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Ein Flug in die Welt der Phantasie

 
     
 
Handelt es sich um Träume? Nein, um Rauschzustände, in die man verfällt, sobald man den Fuß ins Musée du Papier Peint im elsässischen Rixheim setzt. Das palaisartige Gebäude, "Commanderie" genannt, wurde einst für die Deutschritter erbaut; 1779 zog die Firma Dollfus ein und gründete eine Tapetenfabrik. Ab 1802 übernahm Jean Zuber die Firma. Die Produktionen wurden weit über Frankreich hinaus berühmt. 1983 wurde das Haus Museum mit 130.000 Expo
naten. Allesamt sind Spiegel der Moderichtungen und der Gefühlswelten in der jeweiligen Epoche.

Vorab ist jedoch die Frage zu klären, wie kam die erste Tapete überhaupt an die Wand? Alle Wandbekleidungen haben ihren Ursprung in den Zelten der Wandervölker, die die kahlen Jurtewände mit Teppichen behingen. Das sah schön aus, erfreute das Auge. Die Sitte übernahmen seßhafte Siedler. Aus dem Orient kamen die Bildweberei und auch die Bildstickerei nach Europa. Handgemalte Seiden- und Papiertapeten aus China fanden über die Ostindischen Handelscompagnien den Weg zu uns.

Bald überschlugen sich die Ereignisse. Jedes Land wollte die stimmungsvollen Wandzierden selbst produzieren. Aus den Niederlanden gelangte die Wandteppich- und Tapetenweberei nach Frankreich, wo flugs um 1550 die "Schule von

Fontainebleau" entstand. Unter Ludwig XIV. entwickelten die Gebrüder Gobelin ihre Wunderwerke. Der Wandbekleidungsrausch grassierte. Es gab Tapeten aus Leder, Seide, Samt, sie konnten versilbert oder vergoldet werden und waren für die Reichen bestimmt. Wachstuch- und Kattuntapeten bespannten die Wände der weniger Betuchten. Gefirnißte Holztapeten fanden sich vornehmlich in Räumen, in denen Rauchkringel schwebten. Doch der Siegeszug der Papiertapete war nicht aufzuhalten. Sie blieb am billigsten; ihre Unwiderstehlichkeit resultierte aus ihrer leichten Auswechselbarkeit.

Im Maschinenraum des Rixheimer Museums können jene Ungeheuer begutachtet werden, mit denen die verschiedenen Tapetenarten im 18. und 19. Jahrhundert hergestellt wurden. Der technisch Interessierte wird hier verweilen; den Traumtapeten-Enthusiasten zieht es zu den Schätzen des Hauses. Unversehens bannen ihn Blumengefilde. Die Rose, aufgeblüht oder als

Knospe, dominiert auf den Tapeten um 1850. Meist auf hellem Untergrund, wallen die Blüten über das Papier, bilden Girlanden, quellen aus Körben und Vasen. Exotische Piepmätze gesellen sich ihnen zu, man meint, sie zwitschern zu hören. Bizarr die chinesischen Bildtapeten. Auch hier bevölkern Vögel hochgewachsene Stauden, die voller Blüten und roten Beeren hängen.

Jugendstilmuster bevorzugten den fragilen, lilienhaften Frauentypus. Die "Orangenpflückerinnen" von 1900 und die Nixe von 1898 sind klassisches Beispiel. Auf dem Meeresboden kauert die langschwänzige Wasserfrau, umschwärmt von Hunderten Fischen. Goethe ist fällig: "Oh wüßtest du, wie s Fischlein ist, so wohlig auf dem Grund, du stiegst herunter wie du bist, und würdest erst gesund." Beliebter Schmuck der Boudoirs waren "Schäkerszenen". "La Jeunesse" gibt die einleitende Handlung zur Liebesplänkelei wieder, der Jüngling lockt die Schöne mit einer Rose.

Schier überwältigend wirken die "Panorama-Tapeten", deren Motive von geschätzten, zeitgenössischen Malern entworfen wurden. Diese wandflächendeckenden Bilder sollten fremde, möglichst weit entfernt liegende Landschaften in die Salons, ins Wohnzimmer bringen und zum genußvollen Schauen verleiten. "Das glaciale Meer" wird jeden begeistern, den 30 Grad Hitze nicht recht erfreuen. Eisberge türmen sich auf, ozeanblau schimmert das Wasser. Griechenland ist mit Tempeln und ruinösen Säulen vertreten. "Lord Byron en Grèce" sitzt in der Nähe wogender Palmen, ein Griechenpaar in pittoresker Tracht weist ihm den Weg ins Land, das er - noch einmal Goethe - "mit der Seele sucht". Neun Tapetenbahnen schildern Szenen aus "Napoleon in Ägypten". Wer in einem Raum mit dieser Ausstattung ein Frühstücksei zu verzehren gedenkt, hat kein Gefühl für die Urgewalt der ägyptischen Kulisse.

Ein spanisches Sujet: "Einzug der Toreros" mit bildlichem Abstechen eines Stiers. Sensible Gemüter seien gewarnt. Erheiterndes Gegenstück ist ein Tapetenpapier von 1930. Hoch auf dem Seil brillieren Tänzer und Tänzerin, auf dem Trapez hüpft der Clown. Beenden wir die Zauberschau mit einer Friestapete reinsten Empires. Pegasus, das Flügelroß der Dichter, verlockt jeden Besucher zum Flug in die Phantasiewelt dieser französischen Tapeten.



Musée du Papier Peint, 28, rue Zuber, 68170 Rixheim bei Mühlhausen / Elsaß, Öffnungszeiten: Täglich außer Dienstag 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr, an Feiertagen geschlossen.

Zarter Jugendstil: Tapete mit floralen Motiven Foto: Museum Mathildenhöhe Darmstadt
 
     
     
 
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