|
Vor einem Jahr veröffentlichte das ein Interview mit dem Vier-Sterne-Admirals Marcel Duval, in welchem dieser sich über die Gefahren äußerte, die die Osterweiterung der EU und der Nato mit sich bringen könnte. Jetzt versucht Admiral Duval, der sich besonders mit geostrategischen Problemen befaßt, ein Bild über die Reaktionen zu skizzieren, die die Anschläge vom 11. September auslösten. Die Fragen stellte Francisco Lozaga.
Sind Sie der Ansicht, die derzeitige militärische Krise könne auf die Region Persischer Golf und Golf von Oman begrenzt bleiben?
Ich glaube, daß es schwierig ist, Voraussagen über die Folgen des größeren Ereignisses, die die Terroranschläge darstellen, zu äußern. Man wohnt derzeit einem Spiel bei, bei dem die Karten der Weltstrategie völlig neu gemischt werden. Eigentlich wollte ich, bevor Sie mich interviewten, einen Artikel über das Nuklearabwehrprogramm (NMD) niederschreiben, doch durch die Anschläge wurde ich dazu veranlaßt, diesen Beitrag zurückzustellen, weil alles neu bewertet werden muß. Meiner Meinung nach stellen die Anschläge auf New York und das Pentagon eine erstrangige Herausforderung für die Vereinigten Staaten dar. Diese Herausforderung ist nicht mit derjenigen von Pearl Harbour vergleichbar; sie ist viel größer. Es handelt sich um ein Weltereignis. Ehrlich gesagt, ich sehe noch nicht genau, was das Militär gegen den Terrorismus unternehmen kann. Zudem: Afghanistan ist ein sonderbares, sozusagen ein unmögliches Land, wo die einheimischen Kämpfer nicht greifbar scheinen. Jeder kann sich noch an den Mißerfolg des sowjetischen Militärs in Afghanistan erinnern. Noch gravierender scheint mir das Problem des Islamismus. Es gibt eine Milliarde Mosleme auf dieser Erde, und das Problem überschreitet die Gegend um den Persischen Gold und den Golf von Oman weit. Eine Zeitlang wurde versucht, den Islam sich entwickeln zu lassen. Doch gegenwärtig scheint dieser Versuch eher gescheitert. Die Tragik dieser „Zivilisation“ ist, daß sie tief verinnerlicht die Verheißung auf das Paradies in sich trägt, was dazu führt, daß übliche Markierungen überschritten werden.
Was kann man über das Militärabkommen, das Anfang Oktober zwischen dem Iran und Rußland unterzeichnet wurde, sagen?
Der Iran und Rußland pflegen seit langem eine gegenseitige Zusammenarbeit. Hinter der iranischen Karte steckt das Problem der russischen Politik und zugleich das der Rivalität zwischen den USA und Rußland. Was das Nuklearprogramm des Iran betrifft, so hatten bestimmte Kräfteschon zu Zeiten des Schahs damit angefangen, Strom auf nuklearer Basis zu gewinnen. Dieses Vorhaben wurde unlängst mit der Hilfe Rußlands wieder aufgenommen. Für die iranischen Raketenindustrie kann man eine nicht unbeträchtliche Hilfe seitens Chinas, Rußlands und sogar der Ukraine registrieren. Die Zusammenarbeit zwischen Rußland und dem Iran liegt viel früher als der 11. September. Der Iran besitzt zudem eine Schicht befähigter und besonders leistungsfähiger Intellektueller, was das neue Mischen der Karten zwischen diesem Land und den USA und Rußland beflügeln dürfte.
Welche Rolle kann die Türkei in der gegenwärtigen Krise angesichts ihrer proislamistischen öffentlichen Meinung spielen?
Das ist sicherlich ein aktuelles Problem, aber auch eines, das in die Zeit des Kalten Krieges zurückführt. Gegenwärtig ist die Türkei eine erstrangige Drehscheibe für die US-Streitkräfte. Obwohl das türkische Militär innenpolitisch die Lage sicher in den Händen hält, könnte das Problem des Islamismus in der Türkei den Amerikanern schon in einer vergleichsweise nahen Zukunft große Sorgen bereiten. In der Türkei herrscht weiter die Sehnsucht nach dem großen Osmanischen Reich von einst fort, das sich um das Mittelmeer herum ausbreiten könnte. Diese Sehnsucht ist zwar schwer kompatibel mit einem laizistischen türkischen Staat, wie er von Kemal Atatürk gegründet wurde, doch sie scheint noch immer als Vision gegenwärtig zu sein. Es ist schade, daß die Leute die Geschichte im allgemeinen und die Geographie speziell nicht mehr kennen.
