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Allensteiner und Freunde dieses Kleinods deutscher Geschichte, die nach dem Kriege überhaupt noch nicht oder in letzter Zeit nicht mehr die Stadt besucht haben, stellen immer wieder die Frage, was vom alten Allenstein geblieben ist. Glücklicherweise ist der Ort von größeren Kriegs- und Nachkriegsschäden weitgehend verschont sowie intakt und lebendig geblieben. Das vertraute Stadtbild mit den Türmen der Kirchen und des Neuen Rathauses bietet sich jedem Besucher, der meist von Osterode über Deuthen nach Allenstein kommt. Natürlich wird er die neuen Hochhäuser am Stadtrand nicht übersehen. Sie waren ebenso wie die neuen Stadtteile im Süden und Südosten notwendig, weil die Einwohnerzahl von 50.000 auf stattliche 180.000 gewachsen ist. Aber sie stören das Stadtbild nicht, und durch die Innenstadt kann man so wie früher gehen, durch die Fußgängerzonen zwischen Hohem Tor und Johannisbrücke sogar vom Verkehr befreit.
Die Wahrzeichen der Stadt aus alter Zeit mit Schloß, Jakobikirche, Altem Rathaus, Laubengängen und Hohem Tor sind ohne größere Schäden über den Krieg gekommen. Von den Polen gut restauriert, repräsentieren sie wieder die Stadt in altem Glanze. Das Schloß ist bekanntlich das älteste Bauwerk, sogar ein paar Jahre älter als die 1353 gegründete Stadt selbst. Es beherbergte anfangs den Administrator oder Landpropst. Als solcher wirkte hier auch ein paar Jahre im 16. Jahrhundert Nicolaus Copernicus, dem man später eine steinerne Büste unter einem hochgezogenen Baldachin am Zugang zum Schloß gewidmet hatte. Diese Copernicus-Büste findet man jetzt unterhalb des Schlosses auf einem höheren Sockel, der Platz bietet für eine lange polnische Inschrift für "den Verteidiger der Stadt Allenstein gegen die Kreuzritter-Eroberer, den großen Polen Nicolaus Copernicus". Geblieben ist aber die Nutzung des Schlosses als Heimatmuseum, während die drei Baben oder Barben auf dem Schloßhof dazugekommen sind, Steinfiguren aus der Pruzzenzeit, die nach 1945 von polnischen Kulturhistorikern in Bartenstein sichergestellt wurden.
Nicht viel später als das Schloß dürfte die St. Jakobi-Kirche gebaut worden sein, die stets eine katholische Kirche gewesen und jetzt die Kathedrale des zum Erzbistum erhobenen Bistums Ermland ist. Im Mai 2001 hat die Kirche, stets als eines der schönsten Gotteshäuser Ostdeutschlands gerühmt, ein repräsentatives Hauptportal aus Bronze erhalten. Das Hohe Tor wird erst 1507 urkundlich erwähnt, aber ist sicherlich viel früher mit der Stadtmauer entstanden, die zum Schutze der erweiterten Ansiedlung nach 1378 erforderlich geworden war. Die alten Allensteiner wissen noch, daß durch dieses Tor nicht nur Autos und Fuhrwerke, sondern auch die Straßenbahnen gefahren sind. Jetzt passieren nur noch Fußgänger das Tor, während der Verkehr zwischen Zeppelin- und Wilhelmstraße am Belianplatz entlang geleitet wird.
Der Marktplatz als ältester Mittelpunkt der Stadt weist immer noch das Alte Rathaus von 1664 mit der Bücherei, jetzt "Biblioteka", und auf drei Seiten herum die schönen Laubenhäuser auf. Von diesen waren die Polen so angetan, daß sie bei der Restaurierung gleich ein paar dazu gegeben haben. Die Schäden am Rathaus sind auch behoben, und der beim Brand 1842 eingestürzte Turm ist wieder aufgebaut. Der Platz um das Rathaus ist wieder sehr ansehnlich und wird auch von einem Springbrunnen geschmückt.
Von den Bauten aus dem 19. Jahrhundert steht an der Ecke Zeppelinstraße/Jakobstraße das markante Gebäude der 1844 gegründeten Allensteiner Zeitung. Nur, eine Zeitung beherbergt sie nicht mehr. Dafür gibt es - natürlich - noch die Gazeta Olsztynska am Fischmarkt. Der Hauptbahnhof von 1872 existiert heute noch. Erhalten blieb auch der Bahnhof West von 1883, den man offiziell den Bahnhof Allenstein-Vorstadt, allgemein aber den Kleinen Bahnhof nannte und den die Polen heute "Zachodny" nennen. Geblieben ist auch das frühere Reichsbahnausbesserungswerk in der Bahnhofstraße, sogar in seiner Funktion.
