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Der Erste Frieden zu Thorn bildet am 1. Februar 1411 den Schlußakt einer vernichtenden militärischen Niederlage, die den Deutschen Orden an den Rand einer existentiellen Katastrophe bringt und eine Zäsur in seiner Geschichte bedeutet.
Seit der Vereinigung Polens mit Litauen ist in Osteuropa eine neue Großmacht entstanden, die den Staat der Ordensritter vom Meer abriegelt. Zudem befindet sich der Orden, der Preußen, Lettland, Litauen und Estland beherrscht, in einer schwachen Phase, in der die Ideale des geistlichen und weltlichen Rittertums immer mehr ins Wanken geraten. Der mächtiger gewordene Landadel und die Städte begehren zunehmend gegen den adligen Hochmut und die wirtschaftliche Konkurrenz durch den Orden auf. Gleichzeitig verliert der Orden seine Berechtigung, Missionskriege gegen Litauen zu führen, denn der litauische Großfürst Jagiello war 1386 zum Christentum übergetreten und als Wladislaw II polnischer König geworden. Bei der Christianisierung Litauens stößt er allerdings auf Widerstand, und die Spaltung zwischen katholischem und orthodoxem Glauben belastet das polnisch-litauische Großreich. Wladislaw Jagiello ist seit jeher ein unverhohlener Gegner des Ritterordens, und der deutsche Orden ist auch der gemeinsame Gegner der widerstreitenden Strömungen.
Eine militärische Auseinandersetzung bleibt in dieser Situation unausweichlich. In einer der größten Feldschlachten des Mittelalters wird das Heer des Deutschen Ordens am 15. Juli 1410 von den vereinigten Polen und Litauern bei Tannenberg vernichtend geschlagen. Nur die Marienburg hält der Belagerung durch den überlegenen Gegner stand.
Trotz günstiger Ausgangslage überläßt der Führer des Ordens, Hochmeister Ulrich von Jungingen, in stolzer Überheblichkeit und vollkommener Verkennung der militärischen Kräfteverhältnisse dem Gegner die Initiative. Die polnisch-litauische Streitmacht, der auch der böhmische Hussiten-Führer Jan Ziska angehört, ist der Kriegsführung ritterlicher Heere überlegen. Unter der taktisch geschickten Führung König Wladislaws II. von Polen und Litauen sowie mit Unterstützung russisch-tatarischer Hilfstruppen wird das Heer des Deutschen Ordens eingeschlossen. Der Hochmeister und die meisten seiner Ritter fallen im Kampf. Das Ordensland fällt schutzlos in die Hand des Feindes. Adel, Bischöfe und Städte unterwerfen sich bedingungslos den neuen Herren. Nur der Sitz des Ordens, die Marienburg, kann sich Dank der Umsicht des Komturs, Heinrich von Plauen, behaupten. Nach dem Abzug der Belagerer schließt Heinrich von Lauen, nunmehr als Hochmeister des Ordens, mit Polen den Frieden von Thorn.
Obwohl die Bedingungen für den Orden maßvoll ausfallen, bedeutet der Friedensschluß von Thorn eine Zäsur in der Geschichte des Deutschen Ordens. Zugleich ist er eines der bedeutendsten Ereignisse im 15. Jahrhundert. Das polnisch-litauische Bündnis hat seinen stärksten Gegner niedergerungen. Die militärische Macht des Ordens ist gebrochen, und damit sinkt auch seine politische Bedeutung. Dagegen vermag sich das polnische Königtum auf Kosten des Ordens zügig zu entwickeln. Die kampflose Übergabe der Burgen und die Haltung der Bevölkerung beginnen das Aufgehen des Deutschordensstaates im polnisch-litauischen Königreich anzukündigen. Der Hochmeister versucht noch, die Entwicklung durch innere Reformen zu bremsen, wird aber abgesetzt. Der Niedergang des Ordens schreitet weiter fort. Ritterschaft, Bischöfe und Städte huldigen dem König und lassen sich von ihm ihre Rechte bestätigen. Wladislaw hat seinen größten Sieg errungen und wird zu einem der einflußreichsten christlichen Herrscher seiner Zeit. Mit der Vorherrschaft des Deutschen Ordens im Baltikum dagegen ist es für alle Zeit vorbei.
Der Einfluß des Deutschen Ordens, der zuvor Zuzug aus allen deutschen Rittergeschlechtern erhalten hatte, sinkt in den Folgejahren noch weiter. Als sich dann die preußischen Stände und die Städte, vor allem Danzig, zur Gewinnung größerer Freiheiten gegen den Orden mit Polen verbinden und selbst Kurfürst Friedrich von Brandenburg dem polnischen König seine Unterstützung gegen den Deutschen Orden zusagt, kommt es zu einem weiteren Waffengang und zu Aufständen gegen den Orden. Dieser verliert alle Besitzungen westlich der Weichsel, sein ältestes Gebiet, das Kulmer Land und das Ermland. Außerdem muß er Polens Lehenshoheit anerkennen. Der Zweite Frieden von Thorn schließlich markiert im Jahre 1466 den endgültigen Zusammenbruch der Ordensmacht.
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