahrhunderts zurück. Dort wurden seit der Gründung der Universität durch Herzog Albrecht im Jahre 1544 auch Seminare in prußischer, polnischer und litauischer Sprache abgehalten. An ihnen nahmen vor allem Theo- logen teil, die nach dem Willen des Herzogs das Evangelium in die Nachbarländer weitertragen sollten. Schon damals wurden in Königsberg theologische Schriften in diesen Sprachen gedruckt.
Unerläßlich waren die Kenntnisse der litauischen Sprache für die evangelischen Pfarrer, die in den nordöstlichen Gebieten Ostdeutschlands predigten. Litauische Siedler strömten in großen Scharen in das Land und hatten beutenden Anteil an dem Rodungswerk im Gebiet der "Großen Wildnis ". Sie bewahrten ihre Muttersprache, in der sie wundersame Märchen und Sagen erzählten und ihre alten Lieder, die wunderschönen Dainos, sangen, die erstmalig in der Mitte des 18. Jahrhunderts von dem Deutschen Gottlieb Kreutzfeld aufgezeichnet wurden. Dadurch wurde Johann Gottfried Herder die Möglichkeit geboten, diese eigentümlich schwermütigen Gesänge in seine Sammlung "Stimmen der Völker" aufzunehmen.
Bis in diese Zeit war das Litauische eine ausschließlich mündliche Volkssprache, es gab keine schriftlich fixierten Texte oder Vorlagen. Zwar hatte der Prediger der litauischen Gemeinde in Königsberg, Johannes Bretke, bereits in den Jahren 1578 bis 1662 in mühevoller Arbeit die ganze Bibel ins Litauische übersetzt - ein Lebenswerk des als Janus Bretkunas in Preußen Geborenen -, sie wurde aber erst 1755 gedruckt. Diesen Schwierigkeiten sah sich auch der Pfarrer Christian Donelaitis gegenüber, als er seine ersten Gesänge in litauischer Sprache schuf.
Den Lebensweg dieses einzigen Dichters der preußischen Litauer zeichnet Professor Helmut Motekat in seiner "Ostdeutschen Literaturgeschichte" auf. Donelaitis, auch Donaleitis - litauisch: Kristijonas Duonelaitis - wurde 1714 als Sohn eines Kölmers in Lasdinehlen bei Gumbinnen geboren. Nach dem Besuch der Bürgerschule auf dem Kneiphof in Königsberg studierte er an der Albertina Theologie. Als Mitglied des "Lithauischen Seminars" konnte er sich zugleich in seine Muttersprache wissenschaftlich vertiefen. Er war überaus sprachbegabt, so soll er neben Deutsch auch die griechische, lateinische, hebräische und französische Sprache in solcher Fertigkeit beherrscht haben, daß er in jeder von ihnen Gedichte schreiben konnte.
Aber dann legte er sein poetisches Schaffen mehr und mehr auf die Sprache seiner Vorfahren, in der er auch von der Kanzel predigte. 1743 hatte Donelaitis die Pfarrstelle in Tollmingkehmen am Nordrand der Rominter Heide übernommen. Da seine Gemeinde je zur Hälfte aus Deutschen und Litauern bestand, hielt er den Gottesdienst in beiden Sprachen. Er war außerordentlich beliebt und bekannt auch weit über seinen Wirkungskreis hinaus, denn der vielseitig Begabte verstand sich auf die Fertigung von Thermometern und Barometern, die zu seiner Zeit sehr begehrt waren, und baute sogar Klaviere. Heute würde man sagen: ein Universalgenie!
Den größten Ruhm aber erreichte Donelaitis - der sich bei offiziellen Anlässen auch mit der latinisierten Form seines Namens Donalitius nannte - mit seinen Dichtungen in litauischer Sprache. Zuerst schrieb er Fabeln im Stil von Äsop - die Liebe dieses baltischen Volkes zur Natur war ihm mitgegeben. Auch in seinem Hauptwerk, den "Jahreszeiten", einem "ländlichen Gedicht in vier Gesängen", hat er kein anderes Vorbild als die Natur selbst.
Es ist die erste große Dichtung in litauischer Sprache. Donelaitis benutzte dazu - noch bevor Klopstocks "Messias" erschien - die antike Versform, er tat es bewußt im Sinne dieser baltischen Sprache, die in Rhythmus und Klang dem Hexameter weit mehr entspricht als das Deutsche. Vorlagen gaben ihm die Mythen, sagen und vor allem die Dainos.
Es sind keine lieblichen Idyllen, in denen Donelaitis das Leben seiner Landsleute beschreibt, er schildert die harte Arbeit, die Mühen des Scharwerkerlebens, aber auch die Lust der Menschen am Feiern und den damit verbundenen kleinen Freuden. So wie in der "Litauischen Hochzeit", die er schon vor dem Zyklus schrieb, aber erst später in ihn einfügte:
"Wie unsere Litauerinnen sich schmücken, das weißt du ... Ilzbute, ihr Töchterchen, war von allen die jüngste. Darum hatten die Eltern die ganze Verwandtschaft geladen, machten sich große Kosten, das Essen zu richten, hatten drei Kühe, dazu noch zwei Ochsen geschlachtet ..."
Aber er ruft auch zu Buße und Sühne auf, mahnt, die Tiere sorgsam zu behandeln: "Denk nur, wie dir wohl zumute wäre, wenn da plötzlich dein Bunter Dich beim Kopfe griffe und den Pflug zu ziehen Dich zwänge ..."
Und immer wieder besingt er die Kräfte der Natur, denen sich der Mensch beugen muß: "Allerorts ist die Erde durchnäßt, sie weint traurig Tränen, wenn unsere Räder jetzt ihr den erweichten Rücken zerreißen ..."
Wenn der Dichter auch die alten Götter der Litauer in seinen Gesängen aufleben läßt, wie die Giltine als Todesgöttin oder die Pischurna, die als Winterfurie die Wärme des Sommers verscheucht, so steht über allem doch der Glaube an Gott, die Mahnung, seine Gebote zu befolgen, und das Hoffen auf seine Gnade: "Aber ohne Dich, Du unser lieber Vater im Himmel, könnten wir nichts empfangen ... Nichts würde doch alles sein, was wir tun und beginnen. Wenn uns nicht Hilfe käme von Deinen segnenden Händen, sorg weiter, Vater im Himmel, für alles, was wir bedürfen ..."
Vor allem diese Schlußworte lassen vermuten, daß der Pfarrer von Tollmingkehmen ursprünglich seine Dichtungen als Predigten in gebundener Sprache für seine Gottesdienste gedacht hat. Er gliederte sie nach den Jahreszeiten in "Frühling", "Sommer", "Herbst" und "Winter". Doch als "Metai" ("Jahreszeiten") gingen sie in die Literatur ein, weil sie unter dem Titel herausgegeben wurden. Erst über hundert Jahre nach dem Tod des Dichters - er verstarb 1780 - erschienen sie in deutscher Sprache. Mehrere Übersetzer haben sich versucht, wobei die kraftvolle Sprache der litauischen Urfassung leider gemindert wurde. Erst die letzte, 1966 erfolgte Übersetzung durch Hermann Buddensieg wird der gewaltigen Spannkraft und der Bandbreite der Sprache gerecht, in der Donelaitis seine Gesänge verfaßt hatte, die damit endgültig Eingang in die europäische Literatur fanden. Werner Müller |
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