An der Ecke Kaiserstraße/Kleeberger Straße ist das 1880 errichtete Gebäude des Amts- und Landgerichts jedem alten Allensteiner in guter Erinnerung, ebenso das Verkehrsbüro und das Sportgeschäft davor. Diese beiden Pavillons gibt es nicht mehr, und das nach einem Brand aufgestockte Gerichtsgebäude wirkt heute auch nicht mehr so ansehnlich und harmonisch. Die größte Veränderung erfuhr jedoch die 1886 eröffneten Heil- und Pflegeanstalt Kortau. Sie beherbergt jetzt die Ermländisch-Masurische Universität. Bereits seit 1887 steht in der Wilhelmstraße fast unverändert die Post. Nur die Bezeichnung und der Schalterbetrieb haben sich etwas verändert. Neu ist neben der Post die Residenz des Erzbischofs. Gleich geblieben ist vom Äußeren her der 1897 errichtete Wasserturm auf dem Andreasberg. Nur ist der Blick zum und vom 23 Meter hohen Turm durch die zwischenzeitlichen Neu- und Hochbauten nicht mehr so frei.
Von den Bauten aus dem 20. Jahrhundert zählte und zählt noch heute das Regierungsgebäude von 1911 zu den markantesten Bauwerken der Stadt. Es sieht alles noch so wie früher aus. Nur der jetzige Efeu-bewuchs schränkt die Sicht auf die Vorderfront ein, in der das Hauptportal mit der Eichentür auch noch unverändert ist. Doch die vielen Schilder der PKK weisen darauf hin, daß jetzt nicht mehr die Verwaltung eines Regierungsbezirks, sondern die polnische Eisenbahnverwaltung hier ihren Sitz hat. Das Neue Rathaus wurde von 1912 bis 1915 erbaut, und mit seinem hohen vielgliedrigen Turm zum neuen Wahrzeichen der Stadt. Kein Reise- oder Stadtprospekt und kein Bildband kann auf seine repräsentative Wiedergabe verzichten. Den schönen Bildern ist jedoch nicht anzusehen, daß zwei wichtige Bestandteile jetzt fehlen. Das Glockenspiel, das von 1930 bis zum Kriege mit vielen schönen Liedern die Passanten erfreute, gibt es nicht mehr, und auch die kunstvollen Reliefbildnisse am Russenerker sucht man vergeblich. Sie wurden erst viele Jahre nach dem Krieg zerstört. Doch das Gesamtbild ist immer noch schön und eindrucksvoll.
Geblieben ist auch ganz in der Nähe der 1925 eingeweihte Bau des "Treudank"-Landestheaters. Nur seine einladende große Freitreppe zur Hindenburgstraße hin wurde durch zwei schmale Seitenaufgänge ersetzt. Mehr Raum für die Fußgänger wurde dadurch geschaffen, aber die Wirkung des schönen Aufgangs ist verloren. Dennoch bleibt die Freude, daß der Hauptbau noch besteht und auch weiter als Theater und Musentempel genutzt wird. Die Treue der deutschen Bewohner und der Dank des Vaterlandes für ihr Bekenntnis zum Deutschtum bei der Volksabstimmung 1920 gaben den Namen und den Anlaß für den Theaterbau.
Noch sichtbarer kam der deutsche Abstimmungssieg in dem 1928 errichteten Abstimmungsdenkmal zwischen Neu-Jakobsberg und Brauerteich zum Ausdruck. Daß die Polen ihren in Stein gemeißelten geringen Stimmenanteil und die Worte "Wir bleiben deutsch" in dem steinernen Säulenkranz nicht stehenließen, ist ihnen gewiß nicht zu verdenken. An seiner Stelle errichtete man deshalb ein neues Denkmal für die "Helden im Kampf um nationale und soziale Befreiung im Ermland und Masuren".
Wenn nach diesen emotionalen Fakten das Finanzamt in der Bahnhofstraße erwähnt wird, dann nicht wegen der Gemütswallungen mancher zur Kasse gebetener Bürger, sondern wegen seiner jetzigen Nutzung. 1996 wurde dieses schmucke viergeschossige Gebäude, das zuletzt der polnischen Polizei gedient hat, mit Mitteln der Stadtgemeinschaft Allenstein von der Woiwodschaft käuflich erworben und der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit (AGDM) zu Eigentum übertragen. Ziel dieser Aktion war der weitere Ausbau zu einer deutsch-polnischen Begegnungsstätte, der inzwischen weithin gelungen ist. Das "Haus Kopernikus" beherbergt jetzt nicht nur die Geschäfts- und Versammlungsräume der deutschen Vereine, sondern auch eine Bibliothek, ein Sprachlabor und Unterrichtsräume zum Erlernen der deutschen Sprache. Insbesondere von der Jugend werden diese Möglichkeiten gern genutzt, aber auch namhafte Persönlichkeiten polnischer Regierungsstellen sind schon zu bedeutenden Veranstaltungen hier gewesen. Besucher aus der Bundesrepublik finden hier auch eine nützliche Anlaufstelle.
