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Lust am Untergang und ein Hauch von Rebellion gehören zu FDP-Parteitagen wie das Salz in die Suppe. Die deutschen Liberalen machten auf ihrem jüngsten Treffen in Leipzig davon keine Ausnahme. "Eindringlich, persönlich und herzlich" mußte Parteichef Wolfgang Gerhardt die 660 Delegierten beschwören, eine Koalitionsaussage für die Union ohne Wenn und Aber zu beschließen. Die Abstimmung kam fast einer Vertrauensfrage gleich. Erst nach fünf Stunden konnte der Hesse aufatmen: Der Parteitag folgte dem Chef mit überwältigend er Mehrheit.
Möllemänner, Heckenschützen und Altlinke waren der Parteiführung bereits gleich zu Beginn voll in die Parade gefahren. In einem kurzen Antrag verlangten sie von Gerhardt, für die FDP keinen Koalitionsvertrag zu "unterschreiben, der es ihr verwehrt, im Deutschen Bundestag für die von ihr angestrebte Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu stimmen". Doch das ist die doppelte Staatsangehörigkeit, eine Kröte, die die Union nach eigenem Bekunden nie schlucken würde.
Für den Einstieg in den Ausstieg aus der christlich-liberalen Koalition wäre es jedoch drei Monate vor der Wahl ohnehin zu spät gewesen. Der nordrhein-westfälische Delegierte Hermann Linke formulierte zutreffend: "Wir haben doch gar keine Alternative."
Dagegen beklagte die Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Idolfigur des linken Flügels das Stimmungstief für die Union, was allein rechnerisch eine Koalition schwer mache. Es gebe "keinen Lagerwahlkampf, weil wir in keinem Lager sind, auch nicht mit CDU/CSU". Die Koalitionsaussage mache es schwerer, zusätzliche Wähler zu gewinnen.
Gerhardt hatte dem Parteitag mit einer gelungenen Grundsatzrede einen guten Start verschafft. Er verlangte weniger Staat, niedrigere Steuern und mehr Leistung: "Leistung ist keine Körperverletzung." Das Abitur soll nach FDP-Vorstellungen nach zwölf Jahren gemacht werden, die Studienzeiten sollen verkürzt werden. Doch das Gerangel um Bonner Konstellationen verdeckt das Wahlprogramm der Liberalen. Ausgerechnet das verkrustete Bildungssystem liegt wie eine schwere Hypothek auf Deutschland. Die Schüler machen ihre Abschlüsse zu spät, das Bildungsniveau ist zu niedrig, und die Studienzeiten dauern zu lange.
Noch optimistischer als Gerhardt ging Generalsekretär Guido Westerwelle ans Werk. Er heizte regelrecht ein: gegen Staatsgläubigkeit, hohe Steuern und gegen die umverteilenden und bevormundenden "Gutmenschen". Trotz der von Westerwelle verbreiteten "unbequemsten Botschaft aller Parteien" war für die meisten Delegierten klar, daß der 36jährige der liberale Kronprinz ist. Sollte Gerhardt irgendwann die Segel streichen, wäre Westerwelle ein idealer Nachfolger.
Der Parteigeneral präsentierte sich als Motor der Reformen und Erneuerung: "Ein ,Weiter so wird nicht weiterführen." Er will zusammen mit seiner FDP die "geistige Meinungsführerschaft" über- und den dritten Platz vor den Grünen im deutschen Parteiengefüge einnehmen. "Die gehen weiter runter und wir weiter rauf."
Westerwelles Botschaft ist klar: "Die FDP vertraut dem Bürger und mißtraut dem Staat." Wenn jede zweite Mark durch die Hände des Staates gehe, "dann ist das bürokratische Staatswirtschaft".
Aber Gerhardt, Westerwelle und Fraktionschef Hermann Otto Solms zeigten ein Feindbild mit Lücken. Im Kampf gegen Büroklammerhengste und Amtsschimmel blendeten sie eine ganze Ebene komplett aus: Kein Wort verloren die Liberalen über die Brüsseler Eurokraten, die mit ihren Richtlinien einen ganzen Kontinent in Normen pressen wollen; vom Krümmungswinkel der Gurken über die Kälberstrick-Richtlinie bis zu Bananen-Einfuhrkontingenten. Mit der "Agenda 2000" droht etlichen Bauern das Aus. Die deutschen Europa-Beiträge belasten den Bundeshaushalt in unerträglicher Weise.
Das Schweigen der FDP-Spitze dürfte einen triftigen Grund haben: Außenminister Klaus Kinkel ist für weite Bereiche der Europa-Politik zuständig. Seine Parteitagsrede war holzschnittartig und holprig. Selbst berechtigte Kritik an europäischen Mißständen wurde von Kinkel als "unhistorisch und auch zutiefst undankbar" zurückgewiesen. Der Außenminister, dem schon die kleinste Kritik auf den Wecker geht, merkt offenbar nicht mehr, daß er großen Teilen der Bevölkerung auf die Nerven geht.
Auch nach dem Parteitag bleibt die FDP eine Partei mit mehreren Gesichtern. Einerseits ist sie fest im bürgerlichen Lager verankert und grenzt sich scharf gegen Rote und Grüne ab. Andererseits paßt die unkritische Haltung zu den europäischen Superbürokraten nicht zum Bild einer Partei, die den schlanken Staat auf die Fahnen geschrieben hat.
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