Das französische Militär in Dschibuti wurde unlängst verstärkt. Wäre ein Ausdehnen der derzeitigen Krise zu den am Roten Meer angrenzenden Staaten zu befürchten?
In Ihrer Frage stecken noch zwei zusätzliche: Was Dschibuti betrifft, so handelt es sich um ein Land, das zwischen verschiedenen Stämmen gevierteilt wurde. Die dortigen Behörden nehmen die französische Präsenz an, die es Paris erlaubt, eine Rolle im Indischen Ozean zu spielen. Dschibuti wurde eine wichtige Rolle während des Golfkrieges zugeteilt. Einige Kreise in Frankreich befürworten einen Rückzug unserer Truppen. Doch dieses Land könnte eine bedeutsame Rolle in der gegenwärtigen Krise spielen, auch wenn die USA auf den Malediven anwesend sind. Ihre zweite Frage betrifft das Horn von Afrika. Diese Gegend wird noch immer von Stammeskämpfen gekennzeichnet sowievom Interesse Mokaus für diesen Teil des Kontinents. Das Horn von Afrika stellt eine strategische Stelle ersten Ranges dar, was freilich von den Bewohnern noch nicht wahrgenommen wird.
Glauben Sie, daß die USA sich von Saudi-Arabien und von den Golfstaaten zurückziehen könnten?
Es wäre ein Interessenkonflikt zwischen Erdöl und US-amerikanischer Politik. An und für sich beziehen die USA nur zwanzig Prozent des von ihnen selbst verbrauchten Erdöls aus dieser Fördergegend. Die Hauptlieferungen dieser Region gehen aber an Japan. Diese Region ist aber von höchster Bedeutung für die Vereinigten Staaten, denn durch diese Länder können die USA den Gang der Weltwirtschaft kontrollieren. Ich glaube daher nicht, daß die USA sich aus dieser Gegend zurückziehen würden, wenn sie nicht darauf verzichten wollen, den Welthandel zu beherrschen. Das neue Mischen der Karten nach dem 11. September 2001 dürfte auch hinsichtlich des Öls sowohl das Kaspische Meer als auch die Erdölleitungen durch den Iran betreffen.
Was sagen Sie über die indisch-pakistanischen Beziehungen?
US-Staatssekretär Colin Powell bemüht sich, das Gleichgewicht zwischen Indien und Pakistan zu bewahren. Die Hauptursache für die Vermittlung liegt allerdings darin, daß Pakistan kurzfristig explodieren könnte. Bei diesem Staat besteht auch die Gefahr des Nuklearterrorismus. Was würden wohl die Mächte tun, falls Aufständische Nuklearwaffen in ihren Besitz gebracht hätten? Zwischen Indien und Pakistan sieht es so aus, als wäre die Frage Kaschmirs eine Prestigefrage. Indien bildet ein ethnisch relativ gleichartiges Land, während Pakistan von Stämmen zerrissen ist. Hinter der Rivalität zwischen Islamabad und Neu-Delhi zeichnet sich das Gewicht Rußlands und Chinas ab. In dieser Hinsicht ist es sicher, daß China Pakistan dazu verholfen hat, Nuklearwaffen und Raketen zu erwerben. Zudem wird Indien innerhalb von fünfzig Jahren eine erstrangige Macht in Asien sein.
Was könnte die Europäische Union in der gegenwärtigen Krise tun?
Die europäischen Politiker beschäftigen sich eher mit der Krise zwischen Israel und Palästina. Diese zweite Krise ist vielleicht genauso beängstigend wie diejenige um Osama bin Laden. Durch ihren Finanz- und Wirtschaftseinfluß kann die Europäische Union nicht viel gegen die Bestrebungen des Terrorismus ausrichten. Und was das Militär angeht, so ist das militärische Europa schlicht und einfach die NATO. Ich bin der Auffassung, Europa müßte zumindest gegenwärtig einfach solidarisch mit den USA handeln, denn die EU wird virtuell wie die USA vom Terrorismus bedroht.
Herr Admiral, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
|
|