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Die Babyboom-Lüge vom Kollwitz-Platz

 
     
 
Die Geburtenarmut in Deutschland ist in aller Munde. Vergreisung, Rentenloch, Aussterben - wie Hufschläge donnern die Horrorvokabeln aufs Gemüt der Deutschen. Wenn Fernsehsender jedoch ihre Kameratrupps losschicken, um auch einmal ein paar positive Entwicklungen zu zeigen, dann landen die nicht selten am Käthe-Kollwitz-Platz im Prenzlauer Berg. Erst in dieser Woche porträtierte der Münchner Sender Pro7 im Rahmen seiner Serie "Unsere Straße" die Husemannstraße, die direkt zum "Kolle" führt, als den liebevollen familienfreundlichen "Kiez" im östlichen Berlin.

Jeden Sonnabend steht hier ein fast schon legendärer Wochenmarkt, zu dem der halbe Stadtbezirk zusammenzukommen scheint: Aus ihren sanierten Altbau-Wohnungen strömen die Anrainer herbei, um Lebensmittel einzukaufen, Wein und Käse
zu verzehren oder einen Plausch mit den Nachbarn zu halten.

Und immer mittendrin: unzählige Kinder. Den Mittelpunkt des Kollwitz-Platzes bildet ein riesiger Spielplatz für die Kleinsten. In der Knaackstraße grüßt ein Kindergarten. Ein Stück weiter runter in der Kollwitz-Straße lockt ein Abenteuerspielplatz die Größeren. In den Bars rund um den Platz dominiert junges Publikum im heiratsfähigen Alter. Ist der Prenzlauer Berg die Antwort auf die leeren Krippen? Immerhin haben Bürokraten dem Bezirk schon den "Europäischen Städtebaupreis für kinderfreundliche Stadterneuerung" verliehen!

Seit mehr als 30 Jahren zählt Deutschland weniger Geburten als Todesfälle. Durch Zuwanderung und wachsende Lebenserwartung schlug sich das lange Zeit nicht negativ auf die Bevölkerungszahl nieder. Nun aber hat die Schrumpfung eingesetzt. Das private "Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung" untersucht diesen Schrumpfungsprozeß. Schon zum zweiten Male hat das Institut nun eine Studie zur "demographischen Lage der Deutschen" vorgelegt.

Überraschend sind einige Ergebnisse zum Raum Berlin/ Brandenburg. Die Wissenschaftler räumen leider gründlich auf mit der These, der Prenzlauer Berg sei ein Vorzeigebezirk, was die Geburten-Situation angeht.

Es stimmt zwar, daß es im Prenzlauer Berg viele Kinder gibt. Diese Tatsachenbeschreibung ist aber zu oberflächlich. Der Stadtteil, der seit 2001 zum Großbezirk Pankow gehört, hat sich nämlich mitnichten vom Trend des restlichen Landes abkoppeln können. Im Gegenteil.

Auf jede Berlinerin zwischen 15 und 45 kommen statistische 1,16 Kinder. Dies wird als die Fruchtbarkeitsrate bezeichnet. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 1,36. Im Prenzlauer Berg läßt sie sich wegen der Fusion mit Pankow nicht mehr genau berechnen. Sie liegt ungefähr bei mickrigen 1,0 - errechneten die Statistiker.

Woher kommen dann die vielen Kinder, wenn hier angeblich noch viel weniger geboren werden als anderswo? Haben sich die Statistiker schlicht verrechnet? Keineswegs: Mit der deutschen Vereinigung stieg der Prenzlauer Berg über Nacht zum Junge-Leute-Magneten der Hauptstadt auf. Kohorten westdeutscher Studenten kamen nach Berlin und zogen - wohin sonst? - in die günstigen Wohnungen nördlich vom Alexanderplatz.

Aus den Studenten wurden Absolventen, die Wohngemeinschaften reiften zu Familien. Tatsächlich ist der Prozentanteil der Kinder an der Gesamtbewohnerzahl im Prenzlauer Berg so hoch wie in den Landkreisen Cloppenburg oder Vechta, wo die höchste Geburtenrate Deutschlands gemessen wurde.

Um diese hohe Kinderzahl zur Welt zu bringen, bedurfte es in dem Berliner Szene-Kiez jedoch doppelt so vieler junger Frauen wie in den kinderreichen Kreisen West-Niedersachsens. Der Anteil von Frauen zwischen 25 und 40 Jahren an der Gesamtbevölkerung des Prenzlauer Berges beträgt 21 Prozent. In Vechta sind es nur zehn Prozent! Mit anderen Worten: Das junge "Prenzlberg" hat sehr wohl viele Kinder, doch umgerechnet auf die Menge junger Frauen fällt ihre Zahl jämmerlich aus. Auch der "Prenzlberg" halbiert sich mit jeder Generation. Der Bezirk erlebt eine Scheinblüte aufgrund der Zuzüge von Jungen, die woanders fehlen.

In wenigen Jahren wird die gleiche Entwicklung wahrscheinlich im Bezirk Friedrichshain einsetzen, dem nächsten aufstrebenden Szenebezirk, in den heutige Studenten bevorzugt ziehen.
 
     
     
 
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