A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Des Flitzers neue Kleider

 
     
 
Im Rahmen der Proteste gegen die Sparmaßnahmen an Hochschulen ist ungefähr im Jahr 2003 auch der gute, alte "Flitzer" zurückgekehrt. Die Studenten hielten das für besonders kreativ, wenn sie sich ausziehen und ihr Anliegen nackt vortragen. 1968 ließen sich damit ja noch alte Leute erschrecken. Aber heute schockiert das doch niemanden mehr, oder?

In Berlin hat das Ganze noch eine besondere Tradition. Im Bundestagswahlkampf 1994 bewarb sich Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) um ein Bundestagsmandat. Krüger plakatierte sich selbst nackt mit dem Spruch "eine ehrliche Haut". Die Aktion verursachte viel Aufregung und lud zur Nachahmung
ein. So entwarf der Radiosender RTL Plakate, auf denen dann RTL-Starmoderator Arno nackig zu sehen war. Krüger bekam übrigens das Mandat, die Aktion hat sich für ihn ausgezahlt.

"Als Flitzer werden Menschen bezeichnet, die an belebten Orten mit vielen Passanten Aufmerksamkeit zu erregen versuchen, indem sie nackt durch das Geschehen laufen. Es geht dem Flitzer im allgemeinen eher darum, sich vor möglichst vielen Zuschauern zu präsentieren", so wird das Flitzer-Verhalten definiert.

Und genau die gleichen gedanklichen Mechanismen scheinen bei dem Schweizer Marco Sch. ihre Wirkung zu entfalten. Der 27jährige sitzt seit einer Woche in Luzern im Knast und damit da, "wo er offenbar unbedingt hinwollte", wie der "Tagesspiegel" meint.

Der Grund: Der gelernte Bankkaufmann behauptet, er sei es gewesen, der zu Ostern den Schwarzen Ermyas M. in Potsdam krankenhausreif geprügelt habe. Sch. gibt zu 1. Rechtsextremist zu sein, 2. einer rechtsextremen (und erfolglosen) Musikband anzugehören und 3. Angst vor Schwarzen zu haben.

Marco Sch. hatte sich an den Anwalt der bisherigen Haupttatverdächtigen gewandt. Ohne nennenswerten Erfolg. Seine Geschichte vom Tathergang ist einfach zu haarsträubend. Dann hat er in einem Zeitungsinterview (!) mit einem reißerischen Geständnis noch nachgelegt. Doch es half alles nichts.

Offensichtlich kam bei ihm zu viel zusammen: Band ohne Plattenvertrag und obendrein arbeitslos - da dachte sich Marco Sch. vermutlich, Nazi II ist besser als Hartz IV. Jetzt sitzt er wegen ganz anderer Gründe in Schweizer Untersuchungshaft. Aber, wie es heißt, aus ganz anderen Gründen, die mit dem Potsdamer Vorfall nichts zu tun haben.

Hätte er es lieber so gemacht wie Thomas Krüger: Dann hätte er sich nur ausgezogen für ein Mandat. Heute ist Krüger deswegen immer noch gut versorgt. Er ist Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung.
 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Artikel

Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock

Aufreibender Rosenkrieg

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv