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Die außereuropäischen Beziehungen der EU blieben wegen des kolonialen Erbes der meisten Gründungsmitglieder lange von der Entwicklungspolitik zugunsten Afrikas sowie der Karibik und einiger Pazifikinseln geprägt. Dadurch verpaßte die EU die frühzeitige Entwicklung enger kooperativer Beziehungen zu der dynamischsten Wachstumsregion der Welt, ein strategischer Fehler, der trotz der vor einem Jahrzehnt einsetzenden Korrekturversuche noch nicht gutgemacht werden konnte. Während Afrika in auch selbstverschuldeter Mißwirtschaft, Seuchen und Bürgerkriegen weiter zurückfällt, orientieren sich die asiatischen Industrie- und Schwellenländer, in denen die Hälfte der Menschheit lebt, politisch und kulturell fast ausschließlich in Richtung USA.
Zunächst entwickelten sich die Beziehungen der EU bilateral mit einzelnen asiatischen Ländern, darunter zuerst mit Japan, das in einer merkantilistischen Außenwirtschafts politik die europäischen Märkte in den 70er und 80er Jahren mit eigenen Exporten (Motorräder, Uhren, Kugellager, später Pkws und Unterhaltungselektronik) überflutete, während es die eigenen Märkte weitgehend geschlossen hielt beziehungsweise unter Druck der EU und der Amerikaner erst dann öffnete, als es sicher sein konnte, bei den liberalisierten Produkten wettbewerbsstark geworden zu sein. Zehn Jahre später imitierte Korea die gleiche aggressive, protektionistische Exportpolitik, was wiederum zu nachhaltigen handelspolitischen Spannungen mit allen westlichen Handelspartnern führte. Heute unternimmt China mit einem unterbewerteten Yuan, einer hohen Schutzzollpolitik und zahlreichen gemäß World Trade Organisation (WTO) widrigen Handelshemmnissen die gleiche Politik, ohne daß sich jedoch die EU bisher zu ernsthaften Demarchen bemüßigt gefühlt hätte. Gegenüber Japan und den anderen merkantilistischen Industriestaaten Ostasiens unternahm die EU-Politik etliche Mutationen. Trotz dieser dauerhaft widrigen Verhältnisse, die in Europa Tausende von industriellen Arbeitsplätzen kosteten, rief die Kommission mit Unterstützung der Bundesregierung Mitte der 90er Jahre den großen Handelsfrieden aus. Statt harter, mühevoller bilateraler Verhandlungen wird seither mit den Ostasiaten nur mit sanften Worten dialogisiert. Die handelspolitischen Ergebnisse tendieren erwartungsgemäß gegen null. Das scheint aber niemanden zu stören. Als Präsident Prodi sich im Oktober 2003 mit der chinesischen Führung in Peking traf, war von WTO-widrigen chinesischen Importbarrieren und ihrem Währungsdumping keine Rede. Es ging dem Kommissionspräsidenten nur um eine siebenprozentige Beteiligung der Chinesen an den Entwicklungskosten des Galileo Navigationssystems. Zweifellos freuen sich die Chinesen, ähnlich wie schon beim Transrapid, so billig an europäische Spitzentechnologien zu kommen.
Mit den Ländern Süd- und Südostasiens pflegt die EU hauptsächlich Programme der Entwicklungshilfe. Seit 1976 wurden etwa 13 Milliarden Euro gezahlt. Obwohl sämtliche Strategiepapiere der Kommission regelmäßig brav strategische Prioritäten postulieren, bleibt in jedem Empfängerland die Entwicklungsaktivität der EU ein unzusammenhängendes und teilweise widersprüchliches Potpourri: So koexistieren der Straßenbau und der Schutz der tropischen Regenwälder, der Aufbau von Gewerkschaften und die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben sowie die "üblichen Verdächtigen" wie Frauenprojekte, die Abwasserklärung, Biomassegewinnung und die Dorfentwicklung. Für sich genommen sind die Projektziele stets löblich, ergeben in Summe aber alles mögliche, einschließlich gutbezahlter Dauerarbeitsplätze einer kleinen Armee von NRO-Entwicklungsexperten, nur keine kohärente Strategie. Bezüglich der Empfängerländer gilt die ketzerische Beobachtung: Je weniger EU-Entwicklungshilfe sie erhielten, desto besser war ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie ihre politische Demokratisierung. Denn Staaten wie Korea, Hongkong, Taiwan, Singapur und Malaysia erhielten so gut wie keine EU-Hilfen, während sich die Hauptempfängerländer Indien, Bangladesh, Papua-Neuguinea, die Philippinen, Pakistan und Kambodscha kaum bewegten. Wie schon aus Afrika mit seiner über Jahrzehnte entwickelten "Kultur von Abhängigkeit" sattsam bekannt, überlassen viele jener asiatischen Empfängerländer die Sozial- und Regionalentwicklung getrost internationalen Gebern und wenden ihr Steuer- aufkommen lieber für Rüstungszwecke und den gehobenen Eigenbedarf der korrupten Regierungsapparate auf.
Seit längerem versucht die EU mit Ostasien auch auf kontinentaler Ebene Beziehungen zu pflegen. Zunächst begann man den organisierten Dialog mit den ASEAN-Ländern Südostasiens. Dieser brach ab, als sich ASEAN 1997 um Vietnam, Laos, Kambodscha und Myanmar (Burma) erweiterte, denn die korrupten und repressiven Militärherrscher Burmas standen unter dem Sanktionsbannfluch der EU. Nun bemüht man sich verzweifelt mit Zuckerbrot und Peitsche, den verstockten Generalen Kon-zessionen abzuringen, wie etwa die Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi und ihre Getreuen freizulassen, um den Dialog wiederzubeleben. Das ganze Unterfangen ist relativ absurd, denn die kommunistischen Generale, die Laos beherrschen, das Hun Sen Regime in Kambodscha oder die KP- Nomenklatura von Hanoi sind kaum weniger korrupt und repressiv.
