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Maos Erben

 
     
 
Heute hat es sich Maos Enkelgeneration an der Macht wohlig eingerichtet. Die Mörder aus der Zeit der Kulturrevolution und der Niederschlagung der Demokratiebewegung vom Tiananmen (1989) sind unter ihnen. 30 Jahre nach dem Tod Mao Tse-tungs herrscht die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) unangefochten, aber nicht mehr so totalitär wie früher. Sie räumt individuelle und wirtschaftliche Freiheiten ein, besteht jedoch weiter kompromißlos auf ihrem Machtmonopol
. Das Militär, die Justiz, der ganze Staatsapparat bis ins letzte Dorf, die Gewerkschaften, Universitäten, Medien, alle religiösen und weltlichen Organisationen werden von ihr weiter streng kontrolliert. Alle Bestrebungen der Unabhängigkeit – seien es die papsttreue katholische Kirche, die Falun Gong Sekte oder freie Gewerkschaften – werden rücksichtslos verfolgt und zerschlagen. Wenn hochrangige ausländische Besucher um Gnade für im chinesischen Gulag Inhaftierte bitten und entsprechende Namenslisten überreichen, wird meist kühl mitgeteilt, diese seien leider gerade verstorben oder müßten fünf Jahre zusätzlich absitzen. Das soll internationale Kampagnen abschrecken.

Unter den 66 Millionen Parteigenossen gibt es heute schon vier Millionen Unternehmer. Die Privatunternehmer treten hauptsächlich der Partei bei, um ihren Besitz und ihren Status gegen die Willkür örtlicher Parteisekretäre zu schützen, die sie mit Geschenken aller Art bei Laune halten müssen. Auf nationaler Ebene haben sich die technokratischen Spitzenkader um Partei- und Staatschef Hu Jintao mit den „roten Prinzlingen“ verbündet, die sich als die privilegierten Söhne der Vorgängergeneration an der Parteispitze das Volkseigentum auf bürokratischem Wege aneignen konnten. So herrscht in China mittlerweile eine Diktatur der Spitzenverdiener („rote Kapitalisten“) im Namen des Proletariats ruchlos über 850 Millionen arme Bauern sowie 150 Millionen Tagelöhner und Wanderarbeiter, die alle keinerlei Schutz vor Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Altersarmut haben.

Wenn Bauern und Hausbesitzer gegen entschädigungslose Enteignungen, Arbeiter gegen monatelang nicht ausbezahlte Löhne und Bergleute gegen menschenunwürdige Ausbeutung untertage protestieren, werden ihre Beschwerden und Petitionen ignoriert, ihre Demonstrationen zerschlagen und ihre Anführer verhaftet und oft genug erschossen. 

Der Mythos vom „Großen Steuermann“ und die heroischen Märchen vom „Langen Marsch“ legitimieren die selbstsüchtige Herrschaft der heutigen Kaderpartei. An einer kritischen Aufarbeitung der historischen Schuld Maos und der KPCh hat die Parteiführung ein genauso geringes Interesse wie postkommunistische Nachfolgeparteien in anderen Teilen der Welt. Heute nutzt die KPCh neben den inhaltsleeren leninistischen Symbolen auch nationalistische Parolen, Appelle an Chinas Größe, die bis 2020 zu erreichende Weltrolle und anti-japanische sowie gelegentlich antiwestliche Ressentiments.

Das soll die Behördenwillkür, die allgegenwärtige Korruption und die eklatanten sozialen und regionalen Gegensätze in einem Land, in dem die industriellen Stundenlöhne zwar „schon“ bei 60 Cent liegen, 25 Prozent der Bevölkerung aber noch mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen müssen, vergessen lassen. Solange es mit zehn Prozent Wachstum im Jahr wirtschaftlich weiter aufwärts geht, halten die 200 Millionen Angehörigen der neuen Mittelschicht, die der Massenarmut durch harte Arbeit und Sparsamkeit gerade entronnen sind, politisch still. Zu stark ist ihre Angst vor politischen Unruhen und dem Massenterror.

Dabei steht Chinas aktuelles Wachstum auf tönernen Füßen: Es hängt weiter vom Zustrom des Auslandskapitals und der Verarbeitung importierter Rohstoffe und Halbfertigprodukte für die Weltmärkte ab. Die Exportindustrien sind alle in den Küstenregionen, wo qualifizierte Arbeitskräfte knapp werden, konzentriert. Weiter im unterentwickelten Landesinnern sind die Kosten zu hoch. 

Bei Absatzkrisen in den Hauptmärkten des chinesischen Exportwunders – Nordamerika, Europa und Japan – würde dem chinesischen Wachstum schnell das Lebenslicht ausgeblasen und seiner wachsenden Hegemonialrolle über die Region – von Korea bis Burma – die Grundlage entzogen. Die korrupte Herrschaft der Partei erschiene dann den chinesischen Massen in einem anderen Licht.

