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Jahrelang hat Spanien Flüchtlinge im großen Stil aufgenommen - seit Mittwoch, 13. September, nachts, schiebt Spanien nun ab. Es ist eine Neuerung wie sie radikaler kaum ausfallen könnte, denn Spanien hatte schon unter der konservativen Regierung José María Aznar wie kein anderes Land in Europa Zuwanderer aufgenommen. Die folgende sozialistische Regierung verabschiedete Erlasse, die illegale Einwanderer in legale mit Papieren verwandelte. Hunderttausende profitierten davon.
Allein bei der Legalisierung von Februar bis Mai 2005 wurden 700000 Illegale legalisiert, knapp 800000 Anträge waren eingegangen. Die anderen europäischen Staaten haben keine Mitsprache. Dank offener innereuropäischer Grenzen betrifft Spaniens Großzügigkeit aber auch sie. Lange hatte Madrid zugesehen, wie die Kanarischen Inseln zum Zielpunkt des Menschenhandels wurden - ein Sündenfall. Die Flüchtlinge aus Afrika wiederum hatten sich daran gewöhnt, nach den Strapazen der Überfahrt auf See Arbeit in der Landwirtschaft zu finden.
Nun werden erstmals 1000 Flüchtlinge von den Kanarischen Inseln in ihre Heimatländer geflogen - Abschiebung. In der europäischen Flüchtlingspolitik soll wieder Einigkeit herrschen, so das Signal aus Madrid. Ein nötiges Signal, denn der Drang von Afrika nach Europa ist ungebrochen. Der Ausländeranteil an der spanischen Bevölkerung ist von 2,3 Prozent (2000) auf über acht Prozent (2005) angestiegen. Ein Wandel, der nicht nur Zustimmung erzeugt. Jetzt wollen Spaniens regierende Sozialisten ihre europäischen Nachbarn erhören, bitten sie sogar um Hilfe, das Einfallstor Mittelmeer und Spanien zu schließen - ein Täuschungsmanöver.
Bisher galt: Komm ins Land, warte ein paar Monate und werde dann legaler Einwanderer einschließlich Recht zu arbeiten und Freizügigkeit. 1,2 Millionen schafften das innerhalb der letzten zehn Jahre - ein iberischer Immigrantentraum. Spanien brauchte sie, doch inzwischen finden eher Lateinamerikaner und Osteuropäer Jobs, die Bootsflüchtlinge aus Afrika bleiben außen vor. Der jetzige Kurswechsel hin zur Abschiebung reagiert auch darauf. Fand Spaniens Ministerpräsident Zapatero noch vor Tagen auf den Kanaren beschwichtigende Worte für die Bewohner angesichts von Tausenden Bootsflüchtlingen, die bereits in entlegenen Dörfern einquartiert wurden, so soll jetzt Schluß sein.
Die seit dem Besuch an die Küsten gespülte schiere Menge der medial sichtbaren Verzweifelten aus Afrika hat bei den spanischen Sozialisten den Sinn für die Realität geweckt. Der Schock: Am 5. September erreichten innerhalb von 24 Stunden 900 illegale Zuwanderer die Kanaren - ein Rekord. Tägliches Elend: Tote im Wasser und an den Stränden - 600 zählen die Behörden seit Jahresanfang. Ausgezehrte Menschen in überfüllten Booten erreichen die Inseln nach Hunderten Kilometern.
Meist kommen sie aus dem Senegal. Seit Januar ist die Gesamtzahl der Gestrandeten auf 23000 angewachsen. Allein im August kamen über 4000. Ende August hatte Zapatero über seine Stellvertreterin, Maria Fernandez de la Vega, bei den europäischen Amtskollegen um Hilfe gebeten. Schließlich halte man die Menschen ja von Europa ab, sagt sie - eine Lüge, denn das Schengen-Abkommen hat Europas Innengrenzen für die in Spanien Geduldeten aufgeweicht.
Eine Hilfe, die Spanien zudem auch nie im Sinn hatte, solange der Zustrom zu bewältigen zu sein schien. Spanien überrumpelte seine Nachbarn und schuf vollendete Tatsachen. Als die Flüchtlingswellen Menschen an Land spülten, legalisierte die sozialistische Regierung Zehntausende. Dieser Erfolg aus Sicht der Flüchtlinge schwappte zurück. Mehr Leistungswillige und Verzweifelte lockte die Politik nach Spanien - allein, das wollte in Regierungskreisen niemand wahrhaben.
