|
Seit Wochen macht in den deutschen Feuilletons ein Buch Schlagzeilen, das es in deutscher Sprache noch gar nicht gibt. Das ist ungewöhnlich, aber nicht ohne Beispiel. Bereits vor Jahren begann in den deutschen Medien die Schlacht um ein Buch eines gewissen Daniel Jonah Goldhagen, der hierzulande damals selbst Eingeweihten kein Begriff war. In jener Zeit war es das übliche, seit langem funktionierende Medienkartell von "Zeit", "Süddeutscher Zeitung", "Spiegel", "Stern" und "Frankfurter Rundschau", das dafür sorgte, daß die etwas kruden Ideen des jungen Unbekannten über "Hitlers willige Vollstrecker" bereits Wochen vor dem Erscheinen den Bekanntheitsgrad eines Bestsellers hatten.
Bei dem neuen Buch des New Yorker Politologen Norman Finkelstein "The Holocaust Industry" ist dagegen vieles anders verlaufen, was aufhorchen läßt. So ist der Autor in Deutschland zunächst bekannt geworden als Kritiker von Goldhagens Buch. Wieder einmal wie schon bei Bogdan Musial, der die Anti-Wehrmachts-Ausstellung Reemtsmas scharf kritisierte konnte Finkelstein nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Beide sind überzeugte Linke. So veröffentlichte Finkelstein seine Goldhagen-Kritik zunächst im linken Londoner Theorie-Organ "New Left Review". Auch sein neuestes Buch erschien in dem kleinen, aber nicht unbedeutenden Londoner Verlag "Verso", dessen Veröffentlichungen traditionell linksaußen angesiedelt sind.
Die Kritik an Goldhagens unwissenschaftlichem Ansatz war damals jedoch so allgemein nicht nur in Deutschland , daß Finkelsteins Stimme im Chor der Kritiker nahezu unterging. Das ist bei seinem neuen Buch ganz anders, das sich dem Tabu-Thema der Ungerechtigkeiten bei den jüdischen Opfer-Entschädigungen widmet und dabei Organisationen wie die "Jewish Claims Conference" (JCC) massiv kritisiert.
In den USA fand eine offene Diskussion des Buches kaum statt. In Großbritannien dagegen begann schon bald eine breit angelegte Debatte, an der sich der linksliberale "Guardian" ebenso beteiligte wie der "Observer" oder die "Sunday Times". Diese englische Diskussion veranlaßte offenbar die linksbürgerliche, aber geistig unabhängige "Berliner Zeitung", sich Ende Januar 2000 dieses brisanten Themas in einer zweiteiligen Serie erstmals in Deutschland anzunehmen. Die JCC ließ kurz darauf über die "Welt am Sonntag" die dort geäußerten Vorwürfe Finkelsteins kurz, aber heftig dementieren. Daraufhin folgte eine einmonatige Funkstille zu diesem Thema. Am 5. März wurde ein Interview Finkelsteins mit der Zürcher "Sonntagszeitung" veröffentlicht. Zu jener Zeit tobte sowohl in den USA als auch in Israel eine lebhafte interne Debatte um die Verteilung der zehn Milliarden Mark für die Zwangsarbeiter, in deren Verlauf Finkelstein erneut die JCC scharf angriff; Angriffe, denen sich auch Abgeordnete des israelischen Parlaments, der Knesset, anschlossen. Große Resonanz fand dies in der deutschen Presse nicht. Über Finkelsteins Buch herrschte fast ein halbes Jahr eisiges Schweigen bei der deutschen Presse. Erst Ende Juli, nachdem die Debatte in Großbritannien immer intensiver geworden war und auch einige kleinere nonkonforme Publikationen in Deutschland berichteten, ging die "Welt" mit Finkelstein ins Gericht. Tenor: "Obwohl sich Finkelstein als bissigster Kritiker der Holocaust-Industrie profiliert, profitiert er zugleich von ihr." Das hätte eigentlich schon das Ende der Diskussion sein sollen. Aber überraschenderweise kam wenige Tage später die linksliberale "Woche" mit zwei durchaus wohlwollenden Folgen über das Anliegen Finkelsteins. Als kurz darauf auch noch Ulrich Wickert in seinen ARD-"Tagesthemen" verschiedene Meinungen zu dem Thema zuließ, war das Schweige-Verdikt der Links-Presse endgültig gebrochen.
Als das Buch nicht mehr totzuschweigen war, reagierte die Presse in der üblichen Weise: die einen sagten, es sei unwissenschaftlich, die anderen meinten: alles sei längst bekannt. Doch an einer Tatsache kann das genannte Pressekartell inzwischen nicht mehr vorbei: Nach den Diskussionen um Goldhagen, Walser und Sloterdijk, wo es immerhin gelungen war, bei einer Kampagne gegen Andersdenkende öffentlich gegenzuhalten und den linken Medien die alleinige intellektuelle Definitionshoheit zu entziehen, ist es nunmehr in der Finkelstein-Debatte erstmals seit langer Zeit geschehen, daß eine Übereinkunft des Schweigens fast aller traditioneller linker Medien gebrochen werden konnte. Dies ist durchaus ein Erfolg. Es zeigt, daß sich auf Dauer die Absprachen zwischen den Medien im Zeitalter des Internet nicht mehr länger durchhalten lassen. Zu befürchten ist allerdings, daß der linksbürgerliche Konformismus sich schon bald etwas etwas anderes einfallen läßt, um seinen Willen zur geistigen Vorherrschaft hierzulande unter Beweis zu stellen.
Antonia Radelbeck
|
|