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Die erschreckenden Perspektiven von Visionen

 
     
 
Wer seine Alltagsprobleme nicht mehr bewältigt, der stürzt sich gerne auf unnötige Kram oder flüchtet in Visionen. Genau diesen Eindruck vermitteln auch die Parade-Europäer: Nachdem eben erst ein Joschka Fischer mit seinem "Kern-Europa" daherkam, bereichert nun ein Jacques Chirac das Euro-Idiom um Dinge wi "Direktorium", "Pioniergruppe" und "Avantgarde
".

"Denn eben, wo Begriffe fehlen ..." drängt sich da auf, und je weiter vo des Pudels Kern man als Betrachter steht, umso mehr staunt man über das euphorische Ech deutscher Politiker! Gewiß, man darf einen Staatsgast nicht vergrämen, zumindest nich als Deutscher und Zahler. Aber will die Bundesrepublik wirklich zu "gleichberechtigten" Anhängsel der Grande Nation werden, – eingelullt mi ein paar Bonbons, die bestenfalls Gummibärchen sind, wenn nicht überhaupt nu Sprechblasen für den französischen Wahlkampf? Man fühlt sich erinnert ans Deutschlan jener Tage, als Kaiser Franz der Letzte – der letzte des Ersten Reiches – da Heil darin zu erblicken glaubte, seine Tochter Marie-Luise an einen Parvenu und Usurpato zu verkuppeln! (An einen, den man unter anderen Vorzeichen "Kriegsverbrecher" geheißen hätte.)

Jene "karolingischen" Ideen, die der EG Pate standen, sind spätestens durc Maastricht zur Abstrusität geworden. Geblieben ist der Wanderzirkus, doch während Kar der Große seine Kamarilla wenigstens immer mit sich schleppte, von Pfalz zu Pfalz, au daß sie nicht allzu fett werde, residiert die heutige Bürokrateska in sichere Tintenburgen und fliegt komfortabel von Gelage zu Gelage. Karolingischer Absud rumor allerdings auch in dem unausgegorenen Fischer-Chirac-Gebräu: Kein Wunder, muß man doc jetzt mit den Heiden im Osten fertig werden! Und mit störrischen Markgrafen an der Donau Und demnächst am Po. Und am Belt ...

An einer EU-Erweiterung im klassischen Sinne kann Frankreich gar kein Interesse haben denn dann würde es ja – als bisheriger Hauptprofiteur der Agrarsubventionen – mit den armen Stiefbrüdern teilen müssen! Ein Analytiker (Lothar Höbelt) hat bereit auf diesen Aspekt der EU-Sanktionen hingewiesen: Wenn es nämlich gelänge, die Österreicher so sehr zu schikanieren, daß sie sich zu einer Obstruktionspoliti hinreißen lassen, dann hätten ja sie den Schwarzen Peter, und selber stünde man gut da besonders bei den alten Entente-Schützlingen! Die Wiener Regierung hat die Fallgrube woh erkannt, – nur an Spree und Rhein scheint man nicht wahrhaben zu wollen, daß jede Schlag, der den Sack Österreich trifft, dem (Pack-) Esel Deutschland gilt! Es ging un geht nämlich überhaupt nicht darum, daß sich ein gallischer Gockel über Jörg Haide ärgert!

Ob die "Finalität Europas" statt der "Vereinigten Staaten vo Europa" ein "Vereintes Europa der Staaten" sein wird, bleibt Wortklauberei Denn das Kleingedruckte lautet natürlich auch bei Chirac, daß die Nationalstaate überholt sind – ausgenommen der eigene. Und da ist es völlig egal, ob letztlic eine "unklassische" Erweiterung kommt (mit Kern-, Halb- un Kaum-Europäern oder eine Nicht-Erweiterung verbrämt mit einem Wildwuchs separater Abkommen: Rechte un Pflichten werden in jedem Fall höchst ungleichmäßig verteilt sein! Hauptsache, die Électricité de France kann östliche Kraftwerke schließen helfen (aus Umweltgründe natürlich), und die Leuna-bewährte ELF-Aquitaine wird sich schon ums Wohlwollen lokale Woiwoden, Heiducken und Atamane kümmern.

Manche Beitrittskandidaten waren bereits durch die Causa Österreich wachgerüttelt Doch spätestens jetzt ist allen klar, daß ihr innen- und außenpolitischer Spielrau unter der Wertegemeinheit von Kern-Europäern nicht größer sein wird als unter de Breschnjew-Doktrin, – und wer weiß schon, wofür die EU-Eingreiftruppe vorgesehe ist? Wenn aber ohnehin wieder nur Gesinnungsterror und brutale Machtpolitik herrschen wenn man jederzeit willkürlich zum Aussätzigen gestempelt werden kann, wenn überal Allianzen und Sonderabsprachen wuchern und wenn sich vor lauter multilaterale "Bilateralität" keiner mehr auskennt, wenn also das des Pudels teuflischer Ker sein sollte, dann muß sich wohl in ganz Europa das Fußvolk fragen: Wofür eigentlic brauchen wir zusätzlich noch das Pfründenbabel in Brüssel und Straßburg?


 
     
     
 
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