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An keinem Thema kann man sich so leicht die Finger verbrennen wie an allem, was das Verhältnis von Juden und Deutschen betrifft. Auch ansonsten stets selbstbewußt und ebenso klug wie scharf formulierende Zeitgenossen verfallen angesichts dieses Gegenstands in eigenartige Starre.
Der vielbeschworene "Dialog" sieht dann oft so aus, daß die nichtjüdische deutsche Seite nicht mehr zustande bringt als Schuldbekenntnisse in der verschwitzten Hoffnung, hernach von jüdischer Seite zum "guten" Deutschen erklärt zu werden. Oder aber wenigstens nicht zum "geistigen Brandstifter", wie es dem Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Martin Walser, durch den verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Bubis, im Herbst 1998 widerfuhr.
Aber wer ist überhaupt die "jüdische Seite"? In frivoler Fortschreibung einer unheilvollen Pauschalisierung malen sich die meisten Deutschen die Judenheit offenbar noch immer als einen homogenen Block aus. Dies ist eines jener Vorurteile, die Wolf Calebow in seinem 1999 erschienen Buch "Auf dem Weg zur Normalisierung 15 Jahre Dialog mit amerikanischen Juden" auszuräumen versucht.
Calebow, Angehöriger des Auswärtigen Dienstes, kam als Konsul 1977 zum deutschen Generalkonsulat nach New York. Schon kurz darauf begann er, die Beziehungen zwischen Deutschland und den amerikanischen Juden in den Mittelpunkt seines Wirkens zu stellen. 1980 zunächst nach Deutschland abberufen setzte er sodann seine Bemühungen auf privater Ebene fort, um 1986 erneut in die USA versetzt zu werden, diesmal zur deutschen Botschaft in Washington.
1988 sollte ihm die Betreuung des Verhältnisses zu den amerikanischen Juden überraschend entzogen werden. Damit seine bis dahin erworbenen Erkenntnisse nicht verlorengehen, verfaßte der engagierte Diplomat einen 28 Schreibmaschinenseiten umfassenden Erfahrungsbericht, der Grundlage für sein jetzt herausgebrachtes Buch werden sollte. Doch statt dessen hatte der Report eine völlig unverhoffte Wirkung: Calebow behielt seinen Tätigkeitsbereich und konnte so noch bis 1992 weiterarbeiten, um erst danach wieder auf privater Ebene seine Projekte weiterzuverfolgen.
Wie schwierig sein selbstgestecktes Ziel einer Verbesserung der deutsch-amerikanisch/jüdischen Beziehungen zu verfolgen war, mit welchen erwarteten und unerwarteten, teils überaus heftigen Widerständen Wolf Calebow zu kämpfen hatte, wurde ihm durch zwei Ereignisse frühzeitig klargemacht. So berichtet er: "Als ich vor Jahren eingeladen war, auf einer Veranstaltung der jüdischen Studentenorganisation Hillel der Stanford University in Kalifornien zu sprechen, erschien mir das Thema Deutsch-Israelische Beziehungen angesichts des herausragenden Interesses amerikanischer Juden an der Unterstützung Israels dafür am wenigsten kontrovers und für die Aufnahme des Gesprächs mit den Hillel-Studenten besonders geeignet. Dennoch löste ich durch meine sich strikt auf die Wiedergabe von Tatsachen beschränkenden Ausführungen eine ganz unerwartete Reaktion eines Teiles meiner Zuhörer aus. Unter lautstark vorgetragenem Protest und Ausrufen wie ,Es ist unerträglich, sich sagen lassen zu müssen, und das auch noch von einem Deutschen, wie angeblich die deutsch-israelischen Beziehungen seien, verließen immer wieder Gruppen von Studenten den Saal." Mit denjenigen, die blieben, sei es dann aber doch noch zu einem fruchtbaren Dialog gekommen und auch zu einem unmittelbaren Kontakt dieser Gruppe zu Deutschland.
Eine zweite, die problematische Lage kennzeichnende Schlüsselerfahrung bereiteten ihm Deutsche während einer Tagung mit Holocaustforschern und -lehrern in Philadelphia. Dort referierte Calebow über die nach jüdischen Schätzungen bis zu 5000 Juden, die nicht ohne Hilfe und Wissen von Nichtjuden bis an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin versteckt worden sind. Das überwiegend jüdische Publikum habe den Vortrag schweigend zur Kenntnis genommen, wohl weil ihnen diese Erkenntnisse neu gewesen sein dürften, wie der Diplomat vermutet, "während zwei außer mir im Saal anwesende Deutsche glaubten, anschließend vehement gegen meine Ausführungen protestieren zu müssen. Nach Auffassung der beiden Deutschen hätte ich als Mitarbeiter der deutschen Botschaft nichts anderes tun dürfen, als von neuem Schuldbekenntnisse in Sachen Holocaust abzulegen".