Die Kirchen von Allenstein haben nicht nur wegen ihrer baulichen Größe und schönen Ansicht für jeden Bürger eine besondere Bedeutung. Wer in einer Kirche als Meßdiener tätig war, in ihr getauft, konfirmiert oder eingesegnet wurde oder wer sie öfter zum sonntäglichen Gottesdienst besucht hat, der wird eine persönliche Beziehung gerade zu dieser Kirche zeitlebens bewahren. Deshalb ist es schön, daß neben der bereits als Wahrzeichen genannten Jakobikirche auch alle anderen Kirchen meist gut erhalten blieben.
Die 1877 gebaute evangelische Pfarrkirche zwischen Schloß und Markt hat als kleinste der Hauptkirchen allerdings die größten Schwierigkeiten mit mancher Baufälligkeit. Ohne die finanzielle Mithilfe der Stadtgemeinschaft hätte die klein gewordene evangelische Gemeinde in Allenstein kaum ein neues Dach decken können. Inzwischen hat sich aber der unter Denkmalschutz gestellten Kirche die deutsch-polnische Stiftung angenommen und viel Gutes sogar für die Renovierung im Kircheninnern getan.
Die Herz-Jesu-Kiche von 1903 in der Kopernikusstraße ist mit ihrem 82 Meter hohen Turm weithin sichtbar. Augenfällig sind aber auch das farbenprächtige Herz-Jesu-Mosaikbild und das riesige Rosettenfenster über dem Hauptportal sowie im Innern der dreischiffigen Hallenkirche der neugotische Hochaltar, ein Flügelaltar aus Eichenholz.
Die im romanischen Stil 1913 erbaute Sankt-Josefi-Kirche steht an der Wadanger Straße, jetzt aber nicht mehr so abgelegen, weil hier die Busse auf ihrem Weg nach Jakobsberg vorbeifahren. Zur Königstraße hin erstreckte sich der katholische Friedhof und dahinter der alte evangelische Friedhof. Auf diesem Gelände wurde 1914 die evangelische Friedhofskapelle in Betrieb genommen. Sie diente nicht nur für Trauerfeierlichkeiten, sondern sonn- und feiertags auch dem Gottesdienst. Heute wird sie von der russisch-orthodoxen Gemeinde genutzt. Aus dem alten Friedhof wurde eine parkähnliche Anlage, während der neue evangelische Friedhof daneben der Verwahrlosung und Zerstörung anheimfiel.
Von der evangelischen Gemeinde genutzt wurde auch die von 1910 bis 1915 erbaute Garnisonkirche mit ihrem Zwillingsturm und der zur Lutherstraße (in der Verlängerung der Jägerstraße) hin lang abfallenden Freitreppe. Diese gibt es nicht mehr und auch nicht mehr die evangelische Bestimmung. Aber Garnisonkirche, wenn auch jetzt für die polnische und katholische Garnison, ist sie geblieben, ein eindrucksvoller Bau in exponierter Lage.
Geblieben ist auch das Franziskanerkloster in der Frauenstraße mit der Franziskanerkirche von 1926. Die sechs hohen runden Säulen, die das etwas vorgezogene Giebeldach tragen, bestimmen nach wie vor das äußere Erscheinungsbild.
Mit Gaststätten haben es die Polen offenbar nicht so. Nichts gegen Kultur, der jetzt "Neu Jakobsberg" verpflichtet ist. Aber wer sich noch an die Veranstaltungen aller Art, an Tanzabende mit Erich Börschel und Eugen Wilken, an den Ausschank saarländischer Patenweine oder an die Lesung von Graf Luckner erinnert, wird die Reduzierung dieser Gaststätte auf ein Kulturhaus der Jugend ebenso beklagen wie die Nichtnutzung der schönen Terrasse mit Blick auf den Mummelteich. Daß es die Gaststätte "Waldfrieden", das Schloß-Café oder die Konditoreien Grützner und Bader nicht mehr gibt, ist zwar durch den Wegfall der Gebäude bedingt, aber daß es noch immer keinen gleichwertigen Ersatz gibt, können die alten Allensteiner nicht recht verstehen.
Vielleicht schaffen sie einen Wandel, wenn sie zahlreich nach Allenstein kommen und vernehmlich auf die Vorzüge früherer Einrichtungen hinweisen, dabei aber nicht vergessen, die jetzigen Bewohner für den Erhalt der alten Bauwerke und für manches Neugeschaffene zu loben. Mit Erinnerung allein ist es nicht getan. Dieser Artikel hat viele Rück-blicke gebracht, aber das Leben der Allensteiner ist 1945 nicht zu Ende gegangen und das der Stadt Allenstein auch nicht. Ein friedliches Zusammenleben oder zumindest ein vorurteilsfreies Verständnis füreinander und eine gedeihliche Zukunft für alle ist ein erstrebenswertes Ziel. Allenstein: Blick vom Schloßturm Foto: Jutta Jahnke
Uni in der früheren Heil- und Pflegeanstalt Neues Rathaus ohne schönes Glockenspiel
An schönen Gaststätten mangelt es allerdings |
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