Es ist aber auch für die Europäische Kommission nicht leicht, angesichts der disparaten politischen und wirtschaftlichen Interessen in bezug auf Asien einen gemeinsamen Nenner zu finden. Briten (Indischer Subkontinent, Burma, Malaysia, Singapur, Hongkong), Niederländer (Indonesien), Franzosen (Indochina), Portugiesen (Macao, Ostti- mor), ja selbst Spanier (Philippi-nen) pflegen postkoloniale bilaterale Sonderbeziehungen, während andere Mitgliedsstaaten (Skandinavier, Griechen, Iren und in Bälde die Osteuropäer) nur sehr geringe Interessen und Traditionen in Asien haben. Diese Gemengelage unterschiedlicher Einstellungen und Interessen wird von der Kommission in voluminösen Strategiepapieren mit vielen ehrenwerten Gemeinplätzen überkleistert. In der Substanz reflektieren jene Asienstrategien die "soft power" der EU. In allen echten, potentiell militärischen Großkonflikten des Kontinents wie zum Beispiel zwischen Indien und Pakistan sind die Europäer ohnmächtige Zuschauer ohne aktiven Gestaltungswillen. Als Instrumente bleiben Handelskonzessionen, Konferenzdiplomatie mit Fototerminen und das Füllhorn der Entwicklungshilfe. Davon sind jedoch viele Despoten von Burma bis Nordkorea ziemlich unbeeindruckt.
Wo die EU anfängt, politisch zu agieren, da gerät sie rasch in Widersprüche. So akzeptiert die "Ein China"-Politik der EU die Position der Pekinger Kommunisten gegenüber Taiwan, der einzigen echten und lebendigen chinesischen Demokratie. Taiwan wird von Peking als illegitime Rebellenprovinz gesehen, deren Bewohner kein Recht auf Selbstbestimmung haben und die zur Not mit Waffengewalt heim ins Reich gezwungen werden dürfen. Niemand wagt es, den chinesischen Machthabern zu sagen, daß ihre "Ein China"-Politik erst dann legitim werden kann, wenn China selbst zur rechtsstaatlichen Demokratie mit einem Minderheitenschutz und regionalen Autonomierechten geworden ist.
Die deutsche Asienpolitik zeichnet sich unter dem Gespann Schröder/Fischer durch eine Mischung aus Desinteresse, Ignoranz und chinapolitischem Opportunismus aus. Die Informationsunlust beider entspringt mutmaßlich der Tatsache, daß die ostasiatischen Erfolgsgeschichten mit ihrer Betonung konservativer konfuzianischer Tugenden im Bildungs- und Wirtschaftssystem ihren altlinken Vorurteilen und Gewißheiten zuwider- laufen. Es ist bezeichnend, daß beide, im Gegensatz zu Schmidt und Kohl, mit ihrer lauten, urteils- gewissen Art keine persönlichen Beziehungen zu irgendeinem asiatischen Staatschef aufbauen konnten. Schließlich entwickelte sich die deutsche Chinapolitik, die schon seit Wilhelm II. unter einem gewissen Maß an Großmannssucht leidet, unter Schröder endgültig zum Fiasko. China ist das einzige Land Asiens, das der Kanzler mit großen Wirtschaftsdelegationen im Schlepptau gern bereist. Er lebt in der naiven Hoffnung, dort in der Tradition des politisch privilegierten Osthandels mit den alten Comecon-Ländern eines Tages mit milliardenschweren Großaufträgen für die deutsche Exportwirtschaft zurückzukehren. Dazu wird es aber nicht kommen. Nicht nur, daß die Chinesen als beinharte Verhandler Prototypen deutscher Spitzentechnologie zum Schleuderpreis erwerben. Die in Aussicht gestellten Anschluß-Großaufträge führen sie dann - siehe Transrapid - doch lieber in Eigenregie aus. Doch die Vision des chinesischen Marktes mit seinen 1,4 Milliarden Verbrauchern (von denen die meisten zu arm sind, sich ein Fahrrad zu leisten) treibt dem Kanzler wie Onkel Dagobert weiter die US-Dollar-Zeichen in die Augen. Offenbar ist Schröder entgangen, daß das chinesische Wirtschaftswunder auf tönernen Füßen ruht. Der gesamte Boom der Küstenregion von Hongkong bis Schanghai wird ausschließlich von Auslandsinvestitionen geschaffen, von denen die meisten erst Gewinne machen müssen. Im Lande selbst sind die großen Staatsbanken und -konzerne ebenso konkursreif wie seinerzeit im Ostblock. Es scheint nur eine Frage der Zeit, daß die überhitzte Chinaspekulation ebenso platzt wie die Japanblase von 1992, die Asienkrise von 1997/98 und die Internetblase von 2000. Der Kanzler dürfte dann das Scheitern der deutschen und der europäischen Asienpolitik ebenso achselzuckend wegstecken wie die Endlosserie vergangener unreflektierter lautstarker Ankündigungspolitiken.
Im Rachen des Drachen: Asienpolitik Deutschlands und der EU ist von Desinteresse gekennzeichnet. |
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