|
Zwei Auftritte beschreiben symbolträchtig das vertriebenenpolitische Wirken des nunmehr scheidenden Bundeskanzlers. Die Reise des Helmut Kohl erscheint dabei so bizarr wie Kafkas berühmte Erzählung von der Wandlung des Gregor Samsa in einen Käfer. 1985 hielt er begleitet von viel Medientrubel die Festrede beim Schlesiertreffen in Hannover und jetzt, im Oktober 98, wurde er zum Ende seiner Amtszeit von den Polen als erster ausländischer Staatsmann mit ihrem höchsten Freiheitsorden, dem "Weißen Adler", geehrt.
In Warschau durfte sich der katholisch e Pfälzer noch einmal in staatsmännischer Position aufbauen. Vierzig Minuten lang zählte Polens Präsident Kwasniewski die Verdienste des deutschen Staatsmannes auf, während freundlich nickende Prominente bewundernd auf ihn blickten. Kwasniewski zitierte: "Nicht nur Polen braucht Europa, sondern auch Europa braucht Polen, das waren Ihre Worte, Herr Bundeskanzler!"
Nun kann man zwar nicht sagen, daß alle Polen den deutschen Kanzler mögen, gewiß kann man aber sagen, daß die überwiegende Mehrheit der Polen starke Sympathien für Kohl empfindet ja, daß sie ihn geradezu verehren. Das Geheimnis seines Erfolges ist, daß Kohl glaubhaft machen konnte, daß ihm die Aussöhnung mit Polen und die Einigung Europas tatsächlich ein Herzensanliegen ist. Da fragte er nicht, was die Osterweiterung kostet oder sorgte sich um deutsche Bauarbeiter in Berlin, die durch polnische Schwarzarbeiter ausgebootet werden. Und schließlich ist er bei den Polen auch deswegen so beliebt, weil er der deutsche Staatsmann ist, der die Abtretung der deutschen Provinzen endlich 1991 mit dem Grenzbestätigungsvertrag vollzog. Daß das alles einmal so kommen würde, damit hatten nun in Europa Ende der siebziger Jahre nur wenige ausgesprochene Kenner der politischen Szenerie gerechnet. Viele deutsche Heimatvertriebene waren nicht darunter. Dies lag wohl auch daran, daß es doch gerade jener Helmut Kohl war, der in den siebziger Jahren immer wieder wie ein Anwalt der Freundeskreisen wirkte.Er zielte aber nur auf Wählerstimmen ab. Unvergessen sind seine Äußerungen im Vorfeld der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 gegenüber dem "": "Dementsprechend kann für die Union die Bundesrepublik nur ein Teil Deutschlands sein, das bis zu einem Friedensvertrag in den Grenzen von 1937 fortbesteht. Dazu gehören die Vertreibungsgebiete Ostdeutschland, Pommern und Schlesien."
Doch als der Pfälzer endlich im Kanzleramt war, war von der "geistig-moralischen Wende" nichts zu spüren. Zwar ging er noch 1985 zum Schlesiertreffen nach Hannover, doch vor aller Welt verhehlte er kaum, daß er nur widerwillig erschien.
Viele linke und linksliberale Kommentatoren in den Zeitungen und Sendeanstalten prügelten damals auf die Freundeskreis, auf das Veranstaltungsmotto ("40 Jahre Vertreibung Schlesien bleibt unser"), auf die Verbandszeitung "Der Schlesier" ein und sie prügelten auch auf den geplanten Festredner Kohl ein. Kohls einstiger Lieblingsbiograph, der Historiker Werner Maser, schrieb in seinem Buch "Helmut Kohl. Der deutsche Kanzler" dazu, daß die "meisten Medien" Kohls Auftritt in Hannover "geschmacklos kommentierten". Da hat Maser zweifelsohne recht. Der deutsche Polenexperte Hans-Werner Rautenberg kommentierte kürzlich, daß "diese Aktion der Freundeskreis Schlesien eher kontraproduktiv gewirkt hat". Enttäuschend für die Vertriebenen bleibt, daß Kohl nicht die Kraft aufbrachte, sich schützend vor sie zu stellen. Daß Kohl jetzt der BdV-Präsidentin Erika Steinbach nicht deutlich widersprach, sondern sie gewähren ließ, sorgte in Polen für Unruhe. Der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski sagte dazu: "Aber Sie wissen ja: Die Polen sind sehr empfindlich in diesem Punkt, und viele haben sich gefragt: Was ist los mit Helmut Kohl? Warum spricht er so?" Der erfahrene Schriftsteller gab die Antwort gleich selber: "Für mich war klar, daß es sich für Kohl nur um ein Element des politischen Spiels handelt."
|
|