Wie Mao das heutige China sehen würde, ist eine einerseits reizvolle, andererseits müßige Vorstellung. Es würde seiner Eitelkeit schmeicheln, seine Partei noch an der Macht zu sehen. Da er nie Mitleid mit dem Leiden seiner Opfer empfand, würde er über die sinnlosen millionenfachen Massenmorde seiner Herrschaft kein Bedauern empfinden. Damals hatte er blühende Metropolen, wie das kosmopolitische Schanghai von 1949, zu öden Industriestädten mit blauen Arbeitssklaven reduziert.

Der Beginn der Aufarbeitung von Maos Untaten würde in der Tat das Ende der kommunistischen Herrschaft in China bedeuten. Ein demokratisches, rechtsstaatlich verfaßtes China könnte wie Taiwan in seiner eigenen sozialen Entwicklung, aber auch in Ostasien und in der Weltwirtschaft eine wesentlich konstruktivere Rolle spielen.

 

Ein-China-Politik

Die „Volksrepublik China“ (VRC) vertritt die Auffassung, daß sie der einzig legitime chinesische Staat sei und es sich bei der nach dem Sieg der Kommunisten auf dem Festland 1949 gegründeten „Republik China“ auf der Insel Taiwan (Formosa) nur um eine „abtrünnige Provinz“ handele. Daher geht Peking grundsätzlich keine diplomatischen Beziehungen mit Staaten ein, die ihrerseits diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhalten. Nachdem ab den 70er Jahren auch immer mehr westliche Länder den direkten Kontakt zu Rot-China suchten, sind von Taiwan fast alle Botschaften abgezogen, auch die der Bundesrepublik Deutschland. Bestrebungen taiwanesischer Wiedervereinigungsgegner, ihre Insel offen zum souveränen Staat zu erklären, haben mehrfach zu schweren Verstimmungen zwischen beiden chinesischen Regierungen geführt.

Taiwan unterlief die „Ein-China-Politik“ Pekings, indem es in aller Welt „Wirtschafts- und Kulturbüros“ eröffnet hat, die als Vertretungen fungieren, ohne die Gastländer in diplomatische Verwicklungen mit der VRC zu stürzen.

 

Zeitzeugen

Mao Tse-tung – Der Große Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas (1893–1976) vertrieb die alten Machthaber Chinas und übernahm nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs 1949 die Macht im Land. Der Gründer der Volksrepublik China regierte diktatorisch. Ideologische Kampagnen wie „der große Sprung“ und die „Kulturrevolution“ kosteten Millionen Chinesen das Leben.

Lin Biao – Ohne die militärischen Fähigkeiten des Marschalls (*1907) wäre Mao nie der Sieg über die Truppen der Kuomintang gelungen: Mit der Eroberung der Mandschurei 1949 übernahmen die Kommunisten die Macht. Lin Biao galt lange Zeit als Maos Nachfolger. 1971 kam er bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben.

Maos Witwe Jiang Qing – Die 1914 geborene Schauspielerin entdeckte im „proletarischen Theaterverband“ ihr Interesse für Politik. 1933 trat sie der Kommunistischen Partei Chinas bei, über die sie Mao Tse-tung kennenlernte, und den sie 1939 heiratete. Schnell gewann Maos vierte Frau an Macht, ließ ihr nicht genehme Künstler hinrichten und versuchte alles, was an das kaiserliche China erinnerte, zu vernichten. Als Mitglied der sogenannten Viererbande wurde sie nach dem Tod Maos 1976 verhaftet. Kurz nach ihrer Freilassung 1991 beging sie Selbstmord.

Tschiang Kai-schek – Nach dem Tod Sun Yatsens, dem Gründer der nationalen Kuomintang-Partei, wurde der 1887 geborene General 1925 sein Nachfolger. Doch die Kommunisten bedrohten seine Macht. Es kam zum Bürgerkrieg. Ein Krieg gegen Japan zwang 1937 zum Bündnis mit Mao, das 1949 endgültig zerbrach. Tschiang floh in den Süden und gründete dort die Republik China, Taiwan.

Deng Xiaoping – Unter dem Namen Xixian geboren, nannte er (* 1904) sich später selber Xiaoping, kleiner Frieden. Nach dem Tod Maos übernahm der von ihm mehrfach verbannte, einstige Anhänger die indirekte Führung der Kommunistischen Partei Chinas und somit die Macht im Land. Auch wenn Deng Xiaoping jegliche Rufe nach politischer Freiheit im Keim erstickte, so führte sein Realitätsbewußtsein dazu, dem Land ein exorbitantes Wirtschaftswachstum zu bescheren.
 
     
     
 
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