Über Ursachen und Hintergründe seiner Erfahrung, daß eine Beschäftigung mit den guten deutsch-israelischen Beziehungen bei einer großen Zahl amerikanischer Juden allergische Reaktionen auslöst ebenso wie jeder Hinweis auf das "andere Deutschland" (sei es hinsichtlich des deutschen Widerstandes, sei es im Hinblick auf die deutsche Geschichte vor und nach dem NS-Staat), fördert Calebow Erstaunliches zutage.
So kommt er zu dem Schluß: "Die vielfältigen auf das Wachhalten der Erinnerung an den Holocaust abzielenden Bestrebungen", und zwar unter strikter Mißachtung aller, historischen wir gegenwärtigen, positiven Aspekte Deutschlands, "richten sich vordergründig gar nicht gegen die Deutschen, wirken sich für diese vor allem in den USA aber sehr negativ aus. Die Deutschen sind nicht Objekt oder Ziel dieser Bestrebungen, im Blick auf ihr Interesse an einer Verbesserung des deutsch-jüdischen Verhältnisses in den USA als Beitrag zu einer weiteren Verfestigung der deutsch-amerikanischen Beziehungen insgesamt aber dennoch deren Opfer".
Als Motiv erkannte Wolf Calebow die Befürchtung einer Reihe von jüdisch-amerikanischen Organisationen, daß ein Abflauen der ausschließlichen Aufmerksamkeit für den Holocaust zu Lasten der Unterstützungsbereitschaft für Israel ausgehen könnte. Ein differenziertes Deutschlandbild wird demnach hier als Gefahr wahrgenommen für ein Land, das von Deutschen nicht nur nicht bedroht, sondern massiv unterstützt wird Israel.
Als weitere Ursache für die schroffe Ablehnung einer wie auch immer gearteten Verständigung mit Deutschen läßt sich aus Calebows Erfahrungen überdies die Befürchtung herausfiltern, daß sich die jüdische Gemeinschaft beispielsweise in den USA zunehmend in ihrer Umgebung auflösen, sich assimilieren könnte, was sich womöglich ebenfalls zuungunsten des Einsatzes der amerikanischen Juden für Israel auswirkte.
Doch ist dies keineswegs die Linie aller jüdischen Gruppen und Organisationen in den USA. Als Wegbereiter des entgegengesetzten Ziels einer Verständigung mit den Deutschen erkannte der deutsche Diplomat schnell das "American Jewish Committee" (AJC). Dieses sei zwar ebenso intensiv an der dauerhaften Unterstützung Israels interessiert, sehe darin nur keinen Gegensatz zu einem verbesserten Verhältnis zu den Deutschen. Calebow diagnostiziert einen Bruch, der quer durch die jüdische Gemeinschaft der USA gehe.
Scharf kritisiert der Autor, daß die deutsche Seite diesen Bruch bei der Wahl ihrer Gesprächspartner bewußt ignoriere. Es gilt offenbar das Prinzip, alle Gruppen gleich zu behandeln, was Wolf Calebow für einen Kardinalfehler hält: "Wir können, wenn wir diese Politik wirklich wollen, nicht umhin, hier als Deutsche eine Wahl zu treffen. Ein durch Unsicherheit, Angst oder übertriebene Vorsicht motiviertes Lavieren zwischen den sich in dieser Frage gegenüberstehenden jüdischen Gruppen ist auch für uns auf Dauer nicht möglich. Längerfristig würde sich solches Lavieren nur zugunsten der Gegner dieser Verständigung auswirken und die Politik des American Jewish Committee unter Umständen sogar wieder zum Scheitern bringen."
Auf insgesamt nur 124 Seiten führt Calebow eine Reihe von Beispielen an für die peinlichen Folgen dieses deutschen Fehlverhaltens an. So mußten sich Vertreter des American Jewish Committee immer wieder zurückgesetzt fühlen, weil offizielle deutsche Regierungsstellen ihr Bemühen um Verständigung letztlich überhaupt nicht würdigen. Schlimmer noch konnte manches Mal sogar der Eindruck entstehen, daß sich die deutsche Seite gerade solchen Gruppen gegenüber besonders entgegenkommend verhielt, die Deutschland am schroffsten angingen.
