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Ich bin 1916 in Heilsberg geboren und war damals etwa 11 oder 12 Jahre alt. Mein Bruder war beruflich in Memel tätig, das damals unter litauischer Verwaltung stand. Er lud mich und meine 13 Jahre ältere Schwester ein, ihn in den Sommerferien dort zu besuchen. Bis Königsberg sollten wir mit der Bahn fahren, dann dort nach Pillau umsteigen. Von Pillau fuhren zwei Schwesterschiffe, ich glaube sie hießen "Preußen" und "Hansestadt Danzig ", über die Ostsee nach Memel. Ich war begeistert! Mit der Bahn war ich schon zwei- oder dreimal nach Königsberg mitgenommen worden, aber so eine Seefahrt - herrlich! Es wurden Vorbereitungen getroffen, Briefe gingen hin und her, denn Telefone gab es damals in Privathaushalten kaum.
Bei herrlichem Wetter fuhren wir nun auf unsere große Reise. In Pillau bestiegen wir das Schiff und nachdem wir in einem Salon am Fenster Platz genommen hatten, mein Rucksack und der Mantel am Kleiderhaken hing, ging es auch bald los. Ein Tuten erklang und unser Schiffchen stach in See. Der Pillauer Hafen verschwand in der Ferne.
Die Ostsee war ziemlich ruhig, die Sonne schien. Nach einer Weile erklang Musik. Die Kapelle an Bord spielte flotte Weisen. Ich nahm meinen Rucksack vom Haken und futterte von unserer Wegzehrung. Nach einer Weile verstummte die Musik und "ich mußte mal". Meine Schwester kam mit bis zu einer steilen Treppe, die nach unten führte, und zeigte mir, wo das "Örtchen" sich befand. Was war ich froh, bald wieder neben meiner Schwester zu sitzen.
Am späten Nachmittag wurde angesagt, daß Memel in Sicht sei. Das Schiff schaukelte gehörig beim Anlegen, aber nach und nach waren alle Passagiere von Bord. Wir schauten uns ängstlich um und waren froh, als wir unseren Bruder sahen. Bald waren wir in seiner Wohnung und er fragte uns, ob wir auch all die "Salons" und die Kapellen an Bord gesehen hätten. Wir verneinten und sagten, wir hätten nur am Fenster gesessen und das Wasser gesehen. Er lachte uns aus und em-pfahl uns, alles auf der Rückreise nachzuholen. Daraus sollte aber leider nichts werden ...
Nach einigen Tagen sagte mein Bruder, wir hätten eine Einladung zu einem Bekannten und sollten dort einen schönen Nachmittag verbringen. Und so fuhren wir mit der Kleinbahn ein paar Stationen, bis wir auf einem kleinen Bahnhof freundlich empfangen wurden. Es wurde ein schöner Nachmittag. Die Frau hatte herrlichen Kuchen gebacken, und nachdem wir Haus und Stall besichtigt hatten, blieben die Männer im Wohnzimmer, wir Frauen in der Küche. Als mein Bruder mal die Zimmertüre öffnete, sah ich eine halb geleerte Schnapsflasche auf dem Tisch stehen; die Männer wurden lauter und fröhlicher, denn sie hatten schon "einen sitzen", wie man bei uns in Ostdeutschland sagte.
Es wurde schon dunkel, als meine Schwester meinte, wir müßten doch nun langsam aufstehen. Die Frau lachte und sagte, daß die letzte Kleinbahn schon weg wäre, aber ihr Mann würde uns mit dem "Automobil", (so sagte man damals) heimfahren. Die Flasche war leer, aber es gab noch ein reichliches Abendessen, dann ging der Mann auf den Hof, öffnete das Tor der Remise - früher hat da wohl eine Kutsche gestanden - , da stand ein großes schwarzes Ungetüm, das "Automobil". Man stelle sich vor: Ich war 11 oder 12 Jahre alt und hatte noch niemals in einem Auto gesessen! Na und von wegen "Promille", das kannte man damals noch nicht.
Mit Hallo wurden meine Schwester und ich nach hinten in den Fond des Ungetüms verfrachtet, die beiden Männer nach vorn. Das Automobil knatterte, die Frau winkte, und ab ging es in die Dunkelheit. Das Ding hüpfte und federte mal nach rechts und mal nach links auf der schlechten Straße! Das war ein holpriger Weg und ich fing fürchterlich an zu weinen und wollte aussteigen. Die Männer lachten mich aus, während meine Schwester versuchte, mich zu beruhigen. Ich aber schluchzte nur.
Doch bald wurde der Weg besser, und wir waren in Memel gelandet. Das schwarze Ungeheuer hielt an. Ich stieg erleichtert aus. Wir waren am Ziel. Die Männer lachten und lachten, wir verabschiedeten uns und das Automobil verschwand!
Und unsere Rückreise? Wir hatten unserem Bruder versprochen, alles auf dem Rückweg in Augenschein zu nehmen. Dazu kam es aber leider nicht. Schon in der Nacht vor unserer Heimfahrt stürmte es in Memel. Mein Bruder, der uns zum Hafen brachte, machte ein betretenes Gesicht. Das Wasser im Hafen war schon sehr unruhig, das Schiffchen schaukelte. Mein Bruder entschwand bald in der Ferne.
Kaum hatten wir den Hafen verlassen, waren "auf See" und hatten unsere Sachen angehängt, wankten schon die ersten Seekranken die steile Treppe hinunter. Der Sturm wurde kräftiger. Die Matrosen lasen heruntergefallene Sachen auf. Meine Schwester verlor auf der Treppe zum "Örtchen" ihren Schuh und weinte. Auch ich wurde nicht verschont von der Seekrankheit.
Als wir dann in etwas ruhigeres Wasser nahe Pillau kamen, waren mein Rucksack, das Hütchen und die Jacke meiner Schwester nicht mehr am Platz. Die Matrosen hatten wohl alles vom Boden aufgelesen. Wir mußten, weil wir es eilig hatten, den Zug zu erreichen, unsere Adresse in Heilsberg angeben, die Sachen wurden auf Kosten der Reederei dann nachgesandt.
Nach drei Wochen schließlich kam ein stinkendes Paket an: Das Hütchen war platt wie eine Briefmarke. Die "Kostümjacke" roch auch nach wochenlangem Lüften nach verfaulten Eiern, denn mein Bruder hatte hartgekochte Eier in meinen Rucksack gepackt! - Eine Seefahrt ist wahrlich nicht immer lustig!&nbs |
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