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Der schnarchende Löwe

 
     
 
Das erste Mal habe ich Wolfgang Gerhardt da getroffen, wo man in erster Linie eher Schauspieler statt Spitzenpolitiker erwartet: auf einer Berlinale-Party. Das war anderthalb Jahre vor dem Ende der Regierung Kohl. Mit anderen Worten: Als CDU/CSU und FDP ungefähr so abgewirtschaftet hatten wie Rote und Grüne heute.

Im kurzen Gespräch präsentierte sich ein sichtlich angeheiterter Wolfgang Gerhardt damals als sehr redselig. "Na und. Dann erheben wir eben die Mehrwertsteuer
um ein oder zwei Punkte", verriet er plauderhaft. Gut, daß keiner von der Bild-Zeitung zugehört hat! Ein findiger Redakteur hätte den Small Talk am Rande einer Filmpremiere am kommenden Tag zur Riesenschlagzeile umfunktioniert.

In Wirklichkeit ist Wolfgang Gerhardt aber ganz anders. Er gilt als sehr vernünftig, fleißig und zielstrebig. Und als ruhig. Jürgen W. Möllemann hat ihn als den "schnarchenden Löwen von Wiesbaden" bezeichnet. Auch sonst war das Verhältnis der beiden Parteifeinde eher gespannt. 2001 hat Möllemann gemeinsam mit Westerwelle Gerhardt als Bundesvorsitzenden gestürzt. Der hat sich das gemerkt und nach der Bundestagswahl 2002 fürchterlich gerächt.

Seit Union und FDP jetzt wieder stark im Kommen sind, ändert sich auch das Verhältnis zwischen dem FDP-Chef und Gerhardt wieder. Gerhardt galt lange als der alte, verbrauchte Ex-Vorsitzende, Westerwelle als der Vertreter einer neuen Generation. Doch der Lack ist ab. Und Gerhardt profiliert sich derzeit als programmatischer Kopf der Partei. Erst hat er ein Papier vorgelegt, das schwere Vorwürfe gegen die Grünen erhebt. Jetzt sogar ein ganzes Wahlprogramm.

Darin wird Bildung und Forschung ganz groß geschrieben, und es findet sich etwas über Familien. In Westerwelles altem Programm aus den 90er Jahren tauchte dieser Begriff sage und schreibe nur neunmal auf.

Wer soll Fischer-Nachfolger im Kabinett Merkel werden? Wenn Gerhardt und Westerwelle die beiden einzigen Kandidaten für den Job sind, dann heißt "die Frage stellen" auch gleichzeitig, sie zu beantworten. Gerhardt ist der Mann mit dem Format, Deutschland in der Welt zu vertreten. Dem überzähligen Glas Wein auf einer Filmparty vor sieben Jahren zum Trotz.
 
     
     
 
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