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Wenn israelische Diplomaten im Ausland die Situation ihres Landes und ihrer Region erklären wollen, greifen sie gern auf eine Anekdote zurück. Ein Skorpion will auf das andere Ufer des Jor-dan und fragt einen Frosch, ob er ihn nicht auf dem Rücken tragend hinüberschwimmen würde. Der Frosch schaut auf den Stachel des Bittstellers und fragt ironisch zurück: Damit Du mich während der Fahrt tötest? Worauf der Skorpion antwortet: Dann würde ich ja selber untergehen, ich kann nicht schwimmen, und kurz vor dem Ufer kannst Du mich ja aufs Land abwerfen. Das leuchtet dem Frosch ein, er nimmt den unsiche-ren Kantonisten huckepack, schwimmt los, und mitten im Strom sticht der Skorpion zu. "Warum tust Du das?" röchelt der Frosch, "jetzt sind wir beide des Todes." "Ja", antwortet der Skor-pion ehrlich betrübt, "aber ich kann nicht anders." Und das, so die Diplomaten, ist der Nahe Osten: argumentierend, der Klugheit folgend und dennoch dem Wahnsinn freien Lauf lassend.
In Israel und Nahost ist das Paradoxon zu Hause. Da kommen wegen des wahnhaften Leichtsinns eines israelischen Bauunternehmers mehr als zwei Dutzend Menschen einer Hochzeitsgesell-schaft ums Leben, das Land ist fassungslos erstarrt. Und wäh-rend Palästinenser ihre Hilfe an-bieten, detonieren gleichzeitig zwei Autobomben, so als ob sie daran erinnern sollten, daß auch der Krieg mit den Palästinensern ein Wahnsinn ist. Aber kaum einer sieht es, beide Seiten treiben im Fluß und laufen Gefahr, einander zu töten.
Das Unglück der Hochzeitsgesellschaft, so tragisch und unfaßbar es ist, hat mit dem Krieg eines gemeinsam: Es ist schicksalhaft, rational letztlich nicht erklärbar und trifft nur Unschuldige. Aber während die Tragödie in der Tanzhalle von Jerusalem von keinem gewollt noch befohlen wurde, rutscht der Krieg, von Menschenhand entfesselt und geführt, in tragische Umstände hinein. Das Unglück ist vorbei, das Ende des Krieges aber nicht absehbar. Auch am Sonntag darauf gingen wieder Bomben hoch, eine im russischen Viertel Jerusalems, eine andere ein paar hundert Meter weiter. Der Schrecken von Jerusalem stürzt die Menschen in Trauer, der Terror der Hisbollah erzeugt nur neuen Zorn. Und es gehört zum Paradoxon dieser Region, daß Palästinenser voller Mitgefühl ihre Hilfe für die Opfer des Unglücks anbieten, während fast zur gleichen Zeit die Selbstmord-Attentäter sich in die Luft sprengen.
In diesem Paradoxon steckt aber nicht nur Tragik. Da ist auch die Hoffnung, daß jenseits von Haß und Krieg einmal das Menschli-che und die Vernunft das andere Ufer erreichen, daß inmitten der Trümmer, ja unter ihnen noch Hoffnung liegt. Diese Hoffnung hat auch einen Namen. Sie ver-knüpft sich mit dem neuen Son-dergesandten der USA, William Burns, der am vergangenen Wo-chenende auf seiner ersten Nah-ost-Tour in zahlreichen Gesprä-chen versuchte, die Hoffnungen auf Wiederaufnahme der Frie-densgespräche irgendwie zu konkretisieren. Er traf mit der Spitze der israelischen Führung in Jerusalem und mit der Führung der Palästinenser einschließlich Arafat zusammen.
Aber für neue hoffnungsvolle Pläne ist es offenbar noch zu früh. Die jüngsten Attentate zeigen, daß die Terroristen auf der palästinensischen Seite nicht bereit sind, dem Frieden eine Chance zu geben. Auch Palästinenserchef Arafat selbst zeigte sich trotzig. Auf der Konferenz der islamischen Außenminister in Doha kündigte er die Fortsetzung der Intifada gegen Israel an, "bis die palästinensische Fahne in Jerusalem gehißt wird". Mit Arafat wird es wohl kaum Frieden geben können. Auf israelischer Seite dagegen bemüht man sich neuerdings auch nach den Attentaten wieder um Zurückhaltung, ein erstes Ergebnis der Gespräche mit Sonderbotschafter Burns. Zwar wurde in den Autonomen Gebieten wieder geschossen, aber die israelische Armee drang nicht mit Panzern vor und setzte auch keine schweren Waffen noch Hubschrauber ein. Wie lange die Geduld jedoch andauert, ist angesichts der neuen Attentate und der martialischen Töne aus dem arabischen Lager nur eine Frage der Zeit. Immerhin, Washington hat erkannt, daß man sich nicht auf Dauer mit der Beobachterrolle der paradoxen Situationen begnügen kann. Der Weg zum Frieden ist steinig, schmal und voll Pulverdampf. Hoffnungslos ist er nicht.
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