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EU-Kandidat Polen in tiefer Finanzkrise

 
     
 
Es kam, wie es Fachleute schon seit längerer Zeit voraussagten: die Republik Polen steht vor dem finanziellen Zusammenbruch. Dem EU-Beitrittskandidaten fehlen rund 45 Milliarden Mark, das sind etwas über zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die erste Reaktion auf das Defizit war - auch nach dem Selbstverständnis unserer Politiker - so ungewohnt nicht, man suchte einen Schuldigen und fand ihn in der Person des Finanzministers
Jarslaw Bauc. Der Vorwurf lautete, er habe zu spät das Fiasko entdeckt. Eine kaum nachvollziehbare Schutzbehauptung, denen auch in Polen gibt es selbstverständlich Rechnungshöfe und andere Kontrollinstanzen, die fortwährend die Verantwortlichen über den Stand der finanziellen Dinge zu unterrichten haben.

Es steht zu vermuten, daß seit der Wende von vor zwölf Jahren, damals erließ übrigens Außenminster Genscher Warschau Schulden in Milliardenhöhe, zunächst Geld in Hülle und Fülle vorhanden war und niemand daran dachte, daß der unerwartetete Strom je versiegen könnte. Solch eine Ausgangslage verdirbt schon auf kurze Dauer hin die Umgangsformen, wie überhaupt die Sorglosigkeit im Umgang mit Finanzen sich schon in der Republik Polen zwischen den beiden Großen Durchgängen, die bereits in den frühen zwanziger Jahren den Völkerbund nötigten, das liebliche Wunschkind mit Finanzspritzen am Leben zu halten. Für die Gegenwart bedeutet dies, Abstriche bei allen bisherigen Versprechungen zu machen, was angesichts der am 23. September anstehenden Wahlen keine Kleinigkeit sein dürfte. Die Chancen für das „bürgerliche“ Kabinett Jerzy Busek stehen ohnehin nicht günstig, und der anstehende Wechsel in das „sozialistische“ Lager dürfte mit noch größeren Ausgaben verknüpft sein, weil dies das Selbstveständnis nun einmal gebietet. Schon die Bauc-Nachfolgerin Wasilewska-Trenkner mußte alle Erwartungen dämpfen: „Kleine Kürzungen schaffen keinerlei Abhilfe“, was wohl aus der Sprache der politischen Verklausulierung in die des normalen Verständnisses übersetzt heißt, Polen ist pleite. Ob dies die vorhandene Skepsis der Polen in Sachen EU-Mitgliedschaft steigert oder abschwächt, ist noch offen. Sympathien könnten nur bei Erleichterungen für die leeren Kassen zu erwarten sein, aber die Skepsis insbesondere in Frankreich ist groß und in Berlin sind die Kassen nicht voller.

Bereits 1990/91 war Warschau von einem mit einem Gutachten betrauten Schweizer Bankenkonsortium davor gewarnt worden, die deutschen Ostgebiete in ihrem Verwaltungsbereich zu belassen. Jeder Quadratkilometer Land bedeute eine ungeheure zusätzliche finanzielle Belastung, aber das Urteil der Finanzfachleute wurde damals von einem großen Teil der neuen Warschauer Führungsriege ausgeschlagen. Man vertraute wohl auf einen nie versiegenden Geldstrom. Dabei erweist sich gegenwärtig immer stärker, wie recht die Schweizer hatten. Allein schon der riesige Agrarraum Pommerns, Ostbrandenburgs, Schlesiens und Ostdeutschlands mit seinen vielfach zernierten bäuerlichen Kleinbetrieben wird den in Mitteleuropa üblichen Leistungen nicht gerecht. Eine Agrarreform, wie sie der EU vorschwebt, macht Hunderttausende von Kleinbauern arbeitslos, da würden wohl auch die erforderlichen 130 Milliarden Mark nicht zureichen, zumal die Frage des Absatzes von den Funktionären diverser EU-Planungsstäbe vornehm übergangen wird. Ähnlich verhält es sich mit der Industrie. Die Kohlegruben und Verhüttungswerke in Schlesien und die Werften an der Pommerschen Küste sind allesamt überaltert. Bei den schlesischen Kohlegruben verhält es sich so, daß schon modernere Schrämmaschinen eine solche Förderleistung besitzen, daß sie das Transportsystem zum Zusammenbruch bringen würden. Das Schienensystem der Deutschen Reichsbahn war nur auf wesentlich geringere Transportleistungen angelegt. Ähnlich verhält es sich mit dem großzügig angelegten Kanalsystem für die Binnenschiffahrt, das nach Aufnahme der polnischen Verwaltung kaum noch bedeutungsgemäß unterhalten wurde. „Rübezahls Rache“ nennen manche Kundige diese Nachlässigkeit, die erst unlängst zu einer neuerlichen Überschwemmungskatastrophe führte.

Der Fall der Staatskrise Polens wird natürlich angesichts der angestrebten EU-Mitgliedschaft auch ein Fall für Brüssel. Ganz offensichtlich hat man allein die Beteurungen Warschaus, daß sich das Land auf bestem Wege befinde, schon für bare Münze genommen. Allein die Überprüfung der öffentlich zugänglichen Zahlen über die Sozialausgaben, die bei 55 Prozent (und 2002 schon bei 56,7 Prozent) liegen, hätte die Alarmglocken schrillen lassen müssen.

Ansonsten dürfte bei allem Mitgefühl für die Not des polnischen Volkes hier die gehässigen Worte des Friedensnobelpreisträgers Walesa vom „Ausradieren“ unseres Landes noch lange Nachwirkungen haben; praktische Hilfe ist ohnehin nicht mehr zu erwarten, da unsere Kassen auch leer sind.

 
     
     
 
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