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Die aus Sowjetzeiten noch bestens als regierungsnah bekannte russische Zeitung "Izvestija" veröffentlichte noch vor dem Zusammenbruch der Jelzinschen Politik unter dem Titel "Wird Kaliningrad ein "russisches Hongkong?" von Sergej Guk einen Beitrag über das Schicksal Ostdeutschlands, der Anlaß zu der Hoffnung gibt, daß das Gebiet, wie schon lange von unsererer politischen Redaktion behauptet, in überschaubarer Zeit in das politische Kalkül Moskaus rücken wird. Es wird dann darauf ankommen, ob die poltisch Verantwortlichen und alle am national
politischen Geschehen orientierten Deutschen die Gelegenheit ergreifen werden, einen Teil der Unrechtsfolgen aus der Nachkriegszeit zu beseitigen.                                     P. F.

Das kürzlich in Rußland erschienene Buch "Grundlagen der Geopolitik – die geopolitische Zukunft Rußlands" hat in der Bundesrepublik Deutschland lebhaftes Interesse hervorgerufen. Unverzüglich reagierte auch die Zeitung "" (Irrtümlich stand hier "Deutscher Ostdienst", das BdV-Organ), auf die Publikation, die von der Freundeskreis der aus Ostdeutschland Stammenden herausgegeben wird. Die Idee, die von den Autoren vertreten wird, von denen einer General ist und im Akademischen Generalstab dient, ist für die Preußen eine unerwartete und angenehme Überraschung – nämlich das Kaliningrader Gebiet an Deutschland zurückzugeben im Austausch gegen deutsche Investitionen und Technologien. Die Zeitung sah in der Herausgabe des Buches ein Signal, das von einem "Umdenken" in der Beziehung zum Kaliningrader Gebiet an der militärischen Spitze Rußlands zeugt. …

In Kaliningrad gibt es das Deutsch-Russische Haus, das im Grunde die Deutschen selbst besuchen, Reisende aus Deutschland eingeschlossen. In ihren Rängen tauchen bekannte Gesichter auf, gleichsam Veteranen des "Kalten Krieges", Dregger oder Hupka (viele Bundesbürger, die Reisen nach Polen durchführen, halten es für ihre Pflicht, auch Königsberg zu berücksichtigen). Durch die Hilfe des Deutsch-Russischen Hauses gelangt auch humanitäre Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland in das Gebiet, dort betätigt sich auch die Jugendorganisation "Neue Kraft" einer Lutheranischen Gemeinde.

Im allgemeinen ist das Streben der deutschen kultur-architektonischen Landschaft mit friedlichem Antlitz recht beschaulich: die Restaurierung alter Gebäude, Höfe und Kirchen, Gräber der im Ersten und Zweiten Weltkrieg Gefallenen. Auf der Grundlage russischer Mutlosigkeit und der in Verwüstung übergehenden Blockhäuser wird eine schmucke Vitrine erstellt, die von fern an die erinnert, die im Westteil Berlins gestaltet wurde. Aber man kann den Deutschen keinen Vorwurf machen: Die Untätigkeit der russischen Macht ist für sie kein Grund, nicht auch noch nichts zu tun.

Übrigens ist die erklärte Position der Mächtigen der BRD völlig klar. Für sie ist Kaliningrad – aus der Sicht des internationalen Rechts – eine abgetrennte Scheibe. Jedoch werden keine Gebietsansprüche erhoben oder Andeutungen auf die "Offenheit" der Probleme geäußert. Unlängst wurde auf einer Versammlung der russich-deutschen Kommission in Samara etwas anderes behauptet: Bonn betrachte Kaliningrad nicht als Ort einer geschlossenen Bevölkerung ethnischer Deutscher. Tatsächlich leben im Kaliningrader Gebiet 6000 Landsleute (insgesamt in Rußland 600.000). Bonn betreut sie mit besonderer Sorge: sie erhalten über 40 Prozent aller humanitären Hilfe aus der BRD. Doch letztendlich ist es so, daß derjenige, der gibt, auch das Recht hat, nach seinem Gutdünken zu verteilen.

Mit den Belangen der Landsleute im Ausland beschäftigt sich in der BRD nicht das Außenministerium, sondern das Innenministerium im Rahmen einer zuständigen Behörde für Angelegenheiten der Übersiedler. Das Volk hat in der Änderung seiner Struktur bereits Erfahrungen gesammelt: wie z. B. einige Mitarbeiter ehemaliger Ministerien für innerdeutsche Beziehungen (von der DDR wurde dafür gesorgt, wertvolle Kader nicht zu verlieren, denen man nicht beibringen muß, wie man Politik mit den außerhalb der BRD lebenden Deutschen macht).

