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Ene mene muh raus bist du

 
     
 
Strategische Überlegungen zu politischen Machtfragen und daraus resultierendes Verhalten der Parteien haben bisher noch alle Wahlen für das Amt des Bun-despräsidenten bestimmt, von Heuss bis Rau, mal mehr, wie bei der Wahl Heinemanns, mal weniger sichtbar, wie bei der Wiederwahl Lübkes als Wegweiser zur großen Koalition.

Mit der Nominierung Horst Köhlers als "Kandidaten des bürgerlichen Lagers" haben die Unionsparteien praktisch eine Koalitionszusage der FDP für den Fall erhalten, daß diese 2006 den Einzug in den Bundestag wieder erreichen sollte. Wetten, daß die Liberalen dabei auf sogenannte "Leihstimmen" spekulieren
, besonders nach ihrem Rauswurf in Hamburg? Die Unionsparteien haben sich damit abgefunden, daß es fatal wäre, auf eine absolute Mehrheit zu setzen. Statt dessen sind sie bereit, sich erneut in die Gefangenschaft der FDP zu begeben.

Dieser Linie folgend, ließen die Unionsparteien Wolfgang Schäuble fallen, der angesichts seiner Verwickelung in Spendenaffären und seines Umgangs mit den Enteignungsopfern der Kommunisten zwischen Rügen und dem Thüringer Wald ohnehin für viele nur scheinbar als Kandidat gegolten hatte. Spätestens mit seiner Präsidentschaftskandidatur, erst recht aber im Falle seiner Wahl zum Bundespräsidenten hätte er zum Risiko werden können.

So zeigt der Nominierungsprozeß des Kandidaten Köhler auch, daß bei solchen Entscheidungen Medienspekulationen mehr und mehr an Bedeutung gewinnen und schließlich ein politisches Eigengewicht bekommen. Als "vierte Gewalt" spielen die Medien nach Kräften mit, allerdings ohne daß sie für ihr Gebräu aus Spekulationen und Pseudoinformationen in die Verantwortung genommen werden können. Auflageziffern ersetzen das Gewissen.

So ist es kein Wunder, daß sich nun viele Leitartikler mit Blick auf die Kandidatenkür erregen. Von "Gezerre", "Posse", Pokerspiel" und "Schande" schreiben sie und provozieren seitenlange Leserbriefe. Prompt taucht auch die Forderung nach Volkswahl des Bundespräsidenten auf, die allerdings sinnvollerweise nur im Zusammenhang mit der Einführung von Volksentscheiden gesehen werden sollte, mit denen eine Art "neue Demokratie" in Deutschland begründet werden könnte.

Bei soviel Empörung darf Altbundespräsident Richard von Weiz-säcker nicht fehlen: "Die Nominierungsprozedur war persönlich beschämend und machtpolitisch verblendet", meinte er und daß

die Kandidatur "für persönliche Zwecke taktisch instrumentalisiert worden" sei. Seinem eigenen Ansehen war es seinerzeit nützlich gewesen, daß Helmut Kohl die Idee hatte, von Weizsäcker aus Berlin in die Bonner Villa Hammerschmidt zu loben. Viele für von Weizsäcker einst nützliche Berliner CDU-Parteifreunde waren allerdings Jahre später entsetzt, als er ihnen 2001 einen kräftigen Fußtritt versetzte. Empfahl er doch den Sozialdemokraten in der Hauptstadt, mit den Kommunisten der PDS zu koalieren, weil das seiner Meinung nach "demokratisch ehrlich" sei.

"Taktik" ist für diesen Altbundespräsidenten offensichtlich doch kein Fremdwort, der seinen jüngsten Äußerungen zur Kandidatenkür hinzufügte: "Ich bin immer schon der Meinung gewesen, daß eine Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk eine gute Lösung wäre", ohne zugleich einzuschränken: "Aber wir werden auch weiterhin vergeblich darauf warten müssen, daß die Parteien einer solchen Verfassungsänderung zustimmen". Dieses Warten wird wahrscheinlich noch lange währen, ebenso wie das Warten auf eine Erklärung der Altbundespräsidenten, nach der ihre Ehrenpensionen in Höhe der vollen Bezüge eines Bundespräsidenten auf, sagen wir, 70 Prozent davon gesenkt werden.

Bei soviel Taktik im "bürgerlichen Lager" darf ein Blick auf das rot-grüne Lager nicht vergessen werden, das sich ebenfalls für 2006 aufstellt und für das die innere Stabilität der schwer gebeutelten SPD vordringlich ist. Während der "bürgerliche" Kandidat Köhler sich artig an die Adresse des Bundeskanzlers wendet und dessen "Agenda 2010" als "richtigen historischen Schritt" lobt, maulen Teile der Grünen in Nordrhein-Westfalen über die Nominierung der Kandidatin Gesine Schwan für die Bundespräsidentschaft. Sie sei "eine der übelsten Hetzerinnen gegen die Grünen" gewesen. Man nimmt ihr übel, daß sie einst den Nato-Doppelbeschluß verteidigt und Willy Brandts Ostpolitik angegriffen habe. "Erste Wahl" jedenfalls sei sie nicht. Auch die frühere Grünen-Chefin Claudia Roth ist sauer, habe man doch den Parteirat der Grünen bei der Kandidatenfindung übergangen. Sorgenvoll warnte Parteichef Bütikofer davor, "einen Aufstand anzuzetteln".

Taktisch wollen Schröder und der designierte Parteivorsitzende Franz Müntefering den ("rechten") eher konservativ Gesonnenen in der SPD mit der Nominierung Gesine Schwans in gleicher Weise entgegenkommen, wie sie das mit der Nominierung Klaus Uwe Benneters zum Generalsekretär gegenüber den ("linken") sozialistischen Flügelleuten bereits getan haben. Benneter ist ein "Kumpel" Schröders aus Juso-Tagen und gilt noch heute als enger persönlicher Freund Schröders. "Benni Bürgerschreck", wie er damals genannt wurde, führte in den 70er Jahren den marxistisch orientierten "Stamokap-Flügel" und wurde Vorsitzender der Jusos. Er befürwortete Bündnisse mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), während CDU und CSU ihm als "Parteien des Klassengegners" erschienen. Die Kommunisten hingegen sah er zwar als politische Gegner, nicht aber als "Klassenfeinde". Benneter wurde 1977 aus der SPD ausgeschlossen, durfte aber ab 1983 wieder mitmachen und ist seit 2002 Berliner SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Als Lebensmotto hat er heute den Spruch: "Wer nur von alten Zeiten träumt, wird keine besseren erleben."

Noch beim Bochumer Parteitag der SPD im November 2003 fiel er zweimal bei der Vorstandswahl durch. Auf dem "Marsch durch die Institutionen" scheint er nun persönlich seinen "besseren Zeiten" näher gekommen zu sein, wenn er als SPD-Generalsekretär bestätigt wird. Das scheint allerdings sicherer zu sein als die Wahl seiner rechten Genossin Schwan zur Bundespräsidentin.
 
     
     
 
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