Brückenköpfe entstanden für Ankömmlinge, eigentlich die Elite ihrer Heimatländer, die nun dort fehlen. Schlepper verdienen seither gut am Spaniengeschäft. Abschiebungen wollte Zapatero um jeden Preis vermeiden. Nun klatscht die Welle mit solcher Wucht über das Kabinett der Sozialisten (PSOE) herein, daß Zapatero den Bittgang zur verhaßten konservativen Opposition antritt: Ein Bündnis soll her. Doch wollen die Konservativen ein Eingeständnis des Scheiterns.
Die regierungsnahe spanische Tageszeitung "El Pais" zitierte gar "andere führende Sozialisten", die meinten, die Bootsflüchtlinge seien vor allem deshalb ein Problem, weil sie im Gegensatz zu den Zehntausenden anderen ständig im Fernsehen übertragen würden. Sozialistische Reaktionen gibt es offenbar nur, wo öffentliche Aufmerksamkeit es verlangt. Ein Vorschlag der konservativen Volkspartei (PP), die bisherigen Massenlegalisierungen per Gesetz zu verbieten, wird vom Generalsekretär der Sozialisten als "Witz" abqualifiziert. Der Eindruck von Effekthascherei wäre somit erhärtet: "Dieser Regierung kann man nicht trauen", so der PP-Fraktionschef Zaplana.
Tatsächlich ist der Wille zum "multiculturalismo" ungebrochen. Zur Übersicht über seine weite nasse Grenze stellt Spanien einen Hubschrauber bereit. Zapateros Vizepremier Fernandez de la Vega verkündete vor Tagen ihren "Stolz, eine Regulierung getroffen zu haben, die erlaubt, daß etwa 600000 Einwanderer einen Arbeitsvertrag bekamen". Kein Wunder, wenn der Senegal Spanien nun "mangelnde Diskretion" vorwirft und daher die Rücknahme seiner Landsleute verweigert. Die Madrider Medien-Inszenierung der Abschiebungen läßt erwarten, daß nach ein paar Wochen Verzögerung die Senegalesen wieder einen Platz an der iberischen Sonne sicher haben. Voreilige spanische Medienberichte über die Abschiebungen wirkten bereits kontraproduktiv: Senegals Präsident will die Abgeschobenen nicht zurück. Denn auch Senegals Politiker müssen an Volkes Stimme denken - Wahlen stehen an, und wer sich an Abschiebungen beteiligt, macht sich unbeliebt, auch Zapatero ahnt das.
Hoffen auf spanischen Paß: Afrikanische Bootsflüchtlinge auf Teneriffa
Zeitzeugen
José Luis Rodríguez Zapatero - Spanischer Ministerpräsident seit April 2004. Sozialist Rodríguez Zapatero ließ Anfang 2005 beinahe 700000 illegal in Spanien lebende Zuwanderer auf einen Schlag legalisieren. Kritiker werfen ihm vor, damit eine Sogwirkung erzeugt zu haben, die weitere illegale Immigranten anlockt.
Günter Burkhardt - Geschäftsführer der deutschen Gruppe "Pro Asyl", hat Spanien aufgefordert, sofort mit der Rückführung afrikanischer Bootsmigranten aufzuhören. Alle Ankommenden hätten zunächst das Recht auf ein "ordentliches Asylverfahren". Auch bezeichnete Burkhardt die Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern zur gemeinsamen Verhinderung illegaler Grenzübertritte nach Europa als "inakzeptabel".
Eduardo Zaplana Hernández-Soro - Jurist und Sprecher der spanischen Volkspartei (PP) im Parlament. Er begann seine Karriere als Präsident der autonomen Region Valencia, der er ein Haushalts-Defizit hinterließ, in der er aber auch viele Wähler für die Konservativen holte. Im Juli 2002 wurde er spanischer Arbeits- und Sozialminister und amtierte bis zum Ende der Regierung Aznar 2004. Als Minister unterstützte er auch Legalisierungen und die Duldung von Flüchtlingen.
Wolfgang Schäuble - Der deutsche Bundesinnenminister (CDU) erteilte der spanischen Regierung auf Anfrage nach Hubschraubern und Schiffen schon Ende Juni eine Absage. Schäuble hält das spanische Flüchtlingsproblem aufgrund lockerem Aufenthaltsstatus und schneller Legalisierung für hausgemacht. Solange Spanien dagegen nichts unternehme, verweigere Berlin seine Unterstützung.
Otto Schily - Der SPD-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister unter Gerhard Schröder plädierte für die Errichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika. Hier sollten die Flüchtlinge und Migranten sozusagen "vorsortiert" werden. Denen, die berechtigte Gründe vorweisen könnten, sollte dann die Einreise in die EU ermöglicht werden, der überwiegende Teil jedoch gleich in seine Herkunftsländer zurückgeschickt werden. |
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