Um so beeindruckender erscheint dem deutschen Leser vor diesem Hintergrund, mit welcher Zähigkeit führende Vertreter des American Jewish Committee an ihrer Politik der Annäherung an Deutschland festhielten, zumal diese selbst in ihrer Organisation keineswegs unumstritten ist.
Die meisten jüdischen Gruppen der USA haben mit der "Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations" eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Koordinierung ihrer Tätigkeit eingerichtet, der das American Jewish Committee nicht angehört. Gleichwohl vermeidet es auch das Committee, Meinungsverschiedenheiten mit anderen jüdischen Verbänden öffentlich auszutragen. Wenn, wie es offenbar unselige deutsche Regierungspraxis ist, die Vertreter US-jüdischer Vereinigungen aber stets nur gemeinsam zu Gesprächen eingeladen werden, so ist es den Repräsentanten des AJC ergo unmöglich, ihre deutschfreundliche Haltung hervorzuheben.
Diese macht sich jedoch an vielerlei praktischen Aktivitäten fest, die vom AJC und dem aus ihm hervorgegangenen "Armonk-Institut" (benannt nach dem Landsitz des damaligen AJC-Präsidenten Theodore Ellenoff) ausgegangen sind und zu deren Anstoß und Durchführung Wolf Calebow entscheidend beigetragen hat.
So kam ein Studentenaustausch zustande, an dem sich deutscherseits auch die Konrad-Adenauer- und die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie die "Atlantik-Brücke" beteiligen. Ein weiteres Augenmerk galt den immer zahlreicher werdenden Holocaustmuseen in den USA und dem Holocaust-Unterricht an den amerikanischen Schulen. Hier war es das Vorhaben Calebows und seiner Mitstreiter aus dem AJC, Ergänzungen einzubringen, die das heutige Deutschland und den deutschen Widerstand illustrieren.
Beim US-Holocaust Memorial Council jedoch traf Calebow auf kalte Ablehnung. Eine wie auch immer geartete Differenzierung des Deutschlandbildes in den Holocaust-Museen war nicht erwünscht. Eine Ergänzung des Holocaust-Unterrichts hingegen konnte, angefangen mit Ohio, an zunächst sechs von 50 US-Staaten erreicht werden. Als besonders scharfen Kritiker einer Verständigung mit den Deutschen erlebte Wolf Calebow den "World Jewish Congress" unter seinem Präsidenten Edgar Bronfman. Dieser habe sich drastisch gegen die Wiedervereinigung eingesetzt und auch entscheidenden Anteil am Entfachen der "Waldheim-Affäre" gehabt, so Calebow. Dabei hebt Calebow hervor, daß es sich beim WJC keineswegs, wie oft fälschlich angenommen, um eine alle Gruppen überdachende Weltorganisation handele. Eine Vorstellung, die durch die zusätzlich irreführende deutsche Übersetzung "Jüdischer Weltkongreß" noch verstärkt werde. Der WJC sei hingegen so der deutsche Diplomat bei weitem nicht einmal die einflußreichste jüdische Organisation. Calebows Buch ist ebenso brisant wie informativ. Vor allem aber ermutigt es all jene Deutschen, die sich von den oft als zutiefst ungerecht, ja scheinbar von Unversöhnlichkeit gekennzeichneten gelegentlichen Äußerungen amerikanischer Juden nicht demoralisieren lassen wollen. "Die" US-Juden als uniformen Block gibt es nicht, sowenig wie es "die" Deutschen gibt. Das wird eingefleischten Antisemiten gewiß übel aufstoßen, die sich so gern in Theorien darüber ergehen, was "die" Juden im Schilde führten.
Aber auch diejenigen dürfte das neue Buch zutiefst irritieren, die sich den deutschen Dialog mit Juden nur als fortgesetztes Schuldbekenntnis vorstellen wollen und auf das Wort von der "Normalisierung" hysterisch reagieren.
Calebow zeigt einen Weg auf, wie beide Seiten, die deutsche wie amerikanisch-jüdische, in gegenseitigem Respekt und Selbstachtung aufeinander zugehen können, und verweist auf beachtliche eigene Erfolge. Und er verwahrt sich entschieden gegen alle Versuche, die Geschichte für gegenwärtige Zwecke zu instrumentalisieren nicht zuletzt, indem er diese Instrumentalisierung öffentlich sichtbar macht. Elisa Wachtner
Wolf Calebow: Auf dem Weg zur Normalisierung 15 Jahre Dialog mit amerikanischen Juden, Berlin Verlag / Arno Spitz GmbH, Berlin 1999, ISBN 3-8305-0030-0, 38 Mark
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