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Einblick in die Seelenlage der Nation

 
     
 
Der 1973 gegründete Freie Deutsche Autorenverband (FDA) konnte dank einer Schweizer Sponsorin einen ersten Literaturpreis für Kurzprosa ohne Themenvorgabe ausrufen, bei dem sich genau 1.823 Einsender Hoffnung auf ein Preisgeld von 3.000 Euro machten. Das war für drei Juroren sowohl eine harte Arbeit als auch eine Zumutung
. Wie ein Jury-Mitglied, der Schriftsteller und langjährige Lektor Joachim Walther, in seiner Laudatio zur Leipziger Buchmesse ausführte, bot die aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anonym eingesandte Textflut einen "dekuvrierenden Einblick in die Seelenlage der Nation". Und? "Es sieht nicht sonderlich lustig aus da drinnen in der deutschen Volksseele." Sei eine Vielzahl der Manuskripte noch so schlecht, aber sie reiche allemal, Soziologen, Theologen oder Politiker in Verlegenheit zu bringen. Walther filterte mehrere Stufen heraus; auf Platz 1 läßt sich die Vereinsamung und Verlassenheit des Menschen ablesen. Auf Platz 2 folgen die gestörten Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen, und auf weiteren Rängen folgten Verluste von sozialer Sicherheit und Sinnhaftigkeit sowie aufgegebene Hoffungen, verfallende Werte. Das heißt: Das Land ruiniert sich leider nicht nur wirtschaftlich.

Es bestätigt sich, was die 1971 geborene und in einem linken Kinderladen aufgewachsene Autorin Sophie Dannenberg in ihrem 2004 erschienenen Buch "Das bleiche Herz der Revolution" schrieb und was sie gegenüber Spiegel online noch einmal auf den Punkt brachte: "Die 68er waren groß im Zerstören von Institutionen und Werten: Die deutschen Universitäten haben sie auf dem Gewissen, die Familie, das Leistungsprinzip, Etikette und Anstand, Verläßlichkeit und Geborgenheit ... Was die 68er damals ideologisch legitimierten, hat sich gesellschaftlich vollzogen, aber nicht als Utopie, sondern als Verwahrlosung."

Die Begutachter mußten aus den eingesandten Arbeiten neben dem 1. Preis noch 20 andere Arbeiten für eine Anthologie auswählen; unter ihnen waren Frauen souverän die Gewinner, wobei "der Abstand zu anderen preiswürdigen Geschichten", wie die Juroren meinten, "im literarischen Mikrometerbereich lag". Doch den ausgeschriebenen Preis verdiente sich der 1964 im sächsischen Glauchau geborene Jörg Jacob mit seiner Erzählung "Fortgesetzter Versuch, einen Anfang zu finden". Jacob ist, wie er von sich sagt, ein literarischer Spätzünder. Er erlernte einst den Beruf eines Polsterers, arbeitete als Handwerker, Hilfspfleger, stand am Fließband einer Fabrik, und in der Gastronomie begann er eine Kariere als Tellerwäscher, bevor er über ein Abendgymnasium das Abitur erlangte, um zwischen 1998 und 2003 das Diplom am Deutschen Literaturinstitut zu erwerben. Seitdem ist er freiberuflich, was in diesen kulturlosen und verschuldeten Zeiten von großer Kühnheit zeugt. Insofern bekam ein in jeder Hinsicht Würdiger und zugleich Bedürftiger den ersten Literaturpreis des FDA. Die Aufmerksamkeit dafür hält sich bezüglich der Medien in engsten Grenzen.

Leipzigs Ehrenbürger Erich Loest war jahrelang der Vorsitzende des von der Gewerkschaft (IG Medien, ver.di) ausgehaltenen Verbandes der Schriftsteller (VS); er schrieb im Februar dieses Jahres an den Pressesprecher des FDA: "Der Verein (gemeint ist der FDA) scheint sich ja gut zu entwickeln - am VS gar vorbei?" Nicht nur die Präsidentin des FDA, Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, sondern alle Mitglieder des oft als konservativ belächelten Verbandes würde es freuen, denn wohin der Fortschritt linker Gutmenschen geführt hat, läßt sich nun nicht mehr nur an Statistiken ablesen, sondern auch an der Literatur, denn Künstler, die nicht nur vom Wissen leben, sondern mit ihrem Gewissen, sind die zuverlässigsten Gradmesser der Not. Siegmar Faust
 
     
     
 
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