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Nordrhein-Westfalens CDU-Chef und Spitzenkandidat für die wichtige Landtagswahl im Mai, Jürgen Rüttgers, muß neue Erfahrungen machen. Dem einst linientreuen "Zukunftsminister" seines Herrn und Meisters Kohl geschieht jetzt, was bisher nur vielgeschmähten CDU-Konservativen innerhalb und außerhalb der Union widerfuhr, nämlich als bitterböser rechter "Ausländerfeind" verleumdet zu werden.
Mit seiner Kritik an der beabsichtigten Anwerbung von ausländischen Computerspezialisten zur Schließung eklatanter Bedarfslücken in der Zukunftsbranche ist der unter Kohl für eben diese Zukunft zuständige Minister den Rot-Grün en voll ins Messer gelaufen. Fest steht hingegen, daß Rüttgers mit dem Satz "Mehr Ausbildung statt Einwanderung" den Finger auf zwei Wunden zugleich legt: Einmal auf die deutsche Bildungskatastrophe, welche die Effektivität des Kulturföderalismus ebenso massiv in Frage stellt wie die Fähigkeit, den Willen und die Bereitschaft der deutschen Großunternehmen, ihren Nachwuchs zukunftsgerecht auszubilden, und zum anderen auf die unpopuläre Einwanderung, die mehr die Kassen der Sozialämter belastet, als die Kassen der Finanzämter klingeln läßt.
Abgesehen davon, daß die CDU so unschuldig an diesen negativen Entwicklungen nicht ist, war es absehbar, daß Rüttgers die gesamte politisch korrekte Hetzkapazität in Politik und Medien gegen sich aufbrachte, die wie auf Druckknopf auch diesmal funktionierte. NRW-Ministerpräsident Clement und der grüne Innenpolitiker Özdemir verglichen sozialistisch korrekt Rüttgers mit dem Österreicher Haider, der wiederum, wie man weiß, in sozialistischen Phantasien als neuer Hitler herumgeistert. Arbeitgeberpräsident Hundt, auf Schmusekurs mit den neuen Herren in Berlin bedacht, nannte Rüttgers Politik "erbärmlich populistisch", ähnlich motiviert meinte BDI-Präsident Henkel: "Provinzialismus." FDP-Chef Gerhardt blies in dasselbe Horn: "Ein abenteuerlicher Mißgriff", und der Grüne Appel erkannte "latenten Rassismus". Bei soviel künstlicher Erregung durfte die Evangelische Kirche nicht fehlen. Mit wehenden Rockschößen eilte Ratsvorsitzender Kock in den Kreis der Empörten: "Die Verknüpfung von Wahlkampf und solch fremdenfeindlichen, populistischen Kampagnen ist unsäglich und darf nicht sein", erregte sich der Kirchenmann. Den nur scheinbar originellsten Beitrag leistete sich der Chef des Computerkonzerns IBM Staudt, der die abgedroschene Phrase beisteuerte: "Was Rüttgers macht, ist die unnötigste Aktion, seit der römische Kaiser Caligula im Jahr 40 nach Christus sein Pferd zum Konsul ernannt hat." Wirklich originell wäre es gewesen, wenn Staudt seit Jahren den notwendigen Computernachwuchs hätte ausbilden lassen. Zur Gemengelage der Aufregung passen die Bedenkenträger aus der CDU, wie Sachsens Wirtschaftsminister Schommer, der die Bemerkung beisteuerte, Rüttgers habe "sich verrannt".
Verrannt hat sich wohl eher die ganze deutsche Politik, die nach dem Ende der militär- und atomgestützten kommunistischen Bedrohung und der damit wieder freigesetzten kapitalistischen, heute "global" genannten Herausforderung die eigenen deutschen Interessen noch nicht definiert, geschweige denn damit begonnen hat, sie in politisches Handeln umzusetzen. Wenn das Verfassungsgericht sagt, die bisherige Familienpolitik sei grundgesetzwidrig, wenn die Einwanderung allein moralisierend und nicht sorgsam abwägend und in Übereinstimmung mit der Bevölkerungsmehrheit gestaltet wird, wenn der demokratische Nationalstaat "überwunden" werden soll, statt ihn wie bei allen anderen Europäern zur Grundlage der europäischen Einigung zu machen, wenn die deutsche Geschichte weiterhin auf die schrecklichen zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft reduziert wird, statt ein demokratisches Nationalbewußtsein auch auf die großartigen Beiträge Deutschlands zur Geschichte der Menschheit zu gründen, dann wird die Kluft zwischen den Bürgern und der Politik in unserem Land immer größer. Und das wäre verhängnisvoll.
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