Für die Bevölkerung Kaliningrads selbst (940.000 Russen, Ukrainer, Weißrussen und aus dem Baltikum Ausgewanderte) ist die "Regermanisierung" nicht das größte Problem. Wenn man jüngsten Umfragen glauben darf, wünscht sich über die Hälfte der Bevölkerung in der Enklave engere wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland und Polen. Das ist verständlich. Obwohl Moskau seinen einzigen eisfreien Hafen am Baltischen Meer schätzt, wird er mit Subventionen nicht verwöhnt. Die Arbeitslosigkeit in der Region hat 25 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung erreicht (in ländlichen Gegenden sogar 50 Prozent). Ungefähr 60 Prozent lebt nach Untersuchungen örtlicher Soziologen an der Armutsgrenze. Dazu muß man noch tausende in ungeordneten Verhältnissen lebende Familien Armeeangehöriger rechnen, die alarmartig aus der DDR und dem Baltikum evakuiert wurden. Wenn man noch die angekündigte Kürzung der Land- und Marineeinheiten in nord-westlicher Richtung von 40 Prozent hinzuzählt – entsteht dann nicht ein eindruckvolles Bild?

Die stumme Unzufriedenheit der Menschen, die sich ihrem Schicksal überlassen fühlen, ergreift nicht nur örtliche Separatisten ("Wenn Moskau für uns nichts tun möchte, dann soll es uns die Freiheit geben, selbst etwas zu tun"). Die Idee von der "Europäisierung" der Enklave Kaliningrad bis hin zu einer Verbindung mit der EG – nichts als ein Ponton zwischen der Gemeinschaft und Rußland – wurde sogar schon im Europaparlament erörtert. Natürlich auf Initiative der deutschen Gruppierung. Und natürlich wird in der Bevölkerung im Grunde nur das Gefühl hervorgerufen, wie weit die Menschen ihr Zugehörigkeitsgefühl zu dem "großen Rußland" verlieren und befürchten, daß sie endgültig verraten werden.

Man kann nicht sagen, daß die Befürchtungen völlig grundlos sind, besonders wenn sie durch Erklärungen offizieller Autoritäten wie die des Gouverneurs verstärkt werden, wie sie "Der Spiegel" zitiert. Als er die Hoffnung verlor, die vom Zentrum geforderten 4,5 Milliarden Dollar für sein Stabilisierungsprogramm zu erhalten, drohte Leonid Gorbenko, der Gouverneur des Gebiets: "Der Verkauf des Gebiets für die Begleichung der Schulden wird früher oder später zugelassen." (Ihm wird auch der genau entgegengesetzte Ausspruch unterstellt: "Unser Gebiet ist und bleibt ein unabtrennbarer Teil Rußlands", und versuchte so die Bevölkerung davon abzubringen, das schlimmste zu befürchten).

Das Verdienst örtlicher Separatisten? Anhänger für eine Ausspielung der "Karte Kaliningrad" gibt es auch innerhalb der Moskauer Polit-Elite. Die Idee von einer Umwandlung der Enklave in ein "russisches Hongkong" hat der Vorsitzende des Komitees für Geopolitik der Staatsduma, Alexej Mitrofanow, ausführlich dargelegt.

Er schlägt enge Verhandlungen mit Deutschland über die Gründung einer "gemeinsamen russisch-deutschen Zone mit ökonomischen Aktivitäten" vor. Finanzgeber ist natürlich Deutschland. Kaliningrad, dem vorgeschlagen wird, seinen ursprünglichen Namen Königsberg wieder anzunehmen, wird "für bestimmte Zeit (wie lange, führt Mitrofanow nicht aus), Rußland unterstellt". Parallel dazu werden "gemeinsame russisch-deutsche militärische Wege eingeschlagen – für den Fall, daß die Nachbarländer den Verstand verlieren". Moskau wird Deutschland helfen, sich der "atlantischen Fesseln" zu entledigen, die es bisher in der Rolle eines Protektorats der USA gedrängt und niedergehalten haben. Dafür hilft Deutschland seinerseits den Russen, sich mit der Ukraine und Weißrußland zu vereinigen.

"Die Vereinigung Rußland- Deutschland entscheidet alle Probleme in Europa", davon ist der Parlamentarier überzeugt. Natürlich ist der Widerstand der Pro-Atlantisten im russischen Innenministerium unvermeidlich, deshalb müsse man "diese Generation wegfegen". Die Rede ist nicht von einem Handelsabkommen, sondern von einem "politischen Verkauf". "Das Volk hat keine Angst davor, Kaliningrad abzugeben", so Mitrofanows Überzeugung, "es befürchte bloß, daß dies wieder leichtsinnig gemacht wird, alles fallengelassen wird, alles verraten wird."

In einem hat der Parlamentarier recht: Die Enklave wurde bereits praktisch fallengelassen. Natürlich kann man bislang nur von beginnenden Tendenzen einer Abkehr Kaliningrads von Rußland reden. Aber die Bedingungen sind gegeben und es gibt Oraganisationen, die eine Abtrennung der "herrenlosen" Enklave vorbereiten.

 

 

 
     
     
 
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