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Entzaubertes Europa

 
     
 
Die Weltwirtschaft wächst kräftig, nur in Europa nicht. So titelte "Le Monde" Ende vergangener Woche. Im Vergleich zu den Wachstumszahlen in Amerika und Asien hinkt Europa in der Tat mit seinen geschätzten 2,2 Prozent für dieses Jahr hinterher. Und das schon seit Jahren, auch wenn die 2,2 Prozent für den alten Kontinent einen echten Aufschwung bedeuten. Bei allen Eckdaten der wirtschaftlichen Entwicklung
fällt der Vergleich ungünstig aus, selbst wenn man das letzte Jahrzehnt als Ganzes betrachtet und in diesem Zeitraum boomte immerhin die New Economy. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht in den USA Vollbeschäftigung, in der EU dümpeln vor allem die Großen auf dem Kontinent - Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Polen - mit kaum meßbaren Erfolgen voran. Beim Wachstum konnte nur Frankreich dank seines Binnenkonsums die zwei Prozent überschreiten, bei der Produktivitätsentwicklung liegen alle hinter den USA.

Europa krebst herum, geistig schon lange, wirtschaftlich seit 20 Jahren. Schon lange haben wir es mit einem "entzauberten Kontinent" zu tun, wie Max Weber bemerkte. Jetzt kommen noch die nicht mehr zu verdrängenden Folgen des demographischen Defizits hinzu. Europa wankt wieder, eine Phase der Unsicherheit steht dem alten Kontinent ins Haus.

Alle wissen mittlerweile, daß der alte Kontinent auch wirklich alt ist und die Symptome des Alters hat: Mangelnde Flexibilität, Reformscheu, Angst vor dem Neuem und Suche nach dem Vertrauten, politisch gesehen nach der Nation. In Großbritannien und Frankreich befinden sich nationalistische Bewegungen im Aufwind, in Deutschland dürften in den kommenden Wahlen die Ränder erstarken - auf Kosten der Partner in der großen Koalition. Man darf sich fragen: Wie sicher ist der soziale Friede, wie sicher die Demokratie?

Es ist eine Frage an die Regierungen. Italien hat einer unmöglichen Koalition eine knappe Mehrheit beschert, so daß Instabilität die nächste Zukunft kennzeichnen wird. Die Probleme der Haushaltssanierung, der Grundlagenforschung und vor allem der alles überschattenden Demographie - Italien hat mit Spanien und Griechenland die geringsten Geburtenquoten in Europa - sind so gravierend und gleichzeitig von weltanschaulicher Qualität, daß ein Konsens im disparaten Prodi-Lager zwischen Kommunisten und Wertkonservativen kaum denkbar ist.

Frankreich hat im Ringen um den Ersteinstellungsvertrag sich selbst blockiert. Bis zu den Wahlen im kommenden Jahr wird es vermutlich keine größeren Reformen mehr geben. Hinzu kommt, daß sowohl die Bürgerlichen als auch die Linken sich in interne Machtkämpfe verharkt haben, die Regierung und Opposition gleichermaßen lähmen. Interne Machtkämpfe dominieren auch die Lage in der Regierungspartei Großbritanniens, Labour wartet auf den Wechsel von Blair zu Brown. Die Kommunalwahlen nächste Woche könnten das latente Thema Immigration und Haltung zu den Muslimen wieder frei- und Blair unter Druck setzen. Und bei dem vierten großen Land in der EU, in Deutschland, schwelgt man in Harmonie, aber das auch nur, solange über die heißen Eisen wie Immigration, Lebensschutz und Bioethik, Renten- und Krankenversicherung nur geredet und nicht entschieden wird.

Diese heißen Eisen sind nicht nur "made in Germany". Es handelt sich um europäische Probleme, weil sie in jedem Land der EU auf der politischen Agenda stehen. Die Frage ist, ob Europa es sich leisten kann, weiter ins Ungewisse zu treiben, abzuwarten, wie die Wahlen und internen Machtkämpfe in Italien, Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland sich entwickeln, oder ob nicht jemand beherzt die Führung übernehmen sollte. Frankreich kommt momentan dafür nicht infrage. Großbritannien könnte, hat aber nicht den Impetus, europäische Probleme zu lösen. Gründungsmitglied Italien wird eine politische Komödie ohne Ende vorführen. Alle anderen sind zu jung, zu klein oder, wie Spanien, zu orientierungslos. Bleibt nur Deutschland.

Bundeskanzlerin Merkel wird niemand unterstellen, sie wolle Europa am deutschen Wesen genesen lassen. Man könnte die Chance als Herausforderung begreifen, interne Probleme wie die Immigration auf europäischer Ebene zu lösen. Es geht bei all diesen Problemen um die künftige Macht und Gestaltungsfreiheit Europas, intern und gegenüber der Welt.
 
     
     
 
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