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Ein Vordenker und Grenzgänger

 
     
 
Mein engagierter Mitstreiter für das "Zentrum gegen Vertreibungen", der Stiftungsvorsitzende Peter Glotz, ist tot. Er war das, was man im besten Sinne des Wortes einen homo politicus nennt. Als Kind hat Glotz noch Bombennächte durchlitten. Einmal schlug eine Bombe in ihr Haus ein, bei der Flucht aus dem Keller schiebt er den sperrigen Korbkinderwagen seiner kleineren Schwester panisch zur Seite: "Wer Todesangst kennengelernt hat, der hat sich selbst kennengelernt", schreibt er dazu. Mit sechs Jahren flieht er im Herbst 1945 zusammen mit seiner tschechisch
en Mutter und seiner Schwester aus Eger in Böhmen nach Nordbayern.

Im Nachkriegsdeutschland machte der junge hochintelligente, aber nachdenkliche Sudetendeutsche eine außergewöhnliche Karriere. Während seine Altersgenossen, die 68er, ganz anderen Dingen nachgingen, studierte Glotz zunächst Zeitungswissenschaften, Philosophie, Germanistik und Soziologie in Wien und München, wo er mit Mitte 20 zu publizieren begann. Mit 30 war er schon Konrektor der Universität München und betrieb nebenher seine politische Laufbahn. Von 1970 an saß er für die SPD im bayerischen Landtag, zwei Jahre später zog er zum ersten Mal in den Bundestag ein. Peter Glotz war vielleicht der brillanteste Kopf seiner Generation im linken Spektrum der deutschen Politik. Der Intellektuelle mit der geschliffenen Rhetorik machte sich als Medienexperte schnell einen Namen, wurde Staatssekretär für Bildung im Kabinett von Helmut Schmidt und erwarb sich als Wissenschaftssenator in West-Berlin, wo er von der Linken und Spontis heftig attackiert wurde, allgemeine Wertschätzung. Die politisch bedeutsamste Phase im Leben von Peter Glotz begann 1981. Sieben Jahre lang hatte er als Bundesgeschäftsführer die Hand am Steuer seiner Partei. Glotz war ein Vordenker, der der eigenen Partei eine programmatische Erneuerung und die "Wiedergewinnung der Kampagnefähigkeit" verordnen wollte. Allerdings war dies mit der damaligen SPD-Führung nicht zu machen. Glotz trat daraufhin zurück.

Mitte der 90er Jahre begann Professor Peter Glotz eine zweite wissenschaftliche Laufbahn. Er wurde Gründungsrektor der Universität Erfurt und forderte - ungewöhnlich für ein SPD-Mitglied - die Einführung von Studiengebühren und die Errichtung von Elite-universitäten. Glotz kam nicht umsonst bei Studentinnen und Studenten gut an. 1999 wechselte Peter Glotz dann nach St. Gallen, um dort einen Lehrstuhl für Medien und Gesellschaft zu übernehmen.

In der Mitte seines Lebens ist Glotz dann von seiner Herkunft eingeholt worden. Er entdeckte seine böhmische Herkunft. Das hat seinen Blick nochmals geweitet und ihn - was viele in seiner Partei verwunderte - zu einem temperamentvollen und mit Herzblut engagierten Unterstützer des "Zentrums gegen Vertreibungen" gemacht. Nichts konnte Peter Glotz abhalten, auf Vertreibungen als Menschenrechtsverletzungen und auf das Schicksal vertriebener europäischer Völker und aller vertriebenen Deutschen hinzuweisen. Für ihn waren die schrecklichen Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland niemals eine Rechtsfertigung für die Vertreibung der Deutschen.

Peter Glotz hat mit zahlreichen Ideen dem "Zentrum gegen Vertreibungen" viele wichtige Impulse gegeben. So geht auf ihn unter anderem die Patenschaftsaktion mit deutschen Städten und Gemeinden für das "Zentrum gegen Vertreibungen" zurück, mit der die gesamtdeutsche Verantwortung für das Schicksal der Vertriebenen und Flüchtlinge zum Ausdruck kommt. Mehr als 400 Städte und Gemeinden haben bisher fünf Cent pro Einwohner gespendet und sind Pate der Stiftung geworden.

Und fast nebenbei füllte Peter Glotz noch seinen Beruf als Publizist aus: Mehr als 20 Bücher hat er verfaßt, glänzend geschrieben, immer pointiert. In seinem letzten Buch "Von Heimat zu Heimat. Erinnerungen eines Grenzgängers", das am

9. September erscheinen wird, befaßt er sich ausführlich mit der Vertriebenenproblematik. Peter Glotz war ein liebenswerter und aufrichtiger Partner in der Sache, der mutig genug war, auch in anderen politischen Parteien gute Ideen und gute Freunde zu finden.

Sein Tod bedeutet einen Verlust für das politische Deutschland und das "Zentrum gegen Vertreibungen".
 
